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PolywasserUnter dem Begriff des Polywasser (auch anomales Wasser genannt) versteht man die Theorie, dass sich unter Oberflächeneffekten eine Polymerstruktur des Wassers ausbilden kann, die besondere physikalische Eigenschaften aufweist. Das sogenannte „Polywasser“, dessen Erforschung hauptsächlich in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts in der UdSSR stattfand, konnte dann nach einem Zeitraum von etwa zehn Jahren der Erforschung nicht mehr reproduziert werden und wird oft als Beispiel für eine pathologische Wissenschaft genannt. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
GeschichteDas Phänomen wurde 1962 erstmals von dem russischen Forscher Nikolai N. Fedyakin in einem Labor in der russischen Stadt Kostrama beobachtet. Bei Langzeitexperimenten in Kapillaren fiel ihm auf, dass in einigen wenigen dünnen Kapillaren Abtrennungen zwischen verschiedenen Wassersäulen stattgefunden hatten. Verwundert wegen der Tatsache, dass es doch der gleiche Stoff sein sollte und damit kein Grund für eine Abtrennung vorlag, untersuchte Fedyakin die abgetrennten Bestandteile - so gut es ihm aufgrund der Feinheit der Kapillaren eben möglich war. Anscheinend war der Siedepunkt der kondensierten Flüssigkeit wesentlich höher als der des normalen Wassers[1]. Als Fedyakin seine Ergebnisse berichtete, übernahm der damals berühmte Forscher und Experte im Bereich der Festkörperphysik Boris V. Deryagin die Untersuchungen dieses offensichtlich modifizierten Wassers. Deryagin war ein angesehener Experimentalphysiker und wusste, dass Verunreinigungen die Eigenschaften von Substanzen drastisch ändern können. Deshalb führte er einige Tests durch, die zu seiner Befriedigung ergaben, dass es sich nicht um Artefakte handeln konnte. Weitere Versuche wurden in Kapillaren aus Pyrex und Quarzglas durchgeführt, die das Herauslösen eventueller Bestandteile verhindern sollten. Das verwendete Wasser wurde laut den sowjetischen Wissenschaftlern auf höchste Reinheit geprüft und die Kapillaren so gut wie möglich gereinigt und sauber gehalten. EigenschaftenDie nun untersuchte, damals noch anomales Wasser oder modifiziertes Wasser genannte Flüssigkeit besaß den Experimenten zufolge erstaunliche Eigenschaften. Die Viskosität war mit Sirup vergleichbar und um den Faktor 15 höher als bei normalem Wasser. Die thermische Ausdehnung betrug das 1,5fache von normalem Wasser, es verfestigte sich erst bei unter -30° C und das Verfestigen geschah nicht an einem Gefrierpunkt, sondern über ein Gefrierintervall bis zu -60° C. Das modifizierte Wasser siedete bei einer Temperatur von 150° C bis 250° C und wies eine Dichte von 1100 bis 1400 Kilogramm pro Kubikmeter (gewöhnliches Wasser besitzt eine Dichte von 1000 kg/m³) auf; die Werte hingen von den Versuchsbedingungen ab. Auch modifiziertes Wasser besaß ein Dichtemaximum vor dem Erstarren, die höchste Dichte wurde jedoch erst bei -8° C erreicht. Das modifizierte Wasser bildete sich allerdings nur in maximal 30-40 % der untersuchten Kapillaren aus und die Kapillare selbst durfte nicht mehr als 0,1 mm Innendurchmesser besitzen, was die experimentelle Untersuchung erschwerte. ReaktionWährend in der Sowjetunion teilweise bis zu 27 Wissenschaftler mit der Auswertung und den Experimenten zum anomalen Wasser beschäftigt waren, wurde die Arbeit im Westen mangels kompetenter Übersetzungskapazitäten und Unterschätzung der wissenschaftlichen Arbeit in der UdSSR übersehen. 1965 fand ein Kongress des IUPAC in Moskau statt, aber wiederum machte das mangelnde Übersetzungssystem die Bedeutung von Deryagins Arbeit nicht hinreichend klar. Im September 1966 fand in Nottingham, England die weltweit angesehene Faraday-Diskussionsveranstaltung statt und Deryagin nutzte die Gelegenheit, seine Arbeit[2] dort zu erläutern. Der gewählte Titel seiner Vorlesung verschleierte allerdings eher die Tragweite von Deryagins Arbeit, so dass er nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit ernten konnte. Da Deryagin jedoch in England verschiedene Labore besuchte und auch dort Vorträge hielt, wurden englische Forscher schließlich aufmerksam und einigen gelang es daraufhin erfolgreich, anomales Wasser zu reproduzieren. Allerdings hatten schon damals andere Labore Probleme, dieses Wasser herzustellen, was Deryagin herablassend mit unzureichender Erfahrung der Experimentatoren erklärte. Am 24. Mai 1969 schließlich wurde eine Untersuchung des von Lyonel J. Bellamy hergestellten anomalen Wassers unter der Federführung des amerikanischen Spektroskopikers Ellis R. Lippincott veröffentlicht. Diese kam zu dem