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Kopenhagener Deutung



Die Kopenhagener Deutung ist eine Interpretation der Quantenmechanik. Sie wurde um 1927 von Niels Bohr und Werner Heisenberg während ihrer Zusammenarbeit in Kopenhagen formuliert und basiert auf der von Max Born vorgeschlagenen Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Wellenfunktion. Ihre modernere Variante der Ensemble-Interpretation ist die am weitesten verbreitete Interpretation überhaupt.

Danach ist der Wahrscheinlichkeitscharakter quantentheoretischer Vorhersagen nicht Ausdruck der Unvollkommenheit der Theorie, sondern des prinzipiell nicht-deterministischen Charakters von Naturvorgängen. Ferner wird in der ursprünglichen Variante der Interpretation darauf verzichtet, den Objekten des quantentheoretischen Formalismus, wie beispielsweise der Wellenfunktion, eine Realität in unmittelbarem Sinne zuzusprechen, sondern sie werden lediglich als Mittel zur Vorhersage von Messergebnissen interpretiert, die als die einzigen Elemente der Realität angesehen werden.

Die Quantentheorie und diese Deutungen sind damit von erheblicher Relevanz für das naturwissenschaftliche Weltbild und die Philosophie.

Inhaltsverzeichnis

Deutung des Zufalls in der Quantenphysik

Anders als die klassische Physik gestattet die Quantentheorie nicht für alle zugänglichen Messgrößen eine exakte Vorhersage. Stattdessen sind in der Regel nur Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich. Diese scheinbare Unvollkommenheit war insbesondere in der Zeit der Formulierung dieser Theorie und der Entdeckung der zugrunde liegenden Phänomene heftig umstritten. Bekannt wurde Albert Einsteins Einwand „Der Alte würfelt nicht“ (siehe auch EPR-Effekt).

Bis heute ist es trotz großer Anstrengungen jedoch nicht gelungen, eine allgemein akzeptierte und experimentell bestätigte Theorie für die Beschreibung von Vorgängen im Mikrokosmos zu finden, die hinsichtlich sämtlicher Messergebnisse deterministisch ist. So gibt es zwar Vorschläge für Theorien mit sogenannten verborgenen Variablen, die einen deterministischen Ablauf der Vorgänge gewährleisten sollen, sie haben jedoch aus den folgenden Gründen kaum Anhänger:

  1. Sie enthalten Größen, die sich weder direkt noch indirekt beobachten lassen, so dass es keine experimentellen Befunde gibt, über die sich eine solche Theorie bestätigen oder widerlegen lassen könnte.
  2. Aus der bellschen Ungleichung für klassische lokal-realistische Theorien und der auf Bell selbst zurückgehenden (und experimentell vielfach bestätigten) Widerlegung ihrer Gültigkeit für die Quantenmechanik folgt, dass die Quantenmechanik bzw. eine mit verborgenen Variablen deterministisch gemachte Erweiterung, die sich nicht im Widerspruch zur experimentellen Datenlage befände, nicht lokal-realistisch sein kann (genaueres dazu im Artikel über die schon genannte Ungleichung). Nichtlokalität würde bedeuten, dass ein Ereignis Ursache einer sofortigen Wirkung in beliebiger Entfernung sein könnte. Nach der Relativitätstheorie wäre wegen der Relativität der Gleichzeitigkeit dabei die zeitliche Reihenfolge von Ursache und Wirkung nicht definiert. Der Preis für den Determinismus wäre daher die Aufgabe der Kausalität. Das ist unerwünscht. (Umgekehrt formuliert: Die Kausalität zusammen mit der bellschen Ungleichung erzwingen gewissermaßen die statistische Interpretation der Theorie.)

Obwohl zur Zeit der Formulierung der Kopenhagener Deutung die bellsche Ungleichung nicht bekannt war, vollzieht diese Deutung dank der Überlegungen von Niels Bohr den radikalen Schritt der Abkehr vom Determinismus. Danach scheint der Wahrscheinlichkeitscharakter von beobachteten Vorgängen ein fundamentales Konzept der Natur und nicht die Folge von derzeit noch unbekannten Mechanismen zu sein.

Deutung des Formalismus der Quantenphysik

Physikalische Theorien bestehen aus einem Formalismus und einer zugehörigen Interpretation. Der Formalismus ist durch eine mathematische Symbolik realisiert, die Syntax, welche die Vorhersage von Messgrößen erlaubt. Diesen Symbolen können nun im Rahmen einer Interpretation Objekte der realen Welt und Sinneserfahrungen zugeordnet werden. Damit erhält die Theorie ein Bedeutungsschema, ihre Semantik.

