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Oszillierende Reaktion



In der Chemie versteht man unter einer oszillierenden Reaktion eine Form des Ablaufs sehr komplexer chemische Reaktionen, bei denen sich die Reaktionsgeschwindigkeit nicht monoton ändert, sondern periodische Schwankungen aufweist. Es handelt sich dabei um einen Sonderfall dissipativer Strukturen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann es auch zu aperiodischen, nicht-monotonen Änderungen kommen – das System verhält sich dann chaotisch. Man kann zwischen oszillierenden Reaktionen in heterogenen oder homogenen Medien unterscheiden, wobei die heterogenen Reaktionen explizit an Phasengrenzflächen gebunden sind. Oszillierende Reaktionen sind weit verbreitet. Man interessiert sich für sie jedoch nicht nur aus theoretischen Interesse (als bekanntestes Beispiel die Belousov-Zhabotinsky-Reaktion) oder technischen Gründen (Reaktionsführung in der Chemischen Industrie). Vielmehr sind sie von immenser Bedeutung für das Leben. So fungieren sie als Taktgeber für periodische Prozesse (Sinusknoten des Erregungsbildungssystem des Herzens)) oder synchronisieren die Nerventätigkeit im Gehirn. Sie spielen außerdem eine wichtige Rolle bei der elektrochemischen Auflösung von Metallen in Säure und der Oxidation von Kohlenmonoxid, Schwefelwasserstoff- und Kohlenwasserstoffen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Während sich ein breites Interesse für oszillierende Reaktionen zunächst nur an Systemen in homogenen Medien fand, waren es jedoch heterogene Systeme, an denen ein derartiges Verhalten zuerst – und schon sehr früh – beobachtet wurde. Die Erstbeschreibung einer solchen Reaktion wurde 1828 von Gustav Theodor Fechner veröffentlicht.[1] 1833 entdeckte John F. W. Herschel, bekannt als Astronom und Erfinder der Cyanotypie, periodische Reaktionen beim Auflösen von Eisen in Salpetersäure für bestimmte Konzentrationen der Säure.[2] Oszillierende Reaktionen sind häufig bei elektrochemischen Vorgängen anzutreffen, wo über sie ebenfalls schon früh und zahlreich berichtet wurde, so u. a. 1842 von Christian Friedrich Schönbein oder 1844 von James Prescott Joule.

Die erste oszillierende Reaktion in einem homogenen Medium wurde 1921 von William C. Bray beschrieben.[3] Dieser untersuchte die katalytische Zersetzung von Wasserstoffperoxid in Gegenwart von Iodat und bemerkte eine periodisch schwankende Sauerstoffentwicklung. Die Publikation fand jedoch nur wenig Beachtung; auch wurde behauptet, das periodische Verhalten ginge von Verunreinigungen aus, die heterophasige Grenzflächen schaffen würden. Letztere galten seinerzeit als Voraussetzung für das Auftreten solcher Oszillationen.

Interessanterweise beschäftigte sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts der Mathematiker Alfred James Lotka theoretisch mit periodischen Reaktionen.[4] In dieser seinerzeit ebenfalls unbeachtet gebliebenen Arbeit stellt er ein autokatalytisches Reaktionsschema vor, welches oszillierend zum Gleichgewicht findet. Lotka leistete später wichtige Beiträge zur Populationsdynamik (Lotka-Volterra-Regeln, „Schweinezyklus“), deren mathematische Modellierung weitgehende Analogien zu eben jener von oszillierenden Reaktionen enthalten.

Erst die sehr zögerlich auf eine Veröffentlichung Beloussows[5] – wiederum nahezu unbeachtet in einem zumal fachfremden Blatt, da die entsprechenden Fachblätter die Annahme seines Artikels verweigerten bzw. Beloussow deren weitgehende Revisionsvorschläge nicht akzeptieren konnte – hin erfolgende Erforschung des homogenen Systems Bromat/Cer(IV)-Salz/Malonsäure, beginnend mit Arbeiten von Anatol Zhabotinsky 1964[6], zeigte, dass es sehr wohl derartige homogene Reaktionen gibt. 1972 veröffentlichten Richard J. Field, Endre Körös und Richard M. Noyes einen Mechanismus[7] (FKN-Mechanismus) zur Modellierung der Belousov-Zhabotinsky-Reaktion: mit ihrer Aufstellung von 18 Teilreaktionen mit 21 beteiligten Species belegten sie die hohe Komplexizität dieses Systems.

Voraussetzungen

Das Auftreten einer oszillierenden Reaktion ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden:

  • Das System ist weit vom thermodynamischen Gleichgewicht entfernt (hohe Exergonie der Reaktion, ΔG << 0).
  • Im System besitzt mindestens einen Reaktionsschritt, der eine positive/negative Rückkopplung beinhaltet (z.B. durch Autokatalyse oder Autoinhibition) und dadurch einen nichtlinearen Zusammenhang herstellt.
  • Das System hat mindestens zwei stationäre Zustände.
  • Das System muss für den Stoff- und Energieaustausch mit der Umgebung offen sein.

