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Reserpin



Strukturformel
Allgemeines
Name Reserpin
Andere Namen
  • Serfin, Serpasil [1]
  • (1S,2R,3R,4aS,13bR,14aS)-2,11-Dimethoxy-3- (3,4,5-trimethoxybenzoyloxy)- 1,2,3,4,4a,5,7,8,13,13b,14,14a-dodecahydro- indolo[2',3':3,4]pyrido[1,2-b]isochinolin-1- carbonsäuremethylester
Summenformel C33H40N2O9
CAS-Nummer 50-55-5
Arzneistoffangaben
Wirkstoffgruppe

Antihypertensivum

ATC-Code AA52,AX15
Eigenschaften
Molare Masse 608,7 g/mol
Aggregatzustand fest
Schmelzpunkt 264–265 °C [2]
Löslichkeit

gut in Chloroform, weniger in Wasser, Benzol, Essigester, kaum in Aceton, Methanol, Ether

Sicherheitshinweise
Gefahrstoffkennzeichnung [3]

Xn
Gesundheits-
schädlich
R- und S-Sätze R: 22
S: 22-36/37/39
Bitte beachten Sie die eingeschränkte Gültigkeit der Gefahrstoffkennzeichnung bei Arzneimitteln
LD50

15 mg/kg (Ratte, i.v.) [2]

WGK 3 (stark wassergefährdend) [3]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Reserpin ist ein Indolalkaloid einiger Hundsgiftgewächse der Gattung Rauvolfia. Früher wurde es in der Psychiatrie als Neuroleptikum bei Schizophrenie eingesetzt, heute jedoch hauptsächlich als Mittel gegen Bluthochdruck. Wegen seines Wirkmechanismus, der auf der Hemmung der Aktivität des sympathischen Nervensystems beruht, wird es auch als Antisympathotonikum bezeichnet. In der Therapie des Bluthochdrucks hat Reserpin, wie viele Antisympathotonika, einiges an seiner früheren Bedeutung verloren: Aufgrund zahlreicher Nebenwirkungen ist es nicht mehr das Mittel der Wahl.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft

Reserpin wird aus den Wurzeln von Kletterpflanzen der Unterfamilie Rauvolfioideae gewonnen, primär aus der Indischen Schlangenwurzel (Rauvolfia serpentina), die einen Reserpin-Gehalt von 0,04–0,05 %[1] besitzt, aber auch aus der mexikanischen Rauvolfia heterophylla und der australischen Bitterrinde („Iodstrauch“; Tabernaemontana orientalis, auch Asternia constricta).[4]

Geschichte

In Indien findet die Wurzel der dort auch als „Sarpagandha“[5] bezeichneten Rauvolfia serpentina, welche auch Yohimbin enthält, bereits seit Jahrhunderten vor allem als Beruhigungsmittel, aber auch als Allheilmittel[5] Verwendung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde berichtet, dass eines der über zwanzig Alkaloide der Pflanze eine blutdrucksenkende Wirkung besäße. Der erste Artikel, der sich mit dem psychiatrischen Einsatz von Reserpin auseinandersetzte, wurde im Jahr 1931 von den Indern Sen und Bose veröffentlicht, welche von guten Behandlungserfolgen bei Geisteskrankheiten mit gewalttätigen und manischen Symptomen berichteten.[6][7] 1949 wurde durch einen Bericht Vakils im „British Health Journal“[8] die blutdrucksenkende Wirkung der Rauvolfia auch in der westlichen Welt bekannt.[9]

Reserpin wurde erstmals 1952 durch Emil Schlittler aus der Rauvolfia serpentina isoliert. Ihm gelang kurze Zeit später auch die Aufklärung der chemischen Struktur.[4] Zwei Jahre später wurde es zum ersten Mal klinisch eingesetzt – zwei Jahre nach Chlorpromazin, gegen das es sich als Mittel bei schizophrenen Psychosen letzten Endes nicht durchzusetzen vermochte[7], obgleich Reserpin nach 1952 vorübergehend eines der meistverwendeten Präparate bei der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen wurde.[10] 1958 publizierte Robert Burns Woodward die erste Totalsynthese des Reserpins.[11] In Großbritannien wurde Reserpin aufgrund seiner enormen Nebenwirkungen für einige Jahre vom Markt genommen. Ende der 1970er war Reserpin weitläufig durch neue, bessere Wirkstoffe ersetzt.[4][12]

