Bindungen brechen um Bindungen zu bilden: Chemie von Kationen neu gedacht

Neue chemische Reaktion mit potenziellen Anwendungen in der medizinischen Chemie

22.05.2024
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Symbolbild

Ein Team von Chemikern der Universität Wien unter der Leitung von Nuno Maulide hat einen bedeutenden Durchbruch auf dem Gebiet der chemischen Synthese erzielt und eine neuartige Methode zur Manipulation von Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindungen entwickelt. Diese wegweisende Entdeckung liefert neue Einblicke in die molekularen Wechselwirkungen von positiv geladenen Kohlenstoffatomen. Durch das gezielte Anvisieren einer spezifischen C–H-Bindung öffnen sie mit bemerkenswerter Präzision Türen zu synthetischen Wegen, die bisher verschlossen waren – mit möglichen Anwendungen in der Medizin. Die Studie wurde kürzlich im Journal Science veröffentlicht.

Lebende Organismen, einschließlich des Menschen, verdanken ihre Komplexität vor allem Molekülen, die hauptsächlich aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Sauerstoff bestehen. Diese Bausteine bilden die Grundlage unzähliger Substanzen, die für das tägliche Leben, bis hin zu Medikamenten, unverzichtbar sind. Wenn Chemiker*innen sich mit der Synthese eines neuen Medikaments befassen, manipulieren sie Moleküle durch eine Reihe chemischer Reaktionen, um Verbindungen mit einzigartigen Eigenschaften und Strukturen zu schaffen. 

Dieser Prozess beinhaltet das Brechen und Bilden von Bindungen zwischen Atomen. Einige Bindungen, wie jene zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff (C–H-Bindungen), sind besonders stark und erfordern erhebliche Energie, um gebrochen zu werden, während andere einfacher modifiziert werden können. Wenn eine organische Verbindung typischerweise Dutzende C–H-Bindungen enthält, mussten Chemiker*innen traditionell auf die Manipulation anderer, schwächerer Bindungen zurückgreifen. Solche Bindungen sind weit weniger verbreitet und müssen oft in zusätzlichen synthetischen Schritten produziert werden, was solche Ansätze teuer macht – effizientere und nachhaltigere synthetische Methoden sind also gefragt.

C–H-Aktivierung als neuer Ansatz

Das Konzept der C–H-Aktivierung ist ein revolutionärer Ansatz, der die direkte Manipulation starker C–H-Bindungen ermöglicht. Dieser Durchbruch hat nicht nur die Effizienz synthetischer Prozesse verbessert, sondern kann auch oft deren Umweltauswirkungen reduzieren und nachhaltigere Wege für die Arzneimittelentdeckung bieten.

Eine wichtige Herausforderung dabei ist die präzise Manipulation einer spezifischen C–H-Bindung innerhalb eines Moleküls, das viele verschiedene C–H-Bindungen enthält. Dieses Hindernis, bekannt als das "Selektivitätsproblem", verhindert oft die breitere Anwendung etablierter C–H-Aktivierungsreaktionen.

Gezieltes Anvisieren einer spezifischen C–H-Bindung

Wissenschafter der Universität Wien um Nuno Maulide haben nun eine neue C–H-Aktivierungsreaktion entwickelt, die das Selektivitätsproblem angeht und die Synthese komplexer kohlenstoffbasierter Moleküle ermöglicht. Durch das gezielte Anvisieren einer spezifischen C–H-Bindung mit bemerkenswerter Präzision öffnen sie Türen zu synthetischen Wegen, die bisher verschlossen waren. Die Maulide-Gruppe konzentriert sich auf sogenannte "Carbokationen" (d