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Rizinusöl



Das Rizinusöl, wissenschaftlich auch Ricinusöl (CAS-Nr. 08001-79-4), ist ein Naturprodukt, das aus den Samen des afrikanischen Wunderbaums (Ricinus communis), einem Wolfsmilchgewächs, gewonnen wird. Es ist ein Triglycerid und wird in der Pharmazie auch „Oleum Ricini s. Castoris“ und „Kastoröl“, im englischen Sprachraum castor oil, aber auch ricinus oil oder oil of Palma Christi genannt.  

Inhaltsverzeichnis

Eigenschaften

Rizinusöl ist farblos bis gelblich, durchsichtig, dickflüssig, brennbar, von schwachem Geruch, schmeckt mild, aber unangenehm und wirkt stark abführend (siehe auch unter: Pflanzliche Abführmittel). Es ist mit einem spez. Gewicht von 0,95 – 0,97 eines der Öle mit der höchsten Dichte. Der Erstarrungsbereich liegt zwischen –10 und –18 °C. Es lässt sich nicht destillieren (Zersetzung oberhalb 250 °C). An der Luft verdickt es, härtet aber nicht in dünnen Filmen aus, so dass es zu den nicht-trocknenden Ölen zählt. Rizinusöl ist aufgrund einzigartig hohen Gehaltes an Hydroxyfettsäuren deutlich polarer und unterscheidet sich dadurch von anderen Ölen mit einer guten Löslichkeit in Ethanol, aber nur geringer Mischbarkeit mit aliphatischen Kohlenwasserstoffen. Die Verseifungszahl liegt bei 160-168, die Hydroxylzahl bei 160-168, die Iodzahl zwischen 82 und 90. Rizinusöl ist als Rohstoff für verschiedene Anwendungen und chemische Umwandlungen sehr begehrt und wird in großen Mengen gehandelt. Als Naturprodukt und auch bedingt durch die Gewinnungsverfahren gibt es für den internationalen Handel vier verschiedene Qualitätsstandards, die von der International Castor Oil Association (ICOA) festgelegt wurden.

Bestandteile

Das Rizinusöl besteht zu 80-85 % aus dem Triglycerid der Ricinolsäure, auch Triricinolein genannt, daneben aus weiteren Glyceriden verschiedener C18-Fettsäuren. Die Angaben zur Zusammensetzung variieren abhängig von der Herkunft und Literatur. Die durchschnittliche Zusammensetzung der enthaltenden Fettsäuren wird beispielsweise angegeben mit 89,5 % Ricinolsäure, 4,2 % Linolsäure, 3,0 % Ölsäure, 1,0 % Palmitinsäure, 1,0 % Stearinsäure 1,3 % von Dihydroxystearinsäure, Linolensäure und Eicosensäure (C20-Fettsäure). Der Anteil an freien Fettsäuren beträgt zwischen 0,75 und 3,0 %, der Wassergehalt 0,25 bis 0,5 % und übrige Verunreinigungen liegen je nach Qualität zwischen 0,01 und 0,2 %.

Geschichtliches

Bekannt war das Öl bereits zu Herodots Zeit, der berichtet, dass es in Ägypten vielfach als Brennöl und zu Salben benutzt wurde. Möglicherweise war der aus der Bibel bekannte “Kürbis“ vor Jonas' Hütte (Bibelstelle: Jonas 4, 6), den ein Wurm stach, so dass er verdorrte, eine Frucht des Rizinusbaumes, denn diese ist gegen Verletzungen sehr empfindlich. Auch in Griechenland wurde die Pflanze unter dem Namen Kiki kultiviert; Theophrast nannte sie Croton, Dioskorides wandte die Samen als Abführmittel und das Öl äußerlich an. Auch Albertus Magnus kultivierte den Wunderbaum. Später kam die Pflanze in medizinischer Hinsicht in Mitteleuropa in Vergessenheit. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde das Öl von Westindien aus wieder als Abführmittel empfohlen.

