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Force de frappe



Force de frappe (wörtlich: „Schlagkraft“, offiziell: Force de dissuasion nucléaire de la France) ist die landläufige Bezeichnung für die Französische Atomstreitmacht.

Inhaltsverzeichnis

Zur Bezeichnung

Zur Terminologie: Von der Force de frappe ist im amtlichen Sprachgebrauch so gut wie nie die Rede - dissuader, also „ausreden, abbringen, abhalten von; auch: abschrecken“, mithin das Gegenteil von Persuasion, klingt wesentlich diplomatischer und zurückhaltender als frapper, das das Moment des Überraschenden, Überfallartigen und ggf. sogar Heimtückischen konnotiert (vgl. dt. „frappieren“, „frappiert sein“).

Hintergründe der Entstehung

Offiziell gibt es die Force de dissuasion nucléaire seit 1958, als während einer entscheidenden Phase des Kalten Krieges die nukleare Bewaffnung der französischen Streitkräfte beschlossen wurde. Sie war ursprünglich als Abschreckung gegen die damalige Bedrohung durch die UdSSR gedacht, aber auch dazu, sich aus der Abhängigkeit von den USA in Fragen der Militärstrategie zu lösen und Frankreich zur Großmacht aufzuwerten. 1958 wurde auch die Fünfte Französische Republik gegründet; der Algerienkrieg strebte seinem Höhepunkt zu. Im Januar des Jahres traten die Römischen Verträge zur Gründung der EWG in Kraft; Ende November sah sich der Westen mit dem Berlin-Ultimatum Chruschtschows konfrontiert.

Seit 1964 ist die Force de frappe einsatzbereit. Die Force de dissuasion erstreckt sich über alle Teilstreitkräfte (Luft, Land, See), wobei die landgestützten Waffen aktuell nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Die französischen Atomstreitkräfte gelten unter jenen der fünf „offiziellen“ Atommächte als die viertgrößten der Welt (nach denen der USA, Russlands und Chinas).

Geschichte und Zukunft

  Mit Uran aus Belgisch-Kongo sowie Deuteriumoxid (D2O, so genanntes Schweres Wasser) aus Norwegen wurde mit dem Bau einer französischen Atombombe ansatzweise begonnen, doch die deutsche Okkupation im Juni 1940 stoppte dieses Projekt. Viele Wissenschaftler gingen ins Exil. Stattdessen eignete sich nun die Wehrmacht das Schwere Wasser aus dem gleichfalls von Nazi-Deutschland besetzten Norwegen für die Atomprojekte deutscher Wissenschaftler an (vgl. Werner Heisenberg, Carl Friedrich von Weizsäcker).

Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs, zweieinhalb Monate nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima, wurde auf Betreiben von General de Gaulle das französische Nuklearprogramm unter der Ägide des von ihm ins Leben gerufenen Commissariat à l´énergie atomique (CEA) wieder aufgenommen - mit dem erklärten Ziel, die Atomenergie für „Wissenschaft, Industrie und nationale Verteidigung“ nutzbar zu machen. 1952 hatte - nach den USA und der Sowjetunion - auch Großbritannien erfolgreiche Nukleartests durchgeführt; somit war Frankreich die einzige alliierte Siegermacht des Zweiten Weltkriegs, die noch nicht im Besitz der Atombombe war. De Gaulle war nunmehr entschlossen, Frankreich auch ohne Zustimmung seiner Verbündeten nuklear aufzurüsten. Er betrachtete den Status einer Atommacht nicht nur als Schlüsselfrage für die nationale Souveränität, sondern verfocht zunehmend auch die Doktrin einer Sonderrolle Frankreichs jenseits der Blockkonfrontation.

Am 13. Februar 1960 detonierte auf dem Testgelände Reganne in der algerischen Sahara der erste französische Atomsprengsatz. Wegen der Unabhängigkeit Algeriens 1962 wurden die Kernwaffenversuche in den Südpazifik nach Mururoa und Fangataufa (Tuamotu-Archipel) verlegt. - Parallel zu den ersten erfolgreichen Nukleartests wurde damit begonnen, Trägersysteme zu bauen.

