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Reitwerk



Reitwerke (auch Reidtwerk, von ahd. rîtan „herstellen, zurechtmachen, bereitmachen, fertigmachen“, im Neuhochdeutschen nur noch im Kompositum bereiten) sind vorindustrielle Eisenproduktionsstätten, die vom Hochmittelalter bis zur Industrialisierung zuerst in der Eifel und später in der Voreifel am Vichtbach und Wehebach betrieben wurden. Mit ihrer Entwicklung im 14. Jahrhundert kam der Beruf des Reitmeisters (auch Reidtmeisters) auf.

Inhaltsverzeichnis

Technik und Geschichte

Reitwerke entstanden im Spätmittelalter in der Eifel. Die ersten Hütten wurden z. B. in Eisenschmitt und Eiserfey bereits Anfang und Mitte des 14. Jahrhunderts gegründet. Ihre Verbreitung wurde durch einen erhöhten Bedarf der in dieser Epoche neu entstandenen Städte und durch spätmittelalterliche Preissteigerungen bei Fertigwaren und Preisverfall bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen begünstigt (diese Divergenz wurde wahrscheinlich durch den Bevölkerungsschwund infolge der Pest ausgelöst). Die so erwerbslos gewordene Landbevölkerung konnte in und um die Reitwerke ihr Brot verdienen: neben Fachkräften beschäftigten die Reitwerke und ihre Nebenbetriebe auch eine große Anzahl ungelernter Arbeiter für die Holzkohle- und Erzgewinnung sowie den Transport dieser Güter.

Reitwerke vereinen zwei Produktionsschritte, das Verhütten und Schmieden des Eisens. Dazu wurden zwei hochmittelalterliche Innovationen eingesetzt, der Hochofen, der den seit Beginn der Eisenverarbeitung eingesetzten Rennofen ablöste, und die Wasserkraft, welche Blasebälge und Schmiedehämmer antrieb und die Eisenverarbeitung von den Höhen in die Täler lockte. Die Hammerwerke befreiten mit den schweren, mechanisch arbeitenden Auswurf- oder Rohstahlhämmern die im Stückofen aus Eisenerz und Holzkohle zusammengeschmolzenen Rohlinge von Schlacken. Später wurden die Hämmer auch zum Recken und Breiten von Rohmaterial benutzt und brachten so die gewonnenen Rohlinge in die gewünschte Form. Bei Frost, Hoch- oder Niedrigwasser musste die Arbeit in den Reitwerken ruhen.

Im Einzelnen umfasste der Produktionsprozess eines Reitwerks folgende Betriebseinheiten und Gebäude: Blech nannte man den Platz, wo die angelieferten Erze und Kohlen gewogen wurden. Die Kohlen lagerten in einem eigenen Schuppen. Der Eisenstein wurde an einem eigenen Platz gewaschen und lagerte dann in einem Melder oder Möller bis zur Beschickung des Hochofens. In der Früh- oder Frischschmiede wurde dem Roheisen der Kohlenstoff entzogen. In der Hammerschmiede wurde Stabeisen geschmiedet, in der Schlacken- oder Schnorrenmühle die Schlacken zerkleinert, Resteisen gesammelt und zum Schluss Sand hergestellt. Sie war meist ein Pochwerk. Sechs Wasserräder wurden benötigt: Eines für das Gebläse des Hochofens, je zwei für Blasebälge und Hammer von Frühschmiede und Hammerschmiede und eines für die Schlackenmühle. In einem Graben wurde das Wasser gestaut und mit Hilfe von Erk (Wehr) und Schütz auf die Räder geleitet.

Der hohe Holzkohlebedarf der Reitwerke, die Holzkohle zum Heizen und Reduzierung einsetzten, so dass für die Gewinnung von 15 Kilogramm Eisen 23 Kubikmeter Holz verkokelt werden mussten, führte in Eifel und Voreifel zu Kahlschlag der Buchen- und Birkenwälder, deren Holz am besten für die Holzkohle geeignet war, die in den Reitwerken Verwendung fand, und damit zu einer empfindlichen Verknappung dieses Werkstoffes, auch wenn die Obrigkeit, die ansonsten die Ansiedlung von Reitwerken als willkommene Einnahmequelle förderte, diesem Raubbau durch Erlasse entgegentrat. Die Randlage, in die die Eifler Eisenindustrie durch den Anschluss an Preußen nach 1815 geriet, war - verbunden mit der schlechten Verkehrsanbindung des zum Truppenaufmarschgebiet und Fichtenlieferanten degradierten „Preußisch-Sibirien“ - ein weiterer Grund für den Niedergang. Doch letztlich gab der technische Fortschritt, der zur Entstehung der Reitwerke und frühneuzeitlichen Eisenindustrie in Eifel und Voreifel geführt hatte, dieser Produktionsform den Todesstoß. Durch den Einsatz von Koks bei der Eisenverhüttung und der witterungsunabhängigen Dampfmaschine bei der Weiterverarbeitung (v.a. in Walzwerken) verloren die Reitwerke ihre Wirtschaftlichkeit und wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts in Eifel und Voreifel stillgelegt. Die Eisenindustrie wanderte in die Steinkohlenreviere und zu ergiebigeren Erzlagern ab.