In den 60er Jahren lebte die Rizinusölproduktion in den USA durch Subventionen der Regierung wieder auf, um unabhängiger von den Rohstoffimporten zu sein. Seit 1990 hat der Anbau in den USA keine Bedeutung mehr, obwohl es Bemühungen gegeben hat, Zwergformen für den Anbau in den trockenen Hochebenen von Texas zu züchten. Mitte der 80er Jahre wurde in Costa Rica ein Zuchtprogramm zur Verbesserung der maschinellen Erntefähigkeit begonnen, welches das frühzeitige Öffnen der Samenkapseln und das Herunterfallen der Samen auf die Erde verhindert. Der Anbau dieser Sorte wurde in Europa erstmalig 1990 in Frankreich praktiziert. Eine Hybride-Sorte, genannt H-22, wurde vom israelischen Weizmann-Institut gezüchtet, die heute in den Ländern weit verbreitet ist, in denen per Hand geerntet wird.

Gewinnung/Herstellung

Abhängig von Sorte, Bodenverhältnissen und Klima werden zwischen 450 und 2000 kg Öl je Hektar gewonnen. Die Samen enthalten bis zu 50 % Öl, 20 % Proteine und 30 % Cellulose, Kohlenhydrate, Wasser und Alkaloide. 250 bis 1800 Samen ergeben 1 kg Ernte. Die hochwertigen Qualitäten werden durch Kaltpressung gewonnen. Im industriellen Verfahren werden die Samen vor der Pressung erhitzt und dann kontinuierlich in Schneckenpressen verarbeitet. Der Presskuchen enthält noch über 10 % Öl, welches anschließend mit Hexan, Heptan oder Gemischen aus beiden extrahiert wird. Nach Entfernen der Lösemittelreste enthält der Presskuchen nur noch ca. 1 % Öl und wird in der Regel zu hochwertigem Stickstoff-Dünger verarbeitet und in den Handel gebracht. Die Samen enthalten das hochgiftige Ricin und das Pyridin-Alkaloid Ricinin. Ricin ist ein Polypeptid, nicht öllöslich und hitzeempfindlich. Beide Gifte verbleiben während des Herstellungsprozesses im Presskuchen und sind in Rizinusöl nicht enthalten. Des weiteren enthält die Masse bis zu mehreren Prozenten ein Allergen, genannt CB-1A. Trotz des hohen Eiweißgehaltes können die Presskuchen daher nicht als Tierfutter verwendet werden. Es sind aber bereits in der 60er Jahren Verfahren zur Beseitigung der Giftstoffe und Allergene entwickelt worden, die eine gefahrlose Verwendung als Tierfutter erlauben. In Thailand gibt es heute größere Produktionsanlagen, die futtertaugliches Material herstellen. Die getrockneten Stängel der Rizinuspflanzen werden geschrotet und als wertvolles Mulchmaterial verwendet.

Zur weiteren Verbesserung der Qualität von frisch gepresstem Rizinusöl werden diverse Reinigungsprozesse vorgenommen. Degumming: durch Zusatz von 3-5 % Wasser, Erhitzen auf 70-80 °C und Abtrennung des Wassers mittels Zentrifugation entfernt Proteinreste, die in dispergierter Form im Öl enthalten sind. Die Entfernung freier Fettsäuren geschieht durch Behandlung mit alkalischer Lösung; die Tendenz von Rizinusöl zur Emulsionsbildung erfordert jedoch spezielle Verfahrensweisen. Zusätze von wenigen Prozenten an oberflächenaktiven Tonmineralien oder Aktivkohle bei dunkleren Qualitäten und Behandlung bei Temperaturen bis max. 80 °C dient zur Aufhellung und Entfärbung. Erhitzen in dünnen Filmen im Vakuum (Dünnschichtverdampfer), kurzfristig auch bis 230 °C, sowie Dampfbehandlung und Vakuum entfernen den größten Anteil an flüchtigen Verbindungen und Geruchsstoffen.

Verwendung und chemische Umwandlungen

Die besondere chemische Konstitution des Triricinoleins (Tri-Ricinolsäure-Glycerinester) als Hauptbestandteil des Öls erlaubt vielfältige chemische Reaktionsmöglichkeiten.