Die Bedeutung des Reserpin liegt – eingedenk der Tatsache, dass es in der Therapie weitläufig durch bessere Substanzen ersetzt wurde –, vor allem in seinem Einfluss auf die Grundlagenforschung der modernen Neuropsychopharmakologie und Neuropsychiatrie: In den 1950er- und 1960er-Jahren wurden Reserpin und sein Wirkmechanismus intensiv erforscht, wodurch viele neue Erkenntnisse über biochemische Prozesse erlangt wurden, so etwa über den Stoffwechsel der biogenen Amine, weiters die Entdeckung regional verminderter Konzentration des Neurotransmitters Dopamin im ZNS bei Parkinsonpatienten oder die Wegbereitung für die Entwicklung zahlreicher Antidepressiva auf Grundlage der Beobachtung des Reserpin-Antagonismus des MAO-Hemmers Iproniazid und des Trizyklikums Imipramin.[9]

Heute ist Reserpin nur noch in Kombinationspräparaten mit Diuretika im Handel.[13] Die beiden einzigen Präparate, die noch zu den 3000 verordnungshäufigsten gehören, sind Briserin N® (Kombination mit dem Thiazid-Diuretikum Clopamid) und Triniton® (Kombination mit dem Antihypertonikum Dihydralazin und dem Thiazid-Diuretikum Hydrochlorothiazid). Deren Verordnungshäufigkeit nimmt jedoch ebenfalls ab, obwohl Briserin N®, gemessen an DDD, immer noch das am dritthäufigsten verordnete Antisympathotonikumpräparat ist. Gegenüber dem Vorjahr nahm 2005 die ärztliche Verschreibung von Briserin N® um 13,1 % ab und sank auf 29,5 Millionen DDD, bei Triniton® ging sie um 6,9 % zurück und sank auf 6,9 Millionen DDD.[14] Seit einiger Zeit gibt es Versuche, Reserpin-Derivate zu entwickeln, denen eine bessere Verträglichkeit beschieden sein soll als ihrem Vorgänger. Einen Ansatz hierfür, Reserpin-Methonitrat, stellten die Inder Sreemantula, Boini und Nammi 2004 vor.[12]

Pharmakologie

Wirkmechanismus

Reserpin ist ein Antisympathotonikum, dessen antihypertone Wirkung auf einer Verarmung des Neurotransmitters Noradrenalin im postganglionären Sympathikus beruht. Als Folge dieser Hemmung des Sympathikus kann neben einer Senkung der Herzfrequenz (Bradykardie) auch die gewünschte Senkung des Blutdrucks beobachtet werden.[15] Die antipsychotische Wirkung des Reserpins wird mit einer beobachteten Verringerung der Dopamin- und Serotoninkonzentration im Zentralnervensystem in Verbindung gebracht. Mit einer neuroleptischen Potenz von 20–50 CPZi zählt es zu den hochpotenten Neuroleptika.[16]

Auf zellulärer Ebene beruht der Wirkmechanismus des Reserpins auf der „Entspeicherung“ biogener Amine wie den Botenstoffen Dopamin, Serotonin und Noradrenalin. Es hemmt die nicht selektiven vesikulären Monoamintransporter in den Membranen der Speichervesikel, wodurch die Botenstoffe nicht mehr in die Vesikel der präsynaptischen sympathischen Nervenendigungen aufgenommen werden können. Außerhalb dieser werden biogene Amine vom Enzym Monoaminooxidase („MAO“) zu Aldehyden, Ammoniak und Wasserstoffperoxid abgebaut, was zur Folge hat, dass die Menge an Noradrenalin, die bei Erregung freigesetzt werden kann, verringert wird. Zu hohe Dosierungen führen zu einer irreversiblen Schädigung der Speicherversikel, welche daraufhin neugebildet werden müssen, was einige Tage bis Wochen dauert.[15]

Pharmakokinetik

Reserpin hat eine Bioverfügbarkeit von 50 %; die Plasmaproteinbindung beträgt 62 %.[2] Die Metabolisierung, also die enzymatische Umwandlung zu polaren und damit besser ausscheidbaren Substanzen, findet im Darm und in der Leber statt. 62 % werden mit dem Kot, 8 % mit dem Urin ausgeschieden. Die Halbwertszeit beträgt 150–270 h.[17]

Da Reserpin nicht nur peripher wirkt, sondern auch in der Lage ist, in das Zentralnervensystem (ZNS) einzudringen, kann es bei der Behandlung mit Reserpin über Beeinträchtigung des zentralnervösen Speichervermögens für biogene Amine zu depressiven Zuständen kommen.

