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Bellsche UngleichungDie bellsche Ungleichung oder das bellsche Theorem bietet einen Weg zur experimentellen Widerlegung der Grundannahme einer berühmten Veröffentlichung von Einstein, Podolski und Rosen ( → EPR-Effekt ), dass die Quantenmechanik durch bloße Hinzufügung verborgener Variabler zu einer mit den klassischen philosophischen Voraussetzungen (Realität, Lokalität, usw., s. u.) verträglichen Theorie ergänzt werden könne. Die Ungleichung wurde 1964 von dem Physiker John Stewart Bell aufgestellt und bewiesen. Man muss sich damit abfinden, dass diese Arbeiten in logischer Hinsicht und in ihren Konsequenzen selbst für Fachleute extrem schwierig zu verstehen sind und dass sie anscheinend keine einfache treffende Formulierung ermöglichen. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
Bellsche UngleichungÜbersichtBei der Herleitung der bellschen Ungleichung geht man davon aus, dass zwei Parteien - meist Alice und Bob genannt - jeweils ein physikalisches Teilsystem von einem Gesamtsystem kontrollieren und daran verschiedene Messungen durchführen können. Ein Beispiel wären Photonenpaare, die aus einer Quelle kommen; bei den Messungen handelt es sich dann um Polarisationsmessungen in verschiedene Richtungen. Die Wahrscheinlichkeiten für die Messergebnisse sollen von einer physikalischen Theorie erklärt werden, die folgende vier Ausgangsbedingungen erfüllt:
Dabei versteht man unter freiem Willen die Annahme, dass Alice und Bob ihre Messungen frei wählen können und die Wahl nicht von der Theorie beeinflusst wird. Realismus bedeutet, dass das Gesamtsystem bereits die vollständige Information über mögliche Wahrscheinlichkeiten von Messergebnissen enthält, also dass es eine beobachterunabhängige Realität gibt.[1] (Unbestimmtheit eines Systems bedeutet dann lediglich die Unkenntnis aller das System beeinflussenden physikalischen Größen (Variablen). Unter Lokalität versteht man, dass die Messwahrscheinlichkeiten bei Alice nicht von Bobs Wahl der Messrichtung abhängen, also die Unmöglichkeit der Signalübertragung mit Überlichtgeschwindigkeit. Dies impliziert auch die Kausalität (Ursache-Wirkung). (Sie können allerdings von seinem Messergebnis abhängen, wenn er eine Messrichtung gewählt hat.) Eine solche Theorie bezeichnet man auch als lokal-realistisch. Unter kontrafaktischer Bestimmtheit versteht man die Eindeutigkeit von Zuständen, also z. B. dass ein Apfel nicht grün sein kann, wenn er rot ist. Unter diesen Annahmen kann man eine Ungleichung für Messwahrscheinlichkeiten herleiten, die alle lokal-realistischen Theorien erfüllen müssen - die bellsche Ungleichung. Diese Ungleichung wird von einigen Zuständen der Quantenmechanik verletzt. Diese Verletzung ist auch in Experimenten beobachtet worden. Das heißt zum einen, dass die Quantenmechanik keine lokal-realistische Theorie ist, und weiterhin, dass die Natur nicht vollständig durch lokal-realistische Theorien beschrieben werden kann. Für die oben erwähnte Kombination von vier Ausgangsbedingungen stellt die bellsche Ungleichung ein sogenanntes No-Go-Theorem dar. Dies bedeutet, dass auf Grund der Verletzung dieser Ungleichung durch die Ergebnisse der sog. Bell-Experimente (z. B. ein Experiment von Alain Aspect) zumindest eine der vier genannten Ausgangsbedingungen unzutreffend sein muss. Entgegen den Aussagen zahlreicher populärwissenschaftlicher und esoterischer Autoren bedeutet es aber keineswegs, dass die Realität (falls existent, s. u.) nichtlokal sein muss, sondern nur dass sie entweder nichtlokal ist (Bohmsche Mechanik und Transaktionsinterpretation der Quantenmechanik) oder zumindest nicht eindeutig ist (Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik) oder dass es keine Willensfreiheit gibt (Hyperdeterminismus). Die bellsche Ungleichung liefert zudem keine einfache Rechtfertigung für die gleichzeitige Zurückweisung von mehr als einer der vier Ausgangsbedingungen (vergleiche dagegen den vorletzten Abschnitt dieses Artikels). Gleichzeitige Verletzung der Realitätsannahme und der Voraussetzung der Lokalität findet man nicht nur in der Standard-Interpretation