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Kernspeicher



Der Kernspeicher, auch Ferritkernspeicher („magnetic core memory“ oder „ferrite-core memory“) ist eine frühe Form nichtflüchtiger Speicher von Elektronischen Rechenmaschinen. Er besteht aus auf Drähten aufgefädelten hartmagnetischen Ferrit-Ringkernen (cores), die durch die Ströme in den Drähten ummagnetisiert werden können. Die Polarität der Magnetisierung der einzelnen Ringkerne repräsentiert deren Speicherinhalt.


Inhaltsverzeichnis

Geschichte

         

Die ersten Arbeiten führte 1949 der in Shanghai geborene Physiker An Wang an der Harvard Universität aus. Im Gegensatz zum MIT war Harvard nicht daran interessiert, seine eigenen Erfindungen patentieren zu lassen. Wang erwarb das Patent selbst unter der Bezeichnung pulse transfer controlling device.

Jay Forresters Gruppe, die am Whirlwind-Projekt am MIT gearbeitet hatte, erfuhr von Wangs Arbeit. Whirlwind brauchte ein schnelles Speichersystem für einen Echtzeit-Flugsimulator. Bisher mussten sie auf Williamsröhren (ein auf Kathodenstrahlröhren basierendes Speichersystem) zurückgreifen, diese waren aber anfällig und unzuverlässig.

Zwei Schlüsselerfindungen führten zur Entwicklung des Kernspeichers, welche erst die Entwicklung der in der heutigen Zeit bekannten Computer erlaubte. Die erste, An Wangs, war der write-after-read Cycle (Schreiben-nach-Lesen-Zyklus), der das Problem löste, dass das Auslesen einer Information dieselbe auch zerstört: die magnetische Polarität der Ringkerne kann nur bestimmt werden, indem diese ummagnetisiert werden.
Die zweite, Jay Forresters, war das coincident-current system (Zusammenfallende Ströme), welches die Steuerung einer großen Anzahl von Magnetkernen mit einer kleinen Anzahl von Drähten ermöglichte (siehe unten, Funktionsweise). Kernspeicher wurden manuell hergestellt; die Arbeit wurde unter dem Mikroskop durchgeführt und erforderte feines Fingerspitzengefühl.

In den späten Fünfzigern wurden in Asien Fabriken gebaut, in denen Niedriglohnarbeiter die Kernspeicher herstellten. Die Preise wurden so weit gesenkt, dass sowohl der günstige, aber in der Leistung niedrige Trommelspeicher als auch die teuren Hochleistungs-Systeme mit Elektronenröhren in den frühen Sechzigern abgelöst werden konnten.

Obwohl die Herstellung der Kernspeicher kurz vor ihrer Automatisierung abgebrochen wurde, folgten die Kosten dem damals noch unbekannten Mooreschen Gesetz. Die Technologiekosten von anfangs ca. einem Dollar pro Datenbit sanken auf ca. 0,01 Dollar pro Datenbit bis die Kernspeicher in den frühen Siebzigern durch die siliziumbasierten RAM abgelöst wurde.

Das Patent Wangs war noch bis 1955, als die Technologie bereits benutzt wurde, nicht genehmigt. Mehrere Gerichtsverfahren veranlassten IBM, Wang das Patent für mehrere Millionen Dollar abzukaufen. Wang nutzte das Geld, um die Wang Laboratories zu erweitern.

Kernspeicher gehörten zu einer Familie von Technologien, welche sich die magnetischen Eigenschaften von Werkstoffen zu Eigen machte.

In den 1950ern waren die Elektronenröhren schon ausgereift, aber dennoch anfällig und wegen der geheizten Glühdrähte kurzlebig, unstabil und im Energieverbrauch zu hoch. Kernspeicher bildeten eine energiesparende, miniaturisierte und zuverlässige Alternative. Wesentlich war jedoch, daß er, wie der Trommelspeicher, den Speicherinhalt auch bei Abschalten der Betriebsspannung nicht verlor. Nach einem weiteren Miniaturisierungsschritt, der sogenannten Bubble-Memories, wurde er dann durch nichtflüchtige Halbleiterspeicher (EEPROM/Flash-Speicher) erst wirklich abgelöst.