Reserpin-Methonitrat (RMN) überwindet die Blut-Hirn-Schranke aufgrund des quartärnisierten Amins – ein Amin, das mit vier Kohlenstoff-Atomen (C) verbunden ist – erheblich schwerer, was dazu führt, dass deutlich weniger Substanz in das ZNS eintritt, als es bei Reserpin der Fall ist, und zentralnervöse Nebenwirkungen (Parkinson-Symptomatik, Sedierung) stark vermindert werden.[12]

Nebenwirkungen

Wie die der meisten Antisympathotonika kann auch die Reserpingabe eine Reihe schwerwiegender Nebenwirkungen mit sich ziehen, von Schwellung der Nasenschleimhaut (durch seröse Sekretion in diese, sog. „Reserpin-Schnupfen“), Durchfall, Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre, Libido- und Potenzverlust sowie Appetitsteigerung bis hin zu extrapyramidalmotorischen Störungen, Parkinsonismus, Sedierung und Depression.[15] Diese Nebenwirkungen können einerseits auf die Hemmung des Sympathikustonus (z. B. Nasenschleimhautschwellung und Magengeschwüre) und andererseits auf eine Verringerung der Dopamin- und Serotoninkonzentration im synaptischen Spalt zurückgeführt werden (z. B. Parkinsonismus).

Willner[18] betont jedoch, dass die weit verbreitete Annahme, Reserpin verursache Depression, auf einer Reihe von Berichten aus den 1950ern basiert, im Rahmen derer depressive Patienten nach Goodwin et al.[19] falsch diagnostiziert worden wären. Diese hatten die den damaligen Berichten zu Grunde liegenden Daten erneut ausgewertet und waren zu dem Ergebnis gekommen, dass mit Reserpin behandelte Patienten dazu neigten, eine Pseudodepression zu zeigen, die durch psychomotorische Verlangsamung, Müdigkeit und Anhedonie gekennzeichnet ist, jedoch nicht kognitive Erscheinungen der Depression wie Hoffnungslosigkeit oder Schuldgefühle aufwies. Lediglich 5–9 % der Patienten hätten demnach Symptome einer primären Depression gezeigt, und diese hätten obendrein bereits eine Vorgeschichte affektiver Störungen gehabt.

Kinder, deren Mütter im letzten Drittel der Schwangerschaft Reserpin genommen haben, leiden später häufiger an Trink- und Atemstörungen. Ebenso kann Reserpin in die Muttermilch übergehen und Menstruationsstörungen hervorrufen.[20]

Chemie

Reserpin bildet prismatische, farblose Kristalle. Es ist eine schwache Base mit einem pKB-Wert von 7,4.[2] Die Aufnahme von Protonen (Protonierung) erfolgt am N-4.[21]

 

Der Oktanol-Wasser-Verteilungskoeffizient (log KOW) beträgt 3,3.[2] Reserpin hat einen spezifischen Drehwinkel von −116° bis −128° bei 20 °C im Natriumlicht.[17]

Analytik

Mit Reserpin lassen sich verschiedene Farbreaktionen durchführen. In essigsaurer Lösung wird ihm mit Natriumnitrit Wasserstoff abgespalten, es entsteht 3,4-Dehydroreserpin. Dieses ist eine gelbgrün fluoreszierende Anhydroniumverbindung, die ein langwelliges Absorptionsmaximum von 388 nm besitzt. Reserpin selbst absorbiert maximal bei 296 nm.[21]

Biosynthese

Die Biosynthese des Reserpins beginnt – wie auch die aller anderen Epiyohimban-Alkaloide – bei Strictosidin. Dieses entsteht durch Mannich-artige Kondensation aus Tryptamin und Secologanin.