Reitwerke und Eisenhämmer am Vichtbach und Wehebach

Mit Ausnahme von Mulartshütte liegen sie heute sämtlich in Stolberg bei Aachen.

Vichtbach

Zwischen Oberstolberg und Vicht lagen die Reitwerke Dollartshammer, Bernardshammer, und Binsfeldhammer. Von ihnen ist nur der Bernardshammer erhalten. Wegen Holzkohlemangels wurden im 18. Jahrhundert diese Reitwerke aufgegeben und von den Kupfermeistern zu Kupferhöfen umgebaut. Andere Reitwerke fungierten nach dem Ende der Eisenherstellung als Kupfer- oder Kornmühlen. Endgültig zum Erliegen kam das Eisengewerbe im heutigen Stolberg erst im Laufe des 19. Jahrhunderts.

Vicht war der wichtigste Standort von Reitwerken. Erhalten sind das Henneswerk (Wohnhäuser, Schuppen, Teich), Junkershammer, Neuenhammer, Platenhammer (Frischöfen), Stollenwerk (nur Wohnhäuser). Von ihnen ist der Junkershammer zwischen Vicht und Zweifall der bedeutendste. In der Mitte des 17. Jahrhunderts erwarb ihn Jeremias Hoesch II (der Jüngere) ganz und machte ihn zum modernsten Reitwerk im Jülicher Land. Hierher verlagerte er die Holzkohlerechte von Kirchenhütte und Vichter Hütte. Nicht erhalten sind in Vicht Klapperhammer (zwischen Junkershammer und Vicht-Jägersfahrt) und die Vichter Hütte nördlich der heutigen Leuwstr. (hinter dem Nepomuk-Bildstock), deren Hammerwerk Konradshammer hieß.

In Zweifall lassen die Flurnamen Alter Hammer, Altwerk, Werkerhütte (ca. 1500 bis 1800 in der Nähe der heutigen Werkerstr.) auf ein früheres Reitwerk schließen. Die Cronenhütte (ca. 1500 bis 1800 an der heutigen Hammerbendstr.) ist wahrscheinlich nach ihrem Gründer benannt. Die Kirchenhütte stand in unmittelbarer Nähe der katholischen Kirche und war lange Zeit zu ca. zwei Dritteln im Besitz der Zweifaller Familie Kettenis. 1637 bis 1641 kaufte Jeremias Hoesch die Anteile der Kirchenhütte nach und nach auf und verlagerte auch ihre Eisenproduktion und ihr Recht auf Holzkohle zum Junkershammer. Die Kirchenhütte selbst wurde zur Kornmühle umgebaut.

Vichtaufwärts von Zweifall liegt die Mulartshütte, welche dem heutigen Ortsteil von Roetgen den Namen gegeben hat und wohl nach ihrem Begründer Mulart benannt ist.

Wehebach

Die Schevenhütte gab wie im Falle von Mulartshütte dem Ort Schevenhütte den Namen, wo die Voraussetzungen für Eisenerzeugung mittels Reitwerken gut waren: Erze wurden entweder vor Ort gefunden oder kamen aus nicht weit entfernten Förderungsstätten wie Vicht, Zweifall oder Gressenich, Holz aus den umliegenden Wäldern für die Herstellung der Holzkohle war reichlich vorhanden, Wasser zum Betrieb der Hämmer und Blasebälge spendete der Wehebach, und ein uralter Verkehrsweg durch den Ort ermöglichte den An- und Abtransport. Der Raubbau an den Wäldern mit der daraus resultierender Verknappung des Energieträgers Holzkohle und erhöhte Transportkosten, die Übernahme des Rheinlandes durch Preußen 1815 mit dem dadurch bedingten Verlust von Absatzmärkten und nicht zuletzt der Einsatz von Koks statt Holzkohle als Reduktionsmittel führten im 19. Jh. auch in Schevenhütte zum Niedergang der Reitwerke.

1849 werden die beiden Eisenhämmer zum Schmieden des Eisens am Wehebach, der eine am sog. Hammer nördlich und der andere am Joaswerk am südlichen Ortseingang, stillgelegt. 1895, als Pfarrer Anton Bommes seine Schrift „Zur Geschichte des Ortes Schevenhütte im Landkreis Aachen“ verfasste, waren sie noch teilweise erhalten.