Die klassische Physik zeichnet sich dadurch aus, dass sich ihren Symbolen problemlos Entitäten der Realität zuordnen lassen. Die Quantentheorie enthält jedoch formale Objekte, deren Abbildung auf eine vom Beobachter unabhängige Realität zu Schwierigkeiten führt. So wird beispielsweise in der Quantentheorie der Aufenthaltsort eines Teilchens nicht durch seine Ortskoordinaten in Abhängigkeit von der Zeit beschrieben, sondern durch eine Wellenfunktion, u.a. mit der Möglichkeit von scharfen Maxima an mehr als einer Stelle. Diese Wellenfunktion gestattet konsequenterweise lediglich für jeden Ort die Angabe einer Wahrscheinlichkeit dafür, bei einer Suche über eine Messung das Teilchen dort zu finden. Diese Wellenfunktion ist aber für ein einzelnes Teilchen nicht als ganzes vermessbar, da sie bei der ersten Messung vollständig verändert wird, ein Vorgang, der auch als Kollaps der Wellenfunktion interpretiert und bezeichnet wird.

Die Kopenhagener Deutung in ihrer ursprünglichen Version von Niels Bohr verneint nun die Existenz jeglicher Beziehung zwischen den Objekten des quantentheoretischen Formalismus einerseits und der realen Welt andererseits. Einzig den durch die Theorie vorhergesagten Messwerten, und damit klassischen Begriffen, wird Realität zugewiesen. Die Kopenhagener Deutung steht damit dem Positivismus nahe.

Konkret ist die Quantenmechanik nach der Kopenhagener Interpretation nichtreal, weil quantenmechanische Messungen die Eigenschaften des Systems nicht feststellen, sondern herstellen („präparieren“). Ferner ist sie nichtlokal, weil der Zustandsvektor |\psi\rangle gleichzeitig überall die Wahrscheinlichkeitsamplituden festlegt (z. B. |\psi\rangle\to\psi(x,y,z)).

Durch die Reduktion auf Messergebnisse ist insbesondere auch der Ort eines Teilchens zwischen zwei Messungen kein Element einer Realität. Er ist nicht einmal Element der Theorie. Diese Aussage hat Konsequenzen bezüglich des Verständnisses von Teilchen an sich. Es handelt sich damit lediglich um ein Phänomen, das in Portionen in Erscheinung tritt, und über dessen Fundort nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage anhand der zugeordneten Wellenfunktion möglich ist, ein Umstand, der als Welle-Teilchen-Dualismus bezeichnet wird. Die mit dem Begriff „Teilchen“ nach Maßstäben unserer Alltagserfahrung untrennbar verknüpfte Vorstellung, diese Portion müsse sich in jedem Moment an einem bestimmten Ort befinden und damit permanent als Teilchen Bestandteil der Realität sein, ist damit sinnlos.

Ensemble-Interpretation

Die Ensemble-Interpretation ist eine Variante der Kopenhagener Deutung, bei der die Quantentheorie nicht bezüglich einzelner Systeme, sondern bezüglich Ensembles von identisch präparierten Systemen betrachtet wird. Der Wellenfunktion kann damit ein höheres Maß an Realität zugewiesen werden, da sie auf diese Weise der Messung zugänglich wird. Damit wird auch der Kollaps der Wellenfunktion durch die Messung zu einem realen Vorgang. Diese Interpretation der Quantentheorie ist die am weitesten verbreitete. Unter der Kopenhagener Deutung wird daher auch oft nur der nichtdeterministische Aspekt der Quantenphysik verstanden.

Weitere Deutungen der Quantenphysik

Weitere bedeutende Interpretationen der Quantentheorie sind die folgenden:

  • Die everettsche Viele-Welten-Interpretation postuliert, dass alle über die Wahrscheinlichkeiten der Quantenphysik möglichen Messergebnisse sich zugleich in verschiedenen Universen einstellen, während jeder zugehörige Beobachter nur ein bestimmtes Messergebnis wahrnimmt. Diese Interpretation hat trotz ihrer scheinbaren Exotik nach der Kopenhagener Deutung die zweitgrößte Anhängerschaft. Das mag damit zusammenhängen, dass sie für manche offene Fragen der modernen Physik am ehesten eine Antwort geben kann, wie beispielsweise bei dem Paradoxon, das die Möglichkeit einer Zeitreise in die eigene Vergangenheit in der unmittelbaren Umgebung bestimmter Schwarzer Löcher darstellt.
  • Die bohmsche Mechanik ist eine Theorie mit verborgenen Variablen. Danach bewegen sich die Teilchen klassisch in einem Potenzial, das mit der Wellenfunktion selbst verknüpft ist. Abgesehen von den mit verborgenen Variablen verbundenen generellen Problemen ist bisher noch keine überzeugende Erweiterung auf relativistische Situationen gelungen.
 
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