Strictosidin wird zu 3-epi-Dehydrocorynantheinaldehyd umgewandelt. Hierfür wird es zuerst am C-3 epimerisiert, die β-D-Glucose wird hydrolytisch abgespalten, der spätere Ring D geschlossen und der spätere Ring E geöffnet. Die Reihenfolge, in der diese Reaktionen stattfinden, ist noch unbekannt.

 

Anschließend wird 3-epi-Dehydrocorynantheinaldehyd in drei Reaktionsschritten zu Reserpinsäuremethylester umgewandelt:
Zuerst wird die Doppelbindung bei N-4 stereospezifisch hydriert, so dass 3-epi-Corynantheinaldehyd vorliegt. Dann wird der spätere Ring E zwischen C-17 und C-18 geschlossen und die entstehende Doppelbindung zwischen C-19 und C-20 hydriert. Schließlich entsteht nach Hydroxylierung an C-18 und Hinzufügen zweier CH3O-Gruppen Reserpinsäuremethylester.

 

Abschließend wird Reserpinsäuremethylester mit 3,4,5-Trimethoxybenzoyl-CoA an der Hydroxylgruppe am C-18 zu Reserpin verestert.

 

Totalsynthese

Obgleich Reserpin überwiegend aus Rauwolfia-Arten isoliert wird, ist eine vollsynthetische Herstellung möglich. In einer über 16 Reaktionsschritte verlaufenden Synthese gelang Woodward 1958 die erste (konstitutionelle) Herstellung von Reserpin.[11] 1958 war die Totalsynthese von Reserpin ein Meilenstein der organischen Chemie. Aufgrund seiner komplexen Struktur ist es mittlerweile ein Klassiker und Ziel zahlreicher Totalsynthesen geworden.[22] Einen Weg der stereospezifischen Totalsynthese etablierte 1989 Gilbert Stork.[23] Seit der Erstsynthese wurden einige alternative Zugänge entwickelt.[22][24][25]

Die Totalsynthese nach Woodward nimmt ihren Anfang beim Aufbau des Rings E, welcher fünf der sechs Stereozentren des Reserpinmoleküls enthält. Die Edukte sind 1,4-Benzochinon und Penta-2,4-diensäuremethylester. Zwischen dem Chinon und dem Dien kommt es zu einer Diels-Alder-Reaktion, deren Produkt bereits drei der benötigten fünf Stereozentren enthält.

 

Die Reduktion des entstandenen endo-Addukts mit Aluminiumtriisopropylat wird über die cis-Verknüpfung der beiden entstandenen Ringe so gesteuert, dass vor allem der gezeigte β-Alkohol entsteht. Da sich eine der beiden Hydroxylgruppen in räumlicher Nähe zum Carbonsäuremethylester befindet, bildet sich ein Lacton.

 

Die Reaktivität der beiden Doppelbindungen in den Ringen ist gegenüber Elektrophilen verschieden: Bei der Bromierung des C11H12O3 reagiert nur die Doppelbindung des späteren E-Rings, da sie geringfügig elektronenreicher ist.

Durch den elektrophilen Angriff des Broms bildet sich unter Abspaltung eines Bromidions das Bromoniumion. Der Sauerstoff der Hydroxylgruppe öffnet diesen Dreiring durch nukleophilen Angriff an dem Kohlenstoffatom, das sterisch günstiger gelegen ist, so dass ein Furan entsteht.

 

Im Folgenden wird das Brom über den nukleophilen Angriff eines Methanolations substituiert, wobei der erste der zahlreichen Methylester des Reserpin entsteht: Nachdem Bromwasserstoff eliminiert wurde und das α,β-ungesättigte Lacton entstanden ist, wird es vom Methanolation angegriffen. Der Angriff durch das Methanolation erfolgt aufgrund des Lactons und des Ethers von der α-Seite, also von unterhalb der Zeichenebene, womit das fünfte Stereozentrum des E-Rings entsteht.

Danach erfolgt die zweite Bromierung: N-Bromsuccinimid greift elektrophil an der Doppelbindung an, die im dritten Schritt nicht von Br2 aufgebrochen werden konnte. Das entstehende Bromoniumion wird durch nukleophilen Angriff von Wasser von der α-Seite transdiaxial geöffnet. Für die Reaktion dient Schwefelsäure als Katalysator.