der Quantenmechanik, der sog. Kopenhagener Interpretation, sondern auch u. a. im „Idealistischen Monismus“ des Quantenphysikers Amit Goswami, der eine sehr esoterische Interpretation der Quantenmechanik vertritt, die sowohl den Realismus als auch die Lokalität über Bord wirft und dies in unpräziser Weise mit der Verletzung der bellschen Ungleichung begründet. Die bellsche Ungleichung und das Kochen-Specker-Theorem zeigen besonders markante Punkte, an denen die Quantenmechanik von der klassischen Physik abweicht. Im Folgenden soll das von David Bohm und Eugene Wigner entwickelte EPR-Szenario vereinfacht dargestellt werden. Lokal realistische TheorienEinstein zufolge sollten physikalische Theorien nicht nur korrekte Vorhersagen machen, sondern auch bestimmte weitere Bedingungen erfüllen: Eine Theorie müsse realistisch sein (so Einstein), das heißt, dass die Theorie von einer physisch-physikalischen Realität ausgehe. Diese Realität existiere unabhängig von Beobachtern und Physiker könnten darin Messungen vornehmen. Lokalität oder auch Einstein-Separabilität ist die Forderung, dass kein Objekt in der Realität auf ein anderes schneller als mit Lichtgeschwindigkeit wirken kann: Das heißt, dass räumlich getrennte Objekte sich nicht sofort beeinflussen können. Versteckte Parameter sind veränderliche Größen in der Realität, die wir nicht kennen, die aber Messergebnisse beeinflussen. Herleitung der UngleichungAlice und Bob sind zwei räumlich getrennte Beobachter. Zwischen ihnen produziert ein Apparat kontinuierlich Elektronenpaare. Eines dieser Elektronen wird in Richtung von Alice geschossen, das andere in Richtung von Bob. Gegeben seien drei beliebige Richtungen a, b, und c in denen Alice und Bob den Spin der Elektronen messen, die sie empfangen. Man setze drei verborgene Variablen für die drei Spinrichtungen pro Elektron voraus. Zudem sollen diese verborgenen Variablen jedem Elektronenpaar auf konsistente Weise zugeteilt werden und nach der Emittierung sich nicht ändern. Für die Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Variablen sei nichts vorausgesetzt. Die Elektronenpaare sind so vorbereitet, dass die Beobachter bei der Messung des Spins ihres Elektrons an derselben Achse stets entgegengesetzte Ergebnisse erhalten. Wenn sie zum Beispiel beide die z-Komponente der Spins messen, wird Alice nach den Regeln der Quantenmechanik mit gleicher Wahrscheinlichkeit +½ oder -½ messen. Wenn Alice +½ misst, wird Bob zwangsläufig -½ messen, und umgekehrt. Mathematisch kann der Zustand des zusammengesetzten Systems je zweier Elektronen durch folgenden Zustandsvektor beschrieben werden:
Jedes Ket ist mit der Richtung des Elektronenspins bezeichnet. Der oben angeführte Zustand wird als Spin-Singlet bezeichnet. Die z-Komponente des Spins entspricht dem Operator (½)σz, wobei σz die dritte Pauli-Matrix ist. Verborgene VariablenFür dieses Phänomen gibt es eine Erklärung ohne Zuhilfenahme der Quantenmechanik. Man nehme an, der Apparat, der die Elektronen produziert, würde jedem Elektron einen Parameter, eine verborgene Variable, zuteilen, je einem die Bezeichnung „Spin +½“, dem anderen „Spin -½“. Ein klassischer Wahrscheinlichkeitsprozess entscheidet, welches Elektron zu Alice entsendet werden soll. Wenn Alice jetzt die z-Komponente des Spins als +½ misst, wird Bob -½ erhalten, schließlich trägt sein Elektron diese Bezeichnung. Hierdurch werden die quantenmechanischen Effekte reproduziert, ohne das Prinzip der Lokalität zu verletzen. Der Charme dieses Erklärungsmusters verblasst mit der Erkenntnis, dass Alice und Bob nicht nur die z-Komponente des Spins messen können. Tatsächlich können sie die Komponente in einer beliebigen Richtung messen und erhalten immer +½ oder -½ am einen Ende der Kommunikation, und zwangsläufig -½ oder +½ am anderen. Es müsste also jedes Elektron eine unendliche Anzahl verborgener Variablen besitzen, je eine für jede mögliche Messung . Das wäre zwar unschön, aber an sich nicht fatal. Bell zeigte jedoch, dass Alice und Bob durch die Auswahl von nur drei Messungsrichtungen zwischen verborgenen Variablen und Quantenmechanik unterscheiden können.
