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Sultiam
Sultiam (Handelsname: Ospolot®; Hersteller: Desitin) ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Sulfonamide, der in der Behandlung von bestimmten Epilepsieformen eingesetzt wird. Es gehört pharmakologisch zu den Substanzen, die das Enzym Carboanhydrase hemmen. Dieses Enzym bewirkt eine Gewebsübersäuerung, die wiederum die Erregbarkeit von Nervenzellen vermindern kann. Sultiam ist eines der älteren Antikonvulsiva. Weiteres empfehlenswertes FachwissenKlinische AngabenZugelassene Anwendungsgebiete (Indikationen)Sultiam wird vorwiegend bei der Rolando-Epilepsie eingesetzt. Die Rolando-Epilepsie wird auch als benigne Epilepsie des Kindesalters mit zentrotemporalen Spikes bezeichnet. In Deutschland ist Sultiam nur zur Alternativ-Behandlung der Rolando-Epilepsie zugelassen, d.h. wenn die Behandlung mit anderen Antiepileptika erfolglos war. In der Schweiz besteht diese Einschränkung nicht. Weitere mögliche AnwendungsgebieteSeit einigen Jahren gibt es wieder ein stärkeres Interesse an Sultiam. Es wird auch häufig bei anderen Epilepsieformen des Kindesalters eingesetzt, die ähnliche EEG-Veränderungen wie die Rolando-Epilepsie aufweisen, z.B. beim Pseudo-Lennox-Syndrom oder beim Landau-Kleffner-Syndrom.[1],[2] Unlängst wurden auch Daten zur Anwendung beim West-Syndrom[3] sowie bei anderen schwer zu behandelnden herdförmigen Epilepsien[4] publiziert. Weiterhin wird Sultiam zur Behandlung der Krampfkomponente beim Rett-Syndrom eingesetzt.[5] Dosierung, Art und Dauer der AnwendungNach einschleichender Aufdosierung beträgt die Erhaltungsdosis ca. 5 mg/kg Körpergewicht und Tag und kann bis 10 mg/kg gesteigert werden. Die Tagesdosis sollte möglichst auf drei Einzelgaben verteilt werden. Die Anwendungsdauer richtet sich nach dem individuellen Ansprechen des Patienten auf die Behandlung. Eine antiepileptische Behandlung ist grundsätzlich eine Langzeittherapie. Bei plötzlichem Absetzen können sich die Anfälle mit vermehrter Heftigkeit wieder einstellen. Gegenanzeigen (Kontraindikationen)Sultiam darf nicht angewendet werden bei:
Sultiam sollte nicht oder nur mit besonderer Vorsicht eingesetzt werden:
Achtung: die Gegenanzeigen unterscheiden sich Deutschland und der Schweiz. Wechselwirkungen mit anderen MedikamentenBei Kombination von Sultiam mit Phenytoin kann der Phenytoin-Blutspiegel stark ansteigen. In Einzelfällen kam es auch zu einer Erhöhung der Blutspiegels von Lamotrigin. Bei einer Kombination von Sultiam mit Primidon können die Sultiam-Nebenwirkungen zunehmen (insbesondere bei Kindern). Es gibt Hinweise darauf, dass die Blutkonzentration von Sultiam bei gleichzeitiger Einnahme von Carbamazepin vermindert wird. Die gleichzeitige Einnahme von Sultiam und anderen Carboanhydrasehemmern (z. B. Topiramat, Acetazolamid oder Zonisamid) kann die Nebenwirkungen der Carboanhydrase-Hemmung verstärken. Während der Sultiam-Behandlung sollte auf den Genuss von Alkohol verzichtet werden, da Sulfonamide eine Disulfiram-ähnliche Wirkung besitzen und zusammen mit Alkohol eine unangenehme Reaktion ausgelöst werden könnte. Anwendung während Schwangerschaft und StillzeitEs gibt experimentelle Hinweise auf embryotoxische Effekte. Es ist davon auszugehen, dass Sultiam die Placentaschranke überschreiten und in die Muttermilch übergehen kann. Es kann somit in den Fötus sowie in den gestillten Säugling übergehen. Sultiam darf während der Schwangerschaft und in der Stillzeit nicht angewendet werden, da dafür keine ausreichenden Untersuchungen zur Sicherheit vorliegen. Unerwünschte Wirkungen (Nebenwirkungen)Magenbeschwerden können häufig (1-10%) bis sehr häufig (≥10%) auftreten. Missempfindungen (Parästhesien) in den Gliedern und im Gesicht sowie Atembeschwerden, Schwindel, Kopfschmerzen, Herzbeschwerden, Doppelbilder, Schluckauf, Gewichtsverlust oder Appetitlosigkeit können auf häufig auftreten. Gelegentlich (0,1–1%) kommt es zu Halluzinationen, Angst, Muskelschwäche, Antriebsarmut, Gelenkschmerzen, einem Status epilepticus oder zu Anfallshäufung. In Einzelfällen besteht der Verdacht, dass Sultiam mit der Auslösung eines akuten Nierenversagens, eines Stevens-Johnson-Syndroms, eines Lyell-Syndroms oder einer Polyneuritis im Zusammenhang stehen könnte. Sultiam ist ein Carboanhydrasehemmer. Daher sind Nebenwirkungen der Carboanhydrase-Hemmung, wie Nierensteine, Übersäuerung