Anschließend wird das Produkt mit Chromsäure oder Chromtrioxid oxidiert.

Der nächste Schritt besteht in einer komplexen Reaktion, im Rahmen derer das Bromatom entfernt, zwei Ringe aufgebrochen und ein Acetatrest hinzugefügt werden.

Der erste Schritt hierbei ist eine radikalische, reduktive Debromierung. Das zugegebene Zink macht zunächst einen Single-Electron-Transfer in das unbesetzte π*-Orbital der C-Br-Bindung, wodurch letztere sofort unter Bildung eines Bromidions gelöst wird. Es entsteht kurzfristig ein sekundäres, elektrophiles C-Radikal, welches sofort ein zweites Elektron vom Zink bekommt und zum Anion wird – mesomeriestabilisiert durch die benachbarte Carbonylgruppe –, welches von der Essigsäure protoniert wird. Die Lactonöffnung verläuft analog dazu nach vorheriger Protonierung der Lacton-Carbonylgruppe am Sauerstoff (dies senkt die Elektronendichte und damit die energetische Lage des π*-Orbitals der zu öffnenden C-O-Bindung).
Im zweiten Schritt wird die entstandene Carboxylgruppe mit Diazomethan methyliert.
Im dritten Schritt abstrahiert die schwache Base Pyridin das Proton aus dem ersten Schritt, wodurch ein Enolat entsteht. Dieses reagiert im vierten Schritt sogleich zum α-β-ungesättigten Keton zurück. Mit dem dabei abgetrennten Sauerstoffatom bildet das Essigsäureanhydrid unter Abspaltung eines Acetatanions am späteren C-18 ein Acetylester.

 

Als nächstes wird der spätere D-Ring aufgespalten. Hierfür wird zuerst die Doppelbindung mit Osmiumtetroxid cis-dihydroxyliert, es entsteht ein Glykol.

Anschließend wird das Glykol oxidativ mittels Periodsäure gespalten, wodurch ein Aldehyd und ein Ketoaldehyd entsteht. Letzteres wird von Periodsäure weiter über eine Ketocarbonsäure und deren Decarboxylierung bis zur einfachen Carboxylgruppe oxidiert.

 

Schließlich wird die Carboxylgruppe mit Diazomethan methyliert, womit der E-Ring fertig aufgebaut ist.

 

Nun wird der Aldehyd mit dem Tryptamin 6-Methoxytryptamin zu einem Aldimin kondensiert, es bildet sich also zwischen dem Kohlenstoff der Aldehydgruppe und dem Stickstoff der Aminogruppe unter Wasserabspaltung eine Doppelbindung aus.

 

Anschließend wird das Aldimin mit Natriumborhydrid reduziert. Das Produkt cyclisiert spontan zu einem Lactam. Durch Umsetzung mit Phosphoroxychlorid erfolgt der Angriff auf das Pyrrol (Bischler-Napieralski-Zyklisierung), wodurch sich unter Ausbildung eines Iminiumions der C-Ring schließt. Anschließend reduziert man das Iminiumion mit Natriumborhydrid.

 

Aufgrund der räumlichen Struktur des Edukts greift das Hydridanion jedoch von unterhalb der Molekülebene an, wo es weniger gehindert wird. Zudem entsteht auf diese Art und Weise das thermodynamisch stabilere Produkt, was zur Folge hat, dass das gebildete Molekül ein Epimer von Reserpin ist, aber noch nicht Reserpin selbst: Zuerst muss die Konfiguration des neu entstandenen Stereozentrums am C-3 invertiert werden. Hierzu werden zuerst zwei Ester mit Kaliumhydroxid hydrolytisch gespalten, so dass an C-16 eine Carboxyl- und an C-18 eine Hydroxylgruppe entsteht, woraus mit Hilfe von Dicyclohexylcarbodiimid (DCC) ein Lacton aufgebaut wird. Danach haben sich die Stabilitätsverhältnisse hinreichend geändert, dass mit Pivalinsäure das Wasserstoffatom am C-3 in die nun stabilere β-Position gerückt werden kann. Nach Abschluss der Epimerisierung wird das Lacton wieder verseift.