Struktur des Ricinolsäureesters als eine der drei Seitenketten des Glycerids:

                 O  H  H  H  H  H  H  H  H  H  H  H  H  H  H  H  H  H
    Glycerin -O- C- C- C- C- C- C- C- C- C= C- C- C- C- C- C- C- C- C-H 
                    H  H  H  H  H  H  H        H  OH H  H  H  H  H  H 

    Nr. C-Atom   1  2  3  4  5  6  7  8  9  10 11 12 13 14 15 16 17 18

Estergruppe an C1: Verseifung, Salzbildung

cis-Doppelbindung C9-C10: Oxidation, Polymerisation, Addition, Epoxidierung, Hydrierung

Hydroxygruppe an C12: Dehydratisierung, Spaltung, Veresterung, Etherbildung, Substitution

Einsatz in unveränderter Form

Medizinisch verwendet wird das aus den Samen durch Kaltpressung gewonnene Öl (lat. Ricini Oleum). Es wirkt abführend, da es enteral nicht resorbiert wird. Aufgrund des Gehaltes von ca. 5 % Hydroxylgruppen aus der Rizinolsäure lässt sich Rizinusöl auch in Reaktivmassen wie Polyurethan-Beschichtungen für diverse industrielle Einsätze im Korrosionsschutz und Baubereich direkt verarbeiten. Der weitaus bedeutendere Einsatz ist der als Rohstoff für Bindemittel in lufttrocknenden Lacken und Dispersionen. Neben der medizinischen Anwendung wird Rizinusöl in der Kosmetikindustrie zur Herstellung von Cremes, Salben, Lippenstiften, Wimperntuschen und Schaumbädern genutzt. Bedeutung hat Rizinusöl im wesentlichen als Rohstoff für Schmierstoffe, Lacke, Polyamid-11 und im Bereich Kosmetik. In den meisten Fällen wird Rizinusöl nicht direkt verarbeitet, sondern es ist noch eine chemische Umarbeitung erforderlich. Obwohl der Heizwert mit ca. 38 MJ/kg recht hoch ist, wird Rizinusöl nicht zur Herstellung von Biodiesel (Methylestern von Fettsäuren aus Pflanzenölen) verwendet, weil es dem üblicherweise benutzten Rapsöl kostenmäßig unterlegen und für diesen Einsatz noch nicht ausreichend untersucht worden ist.

Dehydratisierung

Die Abspaltung von Wasser unter üblicher schwefelsaurer Katalyse, aber auch mit Salzen der Schwefelsäure und Metalloxiden, führt zu einer zweiten Doppelbindung, die zum großen Anteil konjugiert zwischen C11 und C12 entsteht. Der erhöhte Gehalt an Doppelbindung hat Rizinusöl damit von einem nicht-trocknenden in ein oxidativ trocknendes Öl überführt. Die Estergruppen zum Glycerin bleibt dabei erhalten. Je nach Reaktionsbedingungen und Dauer werden verschiedene Qualitäten erzeugt, die sich hauptsächlich in der Viskosität durch während des Verfahrens bereits einsetzende Polymerisation unterscheiden. Das Produkt wird Dehydriertes Rizinusöl genannt, ist dem Leinöl ähnlich und kann als qualitativ hochwertiges Bindemittel für verschiedene Lacke und Farben, Firnis, Linoleum und Druckfarben eingesetzt werden.

Durch alkalische Verseifung von dehydriertem Rizinusöl lassen sich die zweifach ungesättigten Fettsäuren nach Neutralisation und Destillation im Vakuum als wertvolle Rohstoffe für weitere Verarbeitungen gewinnen.

Sulfonierung

Eine der ersten Modifikationen von Rizinusöl war die Behandlung mit konzentrierter Schwefelsäure oder direkt mit Schwefeltrioxid unter kontrollierten Bedingungen. Es bilden sich dabei sowohl Schwefelsäureester an der Hydroxygruppe als auch Additionsprodukte an der Doppelbindung und Sulfonsäuregruppen (-SO3H). Das Produkt wird Türkischrotöl (engl. turkey-red oil) genannt und enthält 8-8,5 % SO3. Durchschnittlich ergibt sich damit nur eine schwefelsaure Gruppe pro Triglycerid. In der Textilindustrie wird Türkischrotöl als Färbehilfsmittel wegen der ausgezeichneten Benetzungseigenschaften und Emulgierbarkeit eingesetzt.

Alkalische Spaltung

Durch Behandlung mit Natrium- oder Kaliumhydroxid bei hohen Temperaturen in Gegenwart von längerkettigen Alkoholen wie 1- oder 2-Octanol werden je nach Reaktionsbedingungen Methylhexylketon, 10-Hydroxydecansäure, Caprylalkohol (Octanol) und Sebacinsäure als wichtige Chemierohstoffe erhalten.

