Neuartiges Konzepts für Teilchenbeschleuniger der Zukunft
Elektronen reiten Plasmawelle
Jorge Vieira/IST Lisbon, Portugal
So leistungsstark die aktuellen Maschinen wie zum Beispiel der Large Hadron Collider (LHC) am CERN auch sind: Schon jetzt ist abzusehen, dass deutlich höhere Energien gebraucht werden, um offene Fragen in der Teilchenphysik zu beantworten: Gibt es Supersymmetrie, was ist die Dunkle Materie, welche Kraft steckt hinter der Dunklen Energie? Allerdings lassen sich die bisher verwendeten Technologien nur mit hohem Aufwand verbessern und ausbauen.
Daher stellt sich die Frage nach alternativen, kostengünstigeren Beschleunigerkonzepten. Mit AWAKE entwickeln Wissenschaftler derzeit eine vielversprechende Technologie für Linearbeschleuniger, die Elektronen als Kollisionsmaterial nutzen.
Gleiche Energie auf 50fach geringerer Strecke
„Unser Team verfolgt das Ziel, Elektronen mit Hilfe eines Plasmas auf einer relativ kurzen Distanz zu beschleunigen“, sagt Allen Caldwell, Direktor am Max-Planck-Institut für Physik und Sprecher von AWAKE. „Wir gehen davon aus, dass wir in einem künftigen Plasmabeschleuniger nur etwa einen Meter brauchen, um Elektronen auf einen Gigaelektronenvolt (GeV) zu bringen.“ Zum Vergleich: herkömmliche Linearbeschleuniger benötigen dafür 50 Meter.
Nach vierjähriger Entwicklungszeit vermelden die Wissenschaftler nun den Durchbruch: Am 25. Mai 2018 beobachteten sie erstmals, wie sich mit AWAKE Elektronen beschleunigen ließen. Die Elektronen erreichten dabei eine Energie von zwei GeV.
„Mit einem solchen Erfolg hatten wir erst gegen Ende des Jahres gerechnet“, sagt Allen Caldwell. „Mit der jetzt erzielten Energie haben sich unsere Erwartungen voll erfüllt. In dieser frühen Projektphase ging es zunächst darum zu überprüfen, inwieweit sich das Prinzip der Plasmabeschleunigung umsetzen lässt.“
Protonen beschleunigen Elektronen
AWAKE nutzt ein Plasma, eine gasförmige Mischung aus positiv geladenen Atomen und negativen Elektronen, das sich in einer etwa zehn Meter langen Kammer befindet, der Plasmazelle. In diese wird ein Protonenstrahl eingespritzt.
Auf ihrem Weg durchs Plasma ziehen die positiv geladenen Protonen die negativen Elektronen aus dem Plasma mit und produzieren eine Art Kielwelle. Speisen die Wissenschaftler zusätzliche Elektronen ein, reiten diese auf der Welle und werden beschleunigt. Die Idee der Kielfeld-Beschleunigung (englisch: Plasma Wakefield Accelaration) ist allerdings nicht ganz neu; schon in den 1970er Jahren war sie als innovativer Ansatz im Gespräch. Die ersten Versuche verwendeten allerdings keine Protonen als Wellengenerator.
Zunächst erzeugte man die Plasmawellen mit Elektronen oder einem Laser. „Die erzeugten Wellen waren zu schwach für einen effektiven Teilchentransport über eine längere Distanz“, erklärt Patric Muggli, AWAKE-Projektleiter am MPP. AWAKE verwendet als erstes Experiment Protonen: Sie sind schwerer, können das Plasma tiefer durchdringen und damit andere Teilchen auf einer längeren Strecke mittragen. „Das Ergebnis ist eine höhere Energie der mitsurfenden Teilchen“, so Muggli.
Erste Experimente ab dem Jahr 2024
Die Verwendung eines Protonenstrahls ist auch der Grund, warum sich AWAKE am CERN befindet. Denn so können die Wissenschaftler energiereiche Protonen aus dem SPS-Ring, einem der LHC-Vorbeschleuniger verwenden.
Wie geht es nach diesem Meilenstein weiter? Bis zum Ende des Jahres führen die Wissenschaftler Versuche mit dem bestehenden Aufbau durch. Danach folgt ein zweijähriger Shut-down des LHC und der anderen Beschleuniger am CERN. Diese Zeit nutzen die Wissenschaftler, um die Plasmazelle weiterzuentwickeln. Dabei hat das AWAKE-Team ein klares Ziel vor Augen.
„Schon 2024 wollen wir zeigen, wie AWAKE für wissenschaftliche Projekte eingesetzt werden kann“, sagt Allen Caldwell. – „Zum Beispiel um die Feinstruktur von Protonen zu verstehen oder nach neuen, Teilchen wie den ‚dunklen Photonen‘ zu suchen, die als Kandidat für Dunkle Materie infrage kommen.“