 

Der letzte Schritt der Totalsynthese nach Woodward besteht in der Veresterung mit 3,4,5-Trimethoxybenzoylchlorid zu racemischen (±)-Reserpin. Eine Trennung der Enantiomere gelingt durch Derivatisieren mit Camphersulfonsäure und Trennung der Diastereomere, wodurch reines (−)-Reserpin erhalten werden konnte.

 

Quellen

Hauptquellen

  • Lüllmann, Mohr, Wehling: Pharmakologie und Toxikologie. (15. Auflage, 2006)
  • Rimpler: Biogene Arzneistoffe. (2. Auflage). Ss. 309–310. [Abschnitt #Biosynthese]
  • Habermehl, Hammann, Krebs: Naturstoffchemie. 2. Auflage, 2002. Ss. 181–185. [Abschnitt #Totalsynthese]

Einzelnachweise

  1. a b Roth, Daunderer, Kormann: Giftpflanzen – Pflanzengifte (4. Auflage, 1994), S. 605.
  2. a b c d e DrugBank: APRD00472
  3. a b Sicherheitsdatenblatt für Reserpin Sigma-Aldrich 3.12.2007
  4. a b c Giebelmann, von Meyer: Kulturgeschichtliches zu Hundsgiftgewächsen (2003).
  5. a b Polz: Biosynthese von Rauwolfia-Alkaloiden. Ss. 1–6
  6. Sen, Bose: Rauwolfia serpentina, a new Indian drug for insanity and high blood pressure. In: Indian Med World (1931); 2: Seiten 194–201
  7. a b Serpasil. Auf: www.epsy.de.
  8. Vakil: Antihypertensive affects of Rauwolfia. In: British Health Journal 11, Ss. 350–355
  9. a b Langer: Ausschnitte einer Geschichte der Psychopharmaka im 20. Jahrhundert. In: Langer, Heimann: Psychopharmaka – Grundlagen und Therapie, Ss. 25–26.
  10. Wittern: Die Geschichte psychotroper Drogen vor der Ära der modernen Psychopharmaka. In: Langer, Heimann: Psychopharmaka – Grundlagen und Therapie, S. 17
  11. a b Woodward, R.B. et al. (1958): The Total Synthesis of Reserpine, Tetrahedron, Vol. 2, 1–57
  12. a b c Sreemantula, Boini, Nammi (2004): Reserpine methonitrate, a novel quaternary analogue of reserpine augments urinary excretion of VMA and 5-HIAA without affecting HVA in rats, BMC Pharmacology. Volltext.
  13. Lüllmann, Mohr, Wehling: Pharmakologie und Toxikologie (15. Auflage, 2006)
  14. Anlauf: Antihypertonika. In: Schwabe, Paffrath: Arzneiverordnungs-Report 2006, Ss. 418–420.
  15. a b c Lüllmann, Mohr, Hein: Taschenatlas Pharmakologie (5. Auflage, 2004). S. 102.
  16. Mutschler, Geisslinger, Kreemer, Ruth, Schäfer-Körting: Mutschler Arzneimittelwirkungen kompakt. S. 72.
  17. a b Hunnius Pharmazeutisches Wörterbuch (9. Auflage, 2004)
  18. Willner: Dopaminergic Mechanisms in Depression and Mania. In: Psychopharmacology: The Fourth Generation of Progress; Raven Press, Ltd., New York, S. 925
  19. Goodwin, Ebert, Bunney: Mental effects of reserpine in man: a review. In: Shader: Psychiatric complications of medical drugs. New York, Raven Press, 1972, Ss. 73–101
  20. Stiftung Warentest: Handbuch Medikamente (6. Auflage)
  21. a b Auterhoff, Knabe, Höltje: Lehrbuch der Pharmazeutischen Chemie (13. Auflage, 1994)
  22. a b F. E. Chen, J. Huan, Reserpine: A challenge for total synthesis of natural products, Chem. Rev., Vol. 105, 4671–4706. Volltext bei Chem. Rev.
  23. Stork, G. (1989): The Stereospecific Synthesis of Reserpine, Pure Appl. Chem., Vol. 61, 439–42. Siehe auch: Org. Chem. Highlights
  24. Gauchet, J. (1992) (Synthese-Varianten im schematischen Vergleich / Englisch, pdf)
  25. Literaturangaben zu einigen Originalarbeiten (dort ab Nr. 21)
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