Jede Reihe beschreibt eine mögliche Form eines Elektronenpaars mit den Werten der verborgenen Variablen und der Wahrscheinlichkeit N. Alice messe den Spin in Richtung a und Bob in Richtung b. Die Wahrscheinlichkeit, dass Alice +½ und Bob +½ erhält, ist gegeben durch
Entsprechend ist die Wahrscheinlichkeit, dass beide +½ messen, wenn Alice in Richtung a und Bob in Richtung c misst, gegeben durch
Wenn Alice in Richtung c und Bob in Richtung b misst, ist die Wahrscheinlichkeit, dass beide +½ messen,
Weil die Wahrscheinlichkeiten N nie negativ sind, gilt:
Daraus folgt schließlich
Das ist die bellsche Ungleichung. Sie muss von jeder auf verborgenen Variablen beruhenden Theorie erfüllt werden, die unsere Annahmen bezüglich der Lokalität befriedigt. Jetzt soll gezeigt werden, dass die Quantenmechanik die Ungleichung verletzt. Vergleich mit der QuantenmechanikEs sollen a, b, und c auf der x-z Ebene liegen, wobei c die Winkelhalbierende von a und b im Winkel θ ist. Mit dem Rotationsoperator können die Wahrscheinlichkeiten berechnet werden. Man betrachte P(c+,b+), wobei Alice in c-Richtung misst und mit der Wahrscheinlichkeit ½ den Wert +½ erhält. Dadurch kollabiert die Wellenfunktion zu |c-〉B. Im Zustandsraum von Bobs Elektron kann die bedingte Wahrscheinlichkeit berechnet werden, dass Bob bei der Messung in Richtung b +½erhält (die Indizes für b sind weggelassen):
wobei σy die zweite Pauli-Matrix ist, die den Rotationsoperator D(y,θ) liefert. Auf ähnlichem Weg errechnet man die anderen Wahrscheinlichkeiten, so dass nach Bells Ungleichung gelten würde:
Aber diese Gleichung ist für θ = π/8 nicht erfüllt, denn
Wenn Alice und Bob das Experiment genau wie oben beschrieben mit im Winkel von π/8 zueinander stehenden Achsen ausführen und dann die quantenmechanisch vorhergesagten Wahrscheinlichkeiten erhalten, werden diese Ergebnisse also die bellsche Ungleichung nicht erfüllen und damit alle vorgeschlagenen auf lokalen verborgenen Variablen basierenden Theorien widerlegen. Experimentelle BestätigungenSeit Ende der sechziger Jahre wurden viele Experimente durchgeführt, um eine Verletzung einer bellschen Ungleichung nachzuweisen:
Kritik an den ExperimentenUm eine überzeugende Verletzung einer bellschen Ungleichung zu demonstrieren, muss ein Experiment einige Bedingungen erfüllen. Zum einen müssen Alice und Bob wirklich raumzeitlich getrennt sein, d. h. es muss ausgeschlossen werden, dass Bobs Wahl der Messrichtung Alice bekannt wird. Das geschah in den Experimenten von Aspect und Weihs dadurch, dass Alice und Bob weit entfernt waren, und dass Alice und Bob ihre Entscheidungen so schnell trafen, dass eine Informationsübertragung wegen der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit nicht möglich war. Wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist, könnte es immer noch einen anderen physikalischen Prozess geben, der Alice Bobs Messrichtung bekannt macht und dann ist die Lokalitätsbedingung nicht mehr erfüllt. Man spricht auch vom Lokalitätsschlupfloch (locality loophole), das es zu schließen gilt. Die Experimente mit Photonen werfen jedoch ein anderes Problem auf: Von einem Photonendetektor wird immer nur ein kleiner Teil der Photonen detektiert (im Experiment von Weihs nur 5 %). Man muss also zusätzlich annehmen, dass die nicht nachgewiesenen Photonen dieselben Eigenschaften haben wie die nachgewiesenen. Das ist das sogenannte Detektorschlupfloch (detection loophole). Das Experiment von Rowe schließt dieses Detektorschlupfloch, aber nicht das Lokalitätsschlupfloch. Ein Experiment, das beide Schlupflöcher gleichzeitig schließt, steht noch aus. Konsequenzen aus der Verletzung der bellschen UngleichungEs gibt mehrere populäre Reaktionen auf diese Situation: Zunächst könnte man einfach annehmen, dass die Quantenmechanik falsch ist. Sie wird jedoch seit langem experimentell gestützt und auch hier haben Alice und Bob tatsächlich Ergebnisse erhalten wie quantenmechanisch vorhergesagt. Allerdings kann man auch die Einsteinschen Postulate, insbesondere die Vorstellung verborgener Variablen, aufgeben und argumentieren, dass die Wellenfunktion keine