Länger dauerte die Agonie der „Schevenhütte“, die in der Mitte des Dorfes auf dem sogen. „Hüttenplatz“ (heute gegenüber der Gaststätte „Waldfriede“) stand. Sie umfasste einen Eisenschmelzofen mit Gießerei.

Johannes Tilman Joseph Esser (1782-1855), der letzte Reitmeister von Schevenhütte, unternahm nach der Stilllegung des Hüttenwerkes um die Mitte des 19. Jahrhunderts außerordentliche Anstrengungen zum Erhalt der Gießerei, die noch bis zum Jahre 1870 betrieben wurde.

Auch Heinrich (Henri) Hoesch III (1800-1879) – seine Familie gründete den späteren Weltkonzern – besaß Anteile an der „Schevenhütte“. Seine Nachfahren versuchten, die Reste der alten Hütte samt Grundstück für den geplanten Kirchenneubau in Schevenhütte zu verkaufen. Ausgeschlossen vom geplanten Verkauf waren das große eiserne Rad, das Wehr sowie die ganze bis dahin besessene Wassergerechtsame. 1889 wurde die Gießerei niedergelegt.

Von der Eisenverarbeitung künden heute noch Straßennamen wie „Im Hammer“, „Joaswerk“ oder „Hüttensiefen“.

Geschichte der Reitmeister

Mit der Entwicklung von Reitwerken im 14. Jahrhundert kam der Beruf des Reitmeisters zuerst in der Eifel auf. Religiöse Verfolgung ließ in der Mitte des 16. Jahrhunderts Hugenotten aus den Niederlanden und Frankreich in die Eifel flüchten: die niederländischen Familien Wolgart und Peuchen und die französischen Familien Virmond und Poensgen. Die Eifeler Reitmeister betrieben neben ihrem Eisengewerbe einen mehr oder minder großen Ackerbau und nannten „Ackerer“ als ihren Hauptberuf. Bekannte Eisenfabrikanten der napoleonischen Ära waren Schoeller, Cramer, Virmont, Peuchen, Bastian, Poensgen und Axmacher. In der Voreifel, vornehmlich auf dem heutigen Gebiet der Stadt Stolberg bei Aachen, waren noch vor der Ankunft der messingverarbeitenden Kupfermeister in der Herrlichkeit Stolberg die Reitmeister am Oberlauf des Vichtbaches in Vicht, Zweifall und Mulartshütte sowie in Schevenhütte am Wehebach tätig. Wie die Kupfermeister erhielt dieses Gewerbe an der Vicht Impulse durch Aachener Protestanten. Über mehrere Jahrhunderte war die Familie Hoesch, ursprünglich Aachener Kupfermeister, die führenden Reitmeister im Vichttal. Die Wasserkraft von Vicht und Wehe, Eisenvorkommen in der Nähe (Vichter Eisenstein) und ausgedehnte Waldgebiete für die Herstellung von Holzkohle waren ausgezeichnete Standortfaktoren.

Üblicherweise hielten mehrere Reitmeister Besitzanteile an einem Reitwerk, d. h. sie bildeten eine Gewerkschaft. Diese Besitzanteile nannte man „Tage“, da sie ursprünglich das Recht zur Nutzung des Reitwerks an bestimmten Tagen innerhalb eines Zyklus von 24 Tagen bedeuteten. Diese gemeinschaftliche Wirtschaftsform brachte eine breite Streuung des bescheidenen Wohlstands mit sich.

Anfangs überwachten und organisierten die Reitmeister selbst die Produktion, doch mit steigendem Wohlstand stellten sie für diese Aufgabe Hüttenmeister ein und verlegten sich auf die kaufmännische und technische Verwaltung. Außerdem hielten sie Kontakt zu den Absatzmärkten und insbesondere zur Obrigkeit.

Die gestiegenen Holzkohlepreise ab ungefähr 1700 zwangen in der Folge viele Reitmeister zur Aufgabe oder Verlagerung ihres Gewerbes, entweder in die Eifel (Kalltal, Schleidener Tal) oder nach Düren (so ein Spross der Familie Hoesch, der von hier ins Ruhrgebiet gelangte, wo er den gleichnamigen Stahlkonzern begründete). Ganz aufgegeben wurde das Eisengewerbe erst im Verlaufe des 19. Jahrhunderts.

Heute zeugen erhaltene Reitwerke und Flurnamen in der Eifel und Voreifel vom Wirken der Reitmeister.

Literatur

  • Mätschke, Dieter, Stolberger Wanderungen. Bd. 2: Im Naturpark Nordeifel, Meyer & Meyer Verlag Aachen 1991, S. 65-78. ISBN 3-89124-105-4
  • Ramm, Hans-Joachim (Redaktion), Mühlen, Hammerwerke und Kupferhöfe im Tal der Vicht und ihre Besitzer, Beiträge zur Stolberger Geschichte Bd. 23, Stolberg 1998, ISBN 3-926830-12-3
 
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