Nichtlinearität der Reaktion

Die Nichtlinearität kann beispielsweise durch autokatalytische Teilschritte, rhythmischer Passivierung der Elektroden (bei elektrochemischen Prozessen), oder Temperaturänderung hervorgerufen werden. Dabei tritt ein Effekt auf, der in der Regelungstechnik als Rückkopplung bezeichnet wird. Die Resultate von bestimmten Teilschritten (etwa Änderung der Temperatur/Konzentration/ Elektrodenzustand) wirken zurück auf die Geschwindigkeitskonstanten oder Konzentrationen und beschleunigen oder verzögern dadurch den Reaktionsablauf.

Modellierung

Da stets eine große Anzahl einzelner gekoppelter Schritte notwendig sind, sind die Mechanismen der oszillierenden Reaktion bis heute nicht genau bekannt. Allerdings existieren verschiedene Reaktionsmodelle, die unter bestimmten Voraussetzungen Oszillation zeigen. Das einfachste Modell einer Reaktion A → B stammt von Lotka:

A + x → 2X (1) X + Y → 2Y (2) Y → B (3)

Die Teilschritte (1) und (2) sind autokatalytische Reaktionen. Sie verursachen die Rückkopplung.

Bistabilität

Neben der Oszillation tritt in einem solchen System auch Bistabilitäten auf. Dabei gibt es zwei stabile Reaktionszuständen (einer mit hohem/ein anderer mit niedriger Reaktionsgeschwindigkeit oder Intermediatkonzentration) die das System wahlweise annehmen kann. Durch Störung des Systems von außen wird unter Umständen der eine Zustand bevorzugt.

Beispiele

Auftreten in biologischen Systemen

Viele biochemische Reaktionen haben die Voraussetzungen (so u. a. durch kompetitive Hemmung von Enzymen), unter gegebenen Bedingungen zu oszillieren. Beobachtet wurde dies z. B. bei Reaktionen der Glycolyse oder der Zellatmung. Auf oszillierenden Reaktionen beruht auch die Taktgebung des Herzschlags (siehe Sinusknoten). Um Oszillationen mit erheblich längeren Perioden beginnend im Minutenbereich handelt es sich bei den in der Chronobiologie untersuchten biologischen Rhythmen (siehe auch circadiane Rhythmik, ultradiane Rhythmik). Diese hängen nicht nur von äußeren Faktoren (Sonnenlicht, Temperatur) ab; vielmehr wird der Zeittakt in gewissen Zellarealen (so im Nucleus suprachiasmaticus) generiert. Die genauen biochemischen Hintergründe liegen jedoch noch im Dunklen.[8] Oszillierende Systeme in Lebewesen lassen sich auch als komplexe zwei- und dreidimensionale Strukturen visualisieren, wie sie beispielsweise von intrazellulären Ca2+-Wellen[9] ausgebildet werden.

Quellen

  1. M. G. Th. Fechner: Über Umkehrungen der Polarität in der einfachen Kette. In: Schweiggers Journal für Chemie und Physik 53, S. 129–151, 1828
  2. J. F. W. Herschel: Note sur la manière d’agir de l’Acide nitrique sur le Fer. In: Annales de chimie et de physique. 54, S. 87–94, 1833
  3. W. C. Bray: A Periodic Reaction in Homogeneous Solution and Its Relation to Catalysis. In: J. Am. Chem. Soc. 43, S. 1262–1267, 1921
  4. A. J. Lotka: Contribution to the theory of periodic reactions. In: J. Phys. Chem. 14, S. 271–274, 1910
  5. B. P. Belousov: Eine periodische Reaktion und ihr Mechanismus. (auf Russisch) In: Sbornik referatov po radiatcionnoj meditsine za 1958 god. 147, S. 145, 1959
  6. A. M. Zhabotinsky: Der periodische Verlauf der Oxidation von Malonsäure in Lösung (auf Russisch) In: Biofizika 9, S. 306, 1964
  7. R. J. Field, E. Körös, R. M. Noyes: Oscillations in Chemical Systems II. Thorough Analysis of Temporal Oscillation in the Bromate-Cerium-Malonic Acid System. In: J. Am. Chem. Soc. 94, S. 8649–8664, 1972
  8. S. Honma, K. Honma: The biological clock: Ca2+ links the pendulum to the hands. In: Trends in Neurosciences 26, S. 650–653, 2003
  9. J. Lechleiter, S. Girard, E. Peralta, D. Clapham: Spiral calcium wave propagation and annihilation in Xenopus laevis oocytes. In: Science 252, 123–6, 1991
 
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