Pyrolytische Zersetzung

Die thermische Spaltung von Rizinusöl bei 350-460°C ergibt Heptaldehyd und Undecensäure als wichtigste Produkte. Heptaldehyd findet Verwendung in der Herstellung von Geschmacks- und Geruchsstoffen, Undecensäure (C10H19COOH) - als Metallsalz mit Zink oder Kupfer - wird in der Medizin für die äußere Behandlung von Pilzinfektionen und gegen Hautparasiten eingesetzt.

Aus dem Methylester der Rizinolsäure (Metylricinolat), hergestellt als der Umsetzung von Methanol mit Rizinusöl, lässt sich bei 450-500 °C analog zur vorgenannten Reaktion Methyl-10-undecensäureester und Heptaldehyd gewinnen. Der Undecensäureester wird über mehrere Stufen umgesetzt zur 11-Amino-n-undecansäure (auch Rilsan®-Monomer genannt), der Rohstoff zur Herstellung von Polyamid-11 (Nylon®-11), einem wichtigen Polyamid als Hochleistungskunststoff für Fasern und diverse technische Anwendungen in Beschichtungen, Kabeln und Automobil. Die Herstellung von Polyamid-11 ist eine bedeutende Verwendung von Rizinusöl.

Hydrierung

Wasserstoff wird an die Doppelbindung der Ricinolsäure unter Verwendung von Raney-Nickel addiert. Die Hydroxygruppe bleibt erhalten und es entsteht ein Fett mit Schmelzpunkt von 86 °C , das Triglycerid der 12-Hydroxystearinsäure. Letztere wird zur Herstellung von Mehrzweckschmierstoff und für den Automobilbereich, aber auch für Seifen und im Kosmetikprodukte verwendet. Teilweise hydriertes Rizinusöl hat einen niedrigeren Erweichungsbereich und wird ebenfalls als Wachs und Schmierstoff eingesetzt. Etwa 10 % der Weltproduktion von Rizinusöl wird zur Herstellung von Schmierstoffen umgesetzt.

Alkoxylierung

Die Bildung von Ethern an der Hydroxygruppe durch Umsetzung mit Ethylenoxid oder Propylenoxid führt zu einer Reihe von oberflächenaktiven Substanzen, die im Bereich Technik und Kosmetik Verwendung finden: Detergenzien, Gleitmittel, Hydraulikflüssigkeiten, Antistatika, Textilfinishe, Emulgierhilfsmittel und Ölzusätze.

Oxidation

Die Oxidation durch Luft oder reinem Sauerstoff in Gegenwart von Übergangsmetall-Katalysatoren führt durch Polymerisation zu recht hohen molaren Masse und Viskositäten. Oxidiertes Rizinusöl ist nicht migrierend, wird daher als Weichmacher für diverse Polymere wie Cellulosederivate, Polyamide, Natur- und Synthesekautschuke zum Einsatz gebracht. Außerdem wird es verwendet als Pigmentbenetzungsharz, für Druckfarben und als Ölzusatz.

Veresterung

Die Monomeren Citronensäure und Rizinusöl reagieren unter Polykondensation miteinander. Dabei verbinden sich die Carboxylgruppen der Citronensäure mit den Hydroxygruppen des Rizinusöls zu einem Ester, weshalb man das Produkt auch einen Polyester nennt. Gleichzeitig wird durch die Esterbildung Wasser abgespalten. Man erhält ein bräunliches, klebriges, wasserunlösliches Harz.

Weltmarkt

Die wichtigsten produzierenden Länder sind Indien, Brasilien und China. Die USA produziert seit 1990 praktisch kein Rizinusöl mehr. Das jährliche Gesamtvolumen im Welthandel beträgt ca. 550.000 t, gewonnen aus einer Samenmasse von ca. 1,3 Millionen t. Deutschland importiert jährlich über 30.000 t.

Literatur

  • Frank C. Naughton, "Castor Oil", in Kirk-Othmer Encyclopedia of Chemical Technology, John Wiley & Sons, Inc. 2001
  • Römpp Lexikon der Chemie, CD-ROM version 2.0, Georg Thieme Verlag 1999
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Rizinusöl aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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