Supraleitung ohne Kühlung
Ein infraroter Laserblitz verändert kurzzeitig die Struktur eines Hochtemperatursupraleiters und bricht dessen elektrischen Widerstand so schon bei Raumtemperatur
© MPI für Struktur und Dynamik der Materie / Jörg Harms
Ursprünglich kannte man Supraleitung nur in einigen Metallen, und zwar bei Temperaturen knapp oberhalb des absoluten Nullpunkts bei minus 273 Grad Celsius. Doch in den achtziger Jahren entdeckten Physiker eine neue Klasse, basierend auf keramischen Materialien. Diese leiten Strom bereits bei Temperaturen von etwa minus 200 Grad Celsius verlustfrei, deshalb bezeichnet man sie als Hochtemperatursupraleiter. Eine dieser Keramiken ist die Verbindung Yttriumbariumkupferoxid (YBCO). Sie zählt zu den aussichtsreichsten Materialien für technische Anwendungen wie supraleitende Kabel, Motoren und Generatoren.
Der YBCO-Kristall hat eine spezielle Struktur: Dünne Doppelschichten aus Kupferoxid wechseln sich mit dickeren Zwischenlagen ab, die neben Kupfer und Sauerstoff auch Barium enthalten. Ausgangspunkt der Supraleitung sind die dünnen Kupferdioxid-Doppelschichten. Hier können sich Elektronen zu sog. Cooper-Paaren zusammenfinden. Diese Paare können zwischen verschiedenen Lagen „tunneln“, können diese Lagen bildlich gesprochen durchqueren wie Geister eine Wand – ein typischer Quanteneffekt. Supraleitend wird der Kristall allerdings erst unterhalb einer „kritischen Temperatur“. Erst dann nämlich tunneln die Cooperpaare nicht nur innerhalb der Doppelschichten, sondern „spuken“ auch durch die dickeren Lagen hindurch zur nächsten Doppelschicht. Oberhalb der kritischen Temperatur fehlt diese Kopplung zwischen den Doppelschichten, das Material wird ein schlecht leitendes Metall.
Das Resultat unterstützt Materialforscher bei der Entwicklung neuer Supraleiter
2013 hatte ein internationales Team um Max-Planck-Forscher Andrea Cavalleri entdeckt, dass YBCO, wenn man es mit Infrarot-Laserblitzen bestrahlt, kurzzeitig bei Raumtemperatur supraleitend wird. Offenbar hatte das Laserlicht die Kopplung zwischen den Doppelschichten im Kristall verändert. Der genaue Mechanismus aber blieb unklar – bis ihn die Physiker nun mit einem Experiment am LCLS enträtseln konnten, dem stärksten Röntgenlaser der Welt in den USA. „Zunächst schickten wir erneut einen Infrarotblitz in den Kristall, er regte bestimmte Atome zu Schwingungen an“, erläutert Max-Planck-Physiker Roman Mankowsky, Erstautor der aktuellen Nature-Studie. „Kurz darauf schickten wir einen kurzen Röntgenblitz hinterher, um die genaue Kristallstruktur des angeregten Kristalls zu vermessen.“
Das Ergebnis: Der Infrarotblitz hatte die Atome nicht nur in Schwingungen versetzt, sondern zusätzlich ihre Position im Kristall verschoben. Dadurch wurden die Kupferdioxid-Doppelschichten kurzzeitig um zwei Pikometer – ein Hundertstel Atomdurchmesser – dicker, die Lage zwischen ihnen um denselben Betrag dünner. Das wiederum erhöhte die Quanten-Kopplung zwischen den Doppelschichten so stark, dass der Kristall für wenige Pikosekunden bei Raumtemperatur supraleitend wurde.
Zum einen hilft das neue Resultat, die noch unvollständige Theorie der Hochtemperatursupraleiter zu verfeinern. „Zum anderen könnte es Materialforscher dabei unterstützen, neue Supraleiter mit höheren Sprungtemperaturen zu entwickeln“, sagt Mankowsky. „Bis hin zum Traum eines Supraleiters, der bei Raumtemperatur funktioniert und ganz ohne Kühlung auskommt.“ Bislang müssen supraleitende Magnete, Motoren und Kabel noch mit flüssigem Stickstoff oder Helium auf extreme Minusgrade gebracht werden. Könnte man auf diese aufwendige Kühlung verzichten, dürfte das für die Technik einen Durchbruch bedeuten.