Charles de Gaulle strebte in der Folge die Gleichberechtigung Frankreichs mit den Vereinigten Staaten in den Befehlstrukturen der NATO an, obgleich die Force de frappe noch gar nicht recht verfügbar war. Der französische Vorstoß, ein gemeinsames Dreier-Direktorium der NATO-Atommächte USA, Großbritannien und Frankreich einzurichten, wurde jedoch verworfen; daraufhin verkündete de Gaulle 1966 Frankreichs Ausstieg aus der militärischen Integration und insbesondere aus der Nuklearen Planungsgruppe des nordatlantischen Militärbündnisses. - 1996 schien es zwar zu einer vorübergehenden Annäherung zu kommen, als erstmals wieder ein französischer Verteidigungsminister an einer NATO-Konferenz teilnahm. Der Streit über die Besetzung des NATO-Regionalkommandos in Neapel ließ jedoch Hoffnungen auf eine mögliche vollständige Wiedereingliederung Frankreichs in das Bündnis platzen.

Die Ausrüstung damals und heute

Die luftgestützte Funktion übernahm zunächst der Überschallbomber Mirage IV mit einer Reichweite von 1.500 Kilometern. Das Operationszentrum der Forces aériennes stratégiques (FAS; die 1964 gegründeten strategischen Luftstreitkräfte, vgl. [2]) befindet sich in unterirdischen Bunkern in Taverny in der Nähe von Paris. Von dort aus werden derzeit (Stand: 2005) u.a. 60 mit Kernwaffen bestückbare Mirage 2000N kommandiert (vgl. ASMP-Lenkwaffe). Zwei Staffeln sind in Luxeuil-les-Bains (ca. 130 Kilometer südwestlich von Straßburg) stationiert, eine dritte nordwestlich von Marseille. Die Jets sind mit Atomraketen mit etwa 300 Kilometer Reichweite und je einem Atomsprengkopf bestückt, der Kampfradius der Überschallmaschinen liegt bei fast 1500 Kilometern.


Landgestützt waren mobile Kurzstreckenraketen vom Typ Pluton (bis 1993) und Hades (1984 bis 23. Juni 1997). Auf dem Plateau d'Albion in den Alpes-de-Haute-Provence entstanden 18 unterirdische Silos zur Stationierung ballistischer Raketen. Die IRBMs dort wurden 1996 nach offiziellen Angaben deaktiviert; damals verfügte Staatspräsident Jacques Chirac auch die Einstellung der Atomversuche (vgl. [3]). Bereits 1992 bekundete Frankreich seine Absicht, kein Plutonium für Atomwaffen mehr herstellen zu wollen; eine Plutoniumfabrik in Marcoule wurde 1997 geschlossen. Plutonium für zivile Zwecke wird weiterhin in der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague produziert.

 

Als seegestützte Trägermittel dienen atombetriebene U-Boote, die Force océanique stratégique (FOST; vgl. [4]), die mit SLBMs bestückt sind, u.a. die Triomphant-Klasse. Frankreich unterhält insgesamt vier sous-marin nucléaire lanceur d'engins (SNLE, deutsch: Atom-U-Boot mit Raketenstartrampen), von denen zwei ständig auf hoher See einsatzbereit gehalten werden. Jedes dieser U-Boote verfügt über 16 Raketen, gegenwärtig noch vom Typ M45 (Reichweite: 6000 Kilometer). Die M 45 (MSBS) kann bis zu sechs Atomsprengköpfe tragen.

 

Der Heimathafen der FOST ist die Île Longue (die „Lange Insel“) vor Brest (Bretagne). - Bei der FOST dienen rund 2300 Mann; sie verschlingt rund die Hälfte des Haushalts der Force de dissuasion. Die Marine verfügt zudem über Kampfmaschinen vom Typ Dassault Super Étendard, die u.a. an Bord des Flugzeugträgers Charles de Gaulle stationiert sind. Sie sind mit atomar bestückbaren Luft-Boden-Raketen ausgerüstet.