eindeutigen Schluss, dass es sich um eine andere Substanz als gewöhnliches Wasser handeln müsse, eine bisher unbekannte Molekülverkettung von Wasser, sozusagen „polymerisiertes Wasser“ oder kurz „Polywasser“. Lippincott und sein Kollege R. R. Stromberg veröffentlichten schließlich am 27. Juni 1969 einen zusammenfassenden Artikel „Polywater“ (Polywasser) über Ihre Ergebnisse in der angesehenen Zeitschrift Nature. Aufbruchstimmung und HysterieNach der Veröffentlichung brach eine Flut wissenschaftlicher Publikation und Nachforschung im Westen aus. Zeitschriften überschlugen sich mit Sensationsnachrichten (wobei teilweise wegen der Animositäten zur UdSSR der Anschein erweckt wurde, es handle sich um eine westliche Erfindung[3]). Ein amerikanischer Wissenschaftler, F. J. Donahue, nahm die Vermutung Deryagins, Polywasser sei die stabilste Form des Wassers, ausgesprochen ernst und warnte eindringlich davor, Polywasser ohne äußerste Vorsichtsmaßnahmen zu produzieren[4]. Wenn Polywasser wirklich stabiler als normales Wasser wäre, würde es normales Wasser bei Kontakt zwingen, seine Konfiguration in die des Polywassers zu ändern: Sämtliches Wasser auf der Erde würde also unumkehrbar nach und nach umgewandelt und das Leben würde aufhören zu existieren (analog zu unterkühltem Wasser, das mit einem Impfkristall in Berührung kommt und sofort zu kristallisieren beginnt). Dieses Weltuntergangsszenario wurde schon vorher im Roman „Cat's Cradle“ von Kurt Vonnegut mit der damals hypothetischen Substanz Eis-IX (Eis neun) beschrieben. Es sei angemerkt, dass das inzwischen entdeckte reale Eis-IX nichts mit seiner literarischen Form gemein hat. Die Antwort von Wissenschaftlern in der gleichen Ausgabe von Nature war, dass es ausgesprochen schwierig sei, Polywasser herzustellen und dass es auf der Erde seit Milliarden von Jahren Wasser in der Nähe von Quarz gäbe. Wenn die Gefahr real wäre, hätte eine Bildung schon längst stattfinden müssen. Donahue wurde wegen der Aufregung, die er auch in der Presse verursacht hatte, getadelt. EndeDurch die fortschreitende Reinigungstechnik wurde es immer schwieriger, das Polywasser zu reproduzieren. Schließlich meldeten sich zunehmend kritische Stimmen, insbesondere da der Verdacht von Verunreingungen nicht ausreichend ausgeräumt werden konnte. Es zeigte sich beispielsweise im Nachhinein, dass Zhelezhny, einer der ersten Mitarbeiter von Deryagin, heimlich eine Probe des Polywassers an einen ostdeutschen Spektroskopiker geschickt hatte, welcher beträchtliche Verunreinigungen fand. Als Deryagin von Zhelezhny darauf hingewiesen wurde, bestand die einzige Reaktion von Deryagin darin, Zhelezhnys Name von allen weiteren Publikationen streichen zu lassen. Eine unangenehme Wendung nahm die Polywasser-Debatte, als der Chemiker Dennis Rousseau von den Bell Labs im Time Magazin am 19. Oktober 1970 unterstellte, Polywasser wäre nur Schweiß. Er hätte sein Hemd nach einem Handballspiel ausgewrungen, die Substanz unter einem Infrarotspektrometer untersucht und dieselben spektralen Charakteristiken wie Polywasser gewonnen[5]. Diese Vermutung wurde wissenschaftlicher als „biologische Kontamination“ sowohl in Science als auch im Journal of Colloid and Interface Science zusammen mit kaum verhüllten persönlichen Angriffen publiziert. Der nun entstandene Imageschaden führte zum Entzug der Forschungsgelder, obwohl Rousseaus Ergebnisse nicht reproduziert werden konnten und er damit entgegen einer weitverbreiteten Sichtweise von Wissenschaftlern und Skeptikern nichts zur Klärung der Polywasser-Debatte beigetragen hatte. Ein Problem des Polywassers war von Anfang an, dass sich die Untersuchenden aufgrund Ihres vermuteten Entwicklungsvorsprungs und dem Kampf um Forschungsgelder weigerten, Proben auszutauschen oder zusammenzuarbeiten. Ein weiteres Problem war die schon damals gängige Praxis, möglichst viel zu publizieren, um sich einen Namen zu machen, worunter die Qualität der Forschung litt. 1970 und 1971 wurde der größte Teil der Forschungen durchgeführt, aber die Geldgeber kürzten aufgrund des Imageschadens nach und nach die Mittel, so dass bis heute nicht klar ist, was Polywasser eigentlich war oder welche Verunreinigungen die publizierten Eigenschaften erzeugt haben. Als die Kritik schließlich immer lauter wurde und Deryagin gezwungen war, die fehlende Reproduzierbarkeit des Polywassers anzuerkennen, zog er 1973 seine Behauptungen vollständig zurück[6] und das Polywasser verschwand aus der wissenschaftlichen Forschung. Quellen
Literatur
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Polywasser aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar. |