Beschreibung

 

Funktionsweise

Ein Kernspeicher besteht im Wesentlichen aus einer großen Anzahl von magnetisierbaren (hartmagnetischen) Kernen (Ferrit-Ringkern). Jeder Kern speichert ein Datenbit, indem er je nach Richtung der Magnetisierung eine logische Eins bzw. eine logische Null repräsentiert. Durch die Löcher der Kerne laufen Drähte. Das durch den elektrischen Strom erzeugte magnetische Feld kann die Magnetisierungsrichtung der Kerne dauerhaft ändern. Genau dann und nur dann wird in einem weiteren Draht ein Spannungsimpuls induziert, anhand dem der ursprüngliche Magnetisierungszustand erkannt werden kann. Das ummagnetisierte Bit muss nun ggf. wieder zurück umgepolt werden, um den Dateninhalt wiederherzustellen.

Damit nun nicht jeder Kern einen eigenen Draht benötigt, wird folgender Kniff angewendet: Kernspeicher nutzen die physikalische Eigenschaft der Hysterese eines ferromagnetischen Materials. Um die Richtung der Magnetisierung umzukehren, muss eine gewisse magnetische Feldstärke überschritten werden. Der Strom, um diese zu erreichen, wird auf zwei Drähte aufgeteilt, welche je die Hälfte der zur Ummagnetisierung erforderlichen Stromstärke führen. Diese X- und Y-Drähte werden in einer Gitterstruktur (Matrix) angeordnet und tragen an jedem Kreuzungspunkt einen Kern. Soll nun ein bestimmter Kern angesprochen werden, so wird je die Hälfte der nötigen Feldstärke durch den betreffenden X-Draht und den betreffenden Y-Draht beigesteuert. Somit spüren andere Kerne entweder nur die Hälfte oder gar keine Feldstärke.

Zur Realisierung eines 16-KiBit-Speichers sind somit 2×128 Drähte und ebenso viele steuerbare Stromquellen nötig.

Lesen/Schreiben

Für das Lesen und Schreiben werden zwei weitere Drähte benötigt, welche durch alle Kerne durchgeschlauft werden – den Abtast-Draht (sense-line) und den Blockier-Draht (inhibit-line).

Grundsätzlich wird immer ein Lese- und ein Schreibzyklus ausgeführt. Im Lesezyklus wird mit den X- und Y-Drähten der entsprechende Kern zur logischen „0“ hin ummagnetisiert. Wenn der Kern schon vorher eine „0“ gespeichert hat, passiert im Lesezyklus nichts – bei der „1“ hingegen wird auf Grund der Ummagnetisierung ein Puls im Abtast-Draht induziert. Im Schreibzyklus wird der Kern wieder in die „1“-Richtung magnetisiert. Im Falle einer vorher gespeicherten „0“ wird während des Schreibzyklus’ durch den Blockier-Draht ein Strom in gegensätzlicher Richtung geschickt. Dieser reicht aus, die Feldstärke der X- und Y-Drähte soweit abzuschwächen, dass der Kern nicht in die „1“-Richtung ummagnetisiert wird.

Da der Abtast-Draht und der Blockier-Draht nie gleichzeitig benutzt werden, benutzten spätere Systeme nur einen kombinierten Draht. Eine zusätzliche Steuerung schaltet zwischen den zwei Funktionen um.

Computerprogramme, welche Kernspeicher benutzen, nutzen diesen Lese/Schreibzyklus oft als Vorteil: Wenn z. B. zu einem Datenwort ein Wert hinzuaddiert werden soll, wird es zunächst nur gelesen (Lesezyklus). Mit dem Schreibzyklus wird gewartet, bis die Addition abgeschlossen ist. So kann die Geschwindigkeit gewisser Operationen verdoppelt werden.