Aus Sicherheitsgründen wurde für einen Einsatz der Kernwaffen ein mehrstufiges System geschaffen, das verkürzt als "Atomschlüssel" bezeichnet wird. Die erste Stufe ist ein elektronischer Zahlencode, mit dem der Präsident den so genannten Atomkoffer öffnen kann. Mit dem Koffer werden die Kernwaffen aktiviert. Dieser Code wird regelmäßig verändert. Der Präsident muss ihn auswendig lernen. Unterstützt von einem Offizier wählt der Präsident im Ernstfall im Atombunker zehn Meter unter dem Élysée-Palast aus einer vorgegebenen Liste die Ziele aus. Der 1978 geschaffene Atombunker "Jupiter" ist 15 mal 30 Meter groß und nur dem Präsidenten und wenigen Beratern zugänglich. Der Kommandoraum hat eine Direktverbindung zum unterirdischen Hauptquartier der "Force de Frappe" in Taverny bei Paris.

Über wie viele Sprengköpfe Frankreich tatsächlich verfügt, bleibt Staatsgeheimnis. Ihre Zahl wird auf 200 bis 350 geschätzt.

Weiterentwicklung

Nach der Indienststellung der „unterseeischen Raketenabschussrampen“ Le Triomphant („der Triumphierende“) 1997 und Le Téméraire („der Tollkühne“) Ende 1999 soll die Technologie offenbar auf diesem Feld besonders vorangetrieben werden. Ende 2004 wurde Le Vigilant („der Wachsame“; bestückt mit M45-Raketen) den Streitkräften übergeben; bis 2010 soll die Raketenserie M51 auf dem derzeit (Stand: Anfang 2006) im Bau befindlichen U-Boot Le Terrible („der Schreckliche“) einsatzbereit sein. Die M51 soll eine Reichweite von 8000 Kilometern haben.

Kosten

Die Force de dissuasion verursacht jährliche Kosten von mehr als drei Milliarden Euro, was rund einem Zehntel des französischen Verteidigungsetats entspricht. Sie ist deshalb auch in Militärkreisen umstritten: Man befürchtet, dass dadurch die konventionelle Bewaffnung ins Hintertreffen gerät. Allein für die Entwicklung neuer nuklearer Waffentypen sind in dem von 2003 bis 2008 geltenden militärischen Planungsrahmen rund 17 Milliarden Euro veranschlagt.

Vor dem Hintergrund des Verzichts auf Atomtests stellte die Regierung 2004 rund 388 Millionen Euro für ein Simulationsprogramm bereit, bei dem u.a. ein Supercomputer und Laser-Technik eingesetzt werden.

Wandel der Nukleardoktrin?

Schlagartig ins Blickfeld der Öffentlichkeit geriet die Force de dissuasion nucléaire erneut am 19. Januar 2006, als der französische Staatspräsident Jacques Chirac im Zusammenhang mit der diplomatischen Krise um das Atomprogramm des Iran „Anführern“ von Staaten, die terroristische Mittel einsetzen, mit Vergeltung „in nicht-konventioneller Form“ drohte. Allerdings hatte sich Frankreich schon seit spätestens 2003 dezidiert vorbehalten, Atomwaffen gegen „Schurkenstaaten“ einzusetzen (vgl. Weblinks). Dazu wurde u.a. die Bestückung der seegestützten Raketen reduziert (s. Sprengkopf, MIRV), um auch Schläge unterhalb der Schwelle des nuklearen Overkills ausführen zu können. Man könne nicht nur die Wahl zwischen [der vollständigen] Vernichtung (des Feindes) und [dem eigenen] Untergang haben, so Chirac. Ob das französische Militär jedoch die zeitweilig beabsichtigte Entwicklung von „Mini-Nukes“ (Atomwaffen mit „begrenzter“ Wirkung) eingestellt hat, ist derzeit unklar (Stand: Anfang 2006). - Bislang waren die seegestützten Raketen überwiegend mit Mehrfachsprengköpfen (MIRVs) ausgerüstet, die im Fall eines Abschusses für großflächige, also weitgehend unterschiedslose Verheerungen im Zielgebiet gesorgt hätten.

Allerdings scheint nach wie vor unumstritten zu sein, dass die französische Nuklear-Doktrin keine atomaren preemptive strikes („vorbeugende Schläge“) vorsieht - mit der Einschränkung freilich, dass man sich etwa im Rahmen der NATO-Strategie (gegenüber der Frankreich bekanntermaßen auch einige Vorbehalte hat, was in Frankreichs Doktrin darin seinen Niederschlag findet, dass man bei der Fähigkeit zu weltweiten Militäroperationen auf keinerlei Bündnispartner verwiesen bleiben will) insgesamt einen first strike (den atomaren Erstschlag im Fall eines bereits entfesselten konventionellen Kriegs) reserviert, und das bereits seit Jahrzehnten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstrich anlässlich eines Besuches in Frankreich am 23. Januar 2006, sie habe keinen Anlass, die Atomwaffen-Drohung Jacques Chiracs zu kritisieren. Die Äußerungen des Präsidenten stünden im Einklang mit der bisherigen französischen Nuklearpolitik, erklärte Merkel nach einer Unterredung mit Chirac in Versailles. Chirac hob hervor, er habe lediglich an die Grundsätze der französischen Abschreckungsstrategie erinnert. Für Frankreich gelte weiterhin, dass Atomwaffen kein Instrument der Kriegsführung seien. Die Doktrin müsse allerdings der „internationalen Entwicklung angepasst werden“.

Merkels Billigung stieß bei den Grünen auf scharfe Kritik: Ihre Stellungnahme sei eine „krasse Verharmlosung“. Der Abgeordnete Winfried Nachtwei äußerte gegenüber der Berliner Zeitung, anders als in Washington und in Moskau habe die Bundeskanzlerin in Paris einen „braven Schulterschluss“ gezeigt. Chiracs Definition der französischen Nukleardoktrin sei „so kontraproduktiv wie nichts sonst“.

Der Vorsitzende der deutsch-französischen Parlamentarier-Gruppe und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Deutschen Bundestag, Andreas Schockenhoff, verteidigte hingegen Merkels Haltung zu den Äußerungen Chiracs. Die Atomwaffenoption der Franzosen sei nichts Neues. Deshalb gebe es auch keinen Grund, an Chiracs Äußerungen etwas zu kritisieren, sagte Schockenhoff in einem Hörfunk-Interview.

Sarkozy soll Deutschland zur Teilhabe an der Force de frappe eingeladen haben

Nach Informationen, über die der "Spiegel" verfügen will, hatte der neue französische Präsident Nicolas Sarkozy der deutschen Bundesregierung die Teilhabe an der Entscheidungsgewalt über die französischen Atomwaffen angeboten. Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier lehnten dies dem Magazin zufolge jedoch einhellig ab. [1]. Steinmeier entgegnete Sarkozy demnach während eines gemeinsamen Mittagessens am 10. September 2007 im brandenburgischen Schloss Meseberg, Deutschland strebe den Besitz von Atomwaffen nicht an, deshalb sei es auch 1975 dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten. Merkel hatte ihrem Außenamtschef ausdrücklich beigepflichtet, hieß es.

Literatur

  • Dominique Pestre, Collectif: Deux siècles d'histoire de l'armement en France : De Gribeauval à la force de frappe. CNRS, 2005. - ISBN 2-27106-302-7
  • Simone Wisotzki: Die Nuklearwaffenpolitik Großbritanniens und Frankreichs. Campus Fachbuch, 2002. - 1. Auflage. - ISBN 3-59337-031-X - (vgl. [5])
  • John Lewis Gaddis, Ernest May, Philip Gordon (Hrsg.): Cold War Statesmen Confront the Bomb: Nuclear Diplomacy Since 1945. Oxford University Press, 1999. - ISBN 0-19829-468-9
  • Moch Jules: Non a la force de frappe. Robert Laffont, 1992. - (1. Auflage 1963). - ISBN 2-22103-227-6
  • Georg Picht, Hans Dieter Müller: Die Force de frappe. Walter, 1965.
  • Georg Picht, Was ist die Force des frappe? De Gaulles atomarer Alleingang und die Verteidigung Europas. In: CW, Nr. 49, 04.12.1964, 3 f.

Siehe auch

  • Abschreckung

Quellen

  1. Überraschender Vorstoß: Sarkozy bot Deutschland Atomwaffen an (Spiegel Online, 15. September 2007)
 
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