und Veränderungen von Blutwerten nicht auszuschließen Pharmakologische EigenschaftenWirkungsmechanismus (Pharmakodynamik)Sultiam ist ein Sulfonamid-Derivat, besitzt aber im Gegensatz zu anderen Sulfonamiden keine antibiotische Wirkung. Strukturell bestehen keine Gemeinsamkeiten mit anderen Antikonvulsiva. Der Wirkmechanismus ist nicht vollständig bekannt. Ein wesentlicher biologische Effekt ist die Hemmung der Carboanhydrase des Gehirns: eine Gewebsübersäuerung im Gehirn setzt die Erregbarkeit von Nervenzellen herab. Weiterhin wurden auch Wirkungen auf erregende und hemmende Botenstoffe im Nervensystem beschrieben. Sultiam reduziert ebenfalls den Natriumeinstrom in die Nervenzelle und setzt so die Erregbarkeit der Nervenzelle herab.[6] Der Arzneistoff zeigte eine gute Wirksamkeit im Elektrokrampftest (Ratte und Maus) und im Krampftest mit Pentamethylentetrazol (Maus).[7] Aufnahme und Verteilung im Körper (Pharmakokinetik)Die Pharmakokinetik von Sultiam wurde bislang nicht systematisch untersucht. Maximale Plasmakonzentrationen werden nach 1–5 Stunden gemessen. Die Halbwertszeit beträgt 2 bis 16 Stunden und kann durch eine Kombinationsbehandlung mit anderen Antikonvulsiva verkürzt werden. Die Kinetik ist linear. Im Plasma ist der Wirkstoff zu etwa 29 % an Proteine gebunden. Die empfohlene Blutspiegel bei der Behandlung der Rolando-Epilepsie liegen bei 1-3 µg/ml.[8] BioverfügbarkeitNach oraler Gabe wird Sultiam rasch und vollständig, bevorzugt aus dem oberen Dünndarmabschnitt resorbiert. Der Nahrungseinfluss auf die Aufnahme von Sultiam wurde bislang nicht untersucht. MetabolismusBislang wurden zwei Abbauprodukte von Sultiam identifiziert. Davon ist hydroxyliertes Sultiam mengenmässig das wichtigste Abbauprodukt. Es besitzt keine antikonvulsive Eigenschaften. Nach oraler Gabe werden ca. 80–90% der Dosis über die Nieren ausgeschieden. Ca. 30–60% werden unverändert ausgeschieden. Mehr als 25% werden als Abbauprodukt (hydroxyliertes Sultiam) ausgeschieden. ToxikologieSultiam hat eine geringe akute Toxizität. Die orale LD50 für Ratte und Maus liegt über 5000 mg/kg Körpergewicht und für das Kaninchen bei etwa 1000 mg/kg. Bei intraperitonealer Gabe lag die LD50 für die Maus bei ca. 1700 mg/kg.[9] Bei Überdosierung werden zumeist Kopfschmerzen, Schwindel, Ataxie, Bewusstseinsstörung, Katatonie, Azidose und Sultiamkristalle im Urin beobachtet. Überdosierungen mit 4 bis 5 g Sultiam wurden überlebt.[10],[11] Die Einnahme von ca. 20 g Sultiam in suizidaler Absicht bei Erwachsenen führte in einem Fall zum Tod;[12] in zwei anderen Fällen kam es zur vollständigen Wiederherstellung.[13],[14] Es existiert kein spezifisches Antidot. Sonstige InformationenGeschichteSultiam wurde in den 1950er Jahren bei Bayer synthetisiert und 1960 als Ospolot® in Europa und einigen anderen Ländern in den Handel gebracht. Nach Einführung im Jahre 1960 wurde Sultiam als Mittel der zweiten Wahl zur Behandlung von Epilepsien mit Herdanfällen genutzt und oft zusammen mit dem etablierten Antikonvulsivum Phenytoin eingesetzt. Hansen et al. beschrieben 1968 erstmals, dass die Phenytoin-Blutspiegel bei einer kombinierten Behandlung mit Sultiam erheblich anstiegen.[15] Diese Ergebnisse führten zu der Annahme, daß Sultiam keine eigenständige antikonvulsiven Wirkung besitzt und nur über die Erhöhung der Phenytoinspiegel wirke. Nach Veröffentlichung einer negativen Vergleichstudie gegen Phenytoin[16] ging der Einsatz von Sultiam schnell zurück. Erst 1988 entdeckte der deutsche Kinderneurologe Hermann Doose die spezifische Wirkung des Arzneistoffs bei Kindern mit Rolando-Epilepsie.[17] Diese Entdeckung wurde später in einer randomisierten und plazebokontrollierten Studie bestätigt.[18] Trotz der o.a. Einschränkung der behördlichen Zulassung in Deutschland gilt Sultiam heute im deutschen Sprachraum und in Israel als Mittel der ersten Wahl bei Rolando-Epilepsien.[19] Die Zulassungen wurden 1993 an Desitin übertragen. Ospolot® wird heute in einigen europäischen Ländern sowie in Israel, Japan, und Australien vertrieben. Handelsnamen und Darreichungsformen
Der Vertrieb in Deutschland und der Schweiz erfolgt durch Desitin und in Österreich durch AOP Orphan Pharmaceuticals AG
Quellen
Kategorien: Chemische Verbindung | Arzneistoff |
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Sultiam aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar. |