Informationen über die Werte von Messungen von a-priori-Zuständen („Realität“) enthält. Dies entspricht der Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik. Nach dieser Deutung, welche seit Jahrzehnten bewährt ist und sich bei den Physikern längst als Standard etabliert hat, ist die Quantenmechanik sowohl nicht-realistisch, im Gegensatz zu den Vorstellungen von Einstein, Podolski und Rosen (siehe EPR-Effekt), weil durch das Experiment nicht einfach existierende Zustände festgestellt, sondern erst präpariert werden; zudem ist sie auch nicht-lokal, weil der Zustandsvektor den Zustand des Systems gleichzeitig an einer Vielzahl verschiedener Stellen (x,y,z) beschreibt ( ). Anders formuliert: Die Kopenhagener Interpretation steht im Widerspruch zu Einsteins Aussagen. Er hat zwar als erster erkannt, dass die Quantenmechanik nicht als klassische Theorie interpretiert werden kann, und zwar sowohl im Hinblick auf die Realität als auch im Hinblick auf die Lokalität, jedoch er irrte in der Annahme, sie könne durch Hinzufügen verborgener Variablen zu einer solchen gemacht werden. In einer beliebigen Interpretation, könnte man stattdessen auch separat und bei gegebener Realität das Prinzip der Lokalität aufgeben: Die Verletzung der Ungleichung kann durch eine auf nicht-lokalen verborgenen Variablen fußende Theorie zurückgeführt werden, nach der Teilchen Informationen über ihre Zustände austauschen. Darauf basiert die Bohmsche Mechanik, eine nicht-lokale Erweiterung der klassischen Newtonschen Mechanik. Letztlich ist die unvollständige Bestimmtheit (Counterfactual Definiteness, CFD) eine Voraussetzung für die Ungleichung. In der Realität kann man an einem Teilchen nur eine Messung durchführen (dann ist die Wellenfunktion kollabiert), aber die bellsche Ungleichung bezieht alternative, nicht durchführbare Messungen ein, die wohldefinierte Ergebnisse liefern. Die Aufhebung dieser Annahme kann auch die Ungleichung auflösen. In der Viele-Welten-Interpretation passiert genau das, die „Counterfactual Definiteness“ wird aufgegeben, denn nach dieser Interpretation verzweigt sich das Universum in viele verschiedene Betrachter, die jeweils ein anderes Ergebnis erhalten. Es wird aktiv daran geforscht (Stand 2004), andere versteckte Voraussetzungen in der bellschen Ungleichung zu finden. Verwandte ExperimenteDie CHSH-Ungleichung (1969 von Clauser, Horne, Shimony und Holt entwickelt) verallgemeinert die bellsche Ungleichung auf beliebige Observablen. Sie lässt sich wegen ihrer Formulierung besser experimentell überprüfen. Bells Gedankenexperiment ist statistisch: Alice und Bob müssen mehrere Experimente durchführen, um P(a+,b+) und die anderen Wahrscheinlichkeiten zu erhalten. 1989 entwarfen Greenberger, Horne, und Zeilinger eine Alternative zu Bells Versuchsaufbau, das GHZ-Experiment. Es braucht drei Beobachter und drei Elektronen, um mit einer einzigen Gruppe von Messungen die Quantenmechanik von einer quasi-klassischen Theorie mit verborgenen Variablen zu unterscheiden. 1993 erarbeitete Hardy eine Situation, mit der Nicht-Lokalität ohne Ungleichungen gezeigt werden kann. Die Experimente zur Verletzung der bellschen Ungleichung lassen offen, ob im Gegensatz zur bereits erwähnten Kopenhagener Interpretation neben der Annahme der Lokalität zusätzlich auch die „Annahme einer objektiven (d. h. kontextunabhängigen) Realität“ aufgegeben werden muss. Der amerikanische Physiker Leggett formulierte 2003 eine Ungleichung, die unabhängig von der Annahme der Lokalität gilt und damit solche Annahmen zu überprüfen erlauben soll.[2] Aktuelle Experimente von Gröblacher et al. deuten darauf hin, dass die Leggettsche Ungleichung verletzt wird.[3] Die Interpretation solcher Ergebnisse ist jedoch kontrovers.[4] Es scheint nur eine bestimmte Klasse von mit versteckten Variablen operierenden Theorien betroffen, nicht etwa die Theorie von Bohm; weitere Folgerungen zum Thema „Realismus“ sind allenfalls im Rahmen sehr spezieller Vorannahmen plausibel. Literatur
Einführungen in die Quantenmechanik siehe dort. Lehrbuchdarstellung:
Einzelnachweise
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