Physikalische Eigenschaften

Die Geschwindigkeit von Kernspeichern kann verglichen werden mit einer Taktrate von einem MHz (etwa wie die Heimcomputer der frühen 80er Apple II und Commodore 64). Frühe Systeme hatten Zykluszeiten (Lesen und Zurückschreiben) von ca. 20 µs, sie sank Anfang der 60er Jahre auf 2 µs[1] und erreichte Anfang der 70er Jahre 0,3 µs[2].

Datenworte mit 32 Datenbit wurden auf 32 Ebenen (je ein X-Y-Gitter) verteilt, somit kann auf ein ganzes Datenwort in einem Lese-Schreib-Zyklus zugegriffen werden.

Kernspeicher sind nichtflüchtige Speicher – sie erhalten die Information auf unbegrenzte Zeit ohne Strom. Auch sind Kernspeicher robust gegenüber elektromagnetischen Impulsen, hohen Temperaturen und Strahlung. Das sind wichtige Vorteile bei militärischen Anwendungen wie Kampfflugzeugen, aber auch bei Raumfahrzeugen. Mehrere Jahre über die Verfügbarkeit von Halbleiterspeichern hinaus wurden hierbei Kernspeicher verwendet.

Charakteristisch für Kernspeicher: sie reagieren auf den Strom, nicht auf die Spannung – der Lesedraht liefert jedoch einen Spannungsimpuls. Das war eine wichtige Voraussetzung für hohe Taktraten bei relativ großen geometrischen Ausdehnungen der Speicher.
Der Selektierstrom (half select current) war typischerweise 400 mA für die späten kleineren und schnelleren Speicher. Frühere Speicher brauchten größere Ströme.

Eine negative Eigenschaft der Kernspeicher ist die Abhängigkeit der Hysterese von der Temperatur. Der Selektierstrom wird daher von der Steuerung angepasst – mit Hilfe eines Sensors wird die Temperatur gemessen. Der PDP-1 von Digital Equipment Corporation ist ein Beispiel dafür. Andere Systeme umgingen das Problem, indem der Speicher in einem thermostatierten Behälter untergebracht war. Als Beispiele seien hier der IBM 1620 (er brauchte bis zu 30 Minuten, um die Betriebstemperatur von 41 °C zu erreichen) oder der im geheizten Ölbad untergebrachte Speicher des IBM 709 genannt.

Weitere Bauformen

Als Transfluxor bezeichnet man einen Ringkern, bei dem die Schenkel des Hauptjochs an mindestens zwei Stellen in zwei kleinere Nebenjoche aufgetrennt werden. Durch diese Bauform ist es möglich, nicht nur Zustände zu speichern, sondern auch direkt Verknüpfungen herzustellen.

Verschiedenes

Kernspeicher kommen in Altanlagen noch heute in der Bahntechnik zur Anwendung. Als Speicher für die Signaltechnik kann der Zustand von Fahrsignalen auch ohne Betriebsstrom gespeichert werden.


Quellen

  1. Kristalloden Technik 2.Ergänzungsband 2.Auflage, R. Rost, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn 1960, S. 56
  2. Digitalspeicher mit Ferritkernen, Robert Schmitt, Verlag Siemens AG Berlin-München 1971

Patente

  • Patent US 2667542 "Electric connecting device" (matrix switch with iron cores), filed September 1951, issued January 1954
  • Patent US 2708722 "Pulse transfer controlling devices", An Wang filed October 1949, issued May 1955
  • Patent US 2736880 "Multicoordinate digital information storage device" (coincident-current system), Jay Forrester filed May 1951, issued February 28, 1956
  • Patent US 3161861 "Magnetic core memory" (improvements) Ken Olsen filed November 1959, issued December 1964
  • Patent US 4161037 "Ferrite core memory" (automated production), July 1979
  • Patent US 4464752 "Multiple event hardened core memory" (radiation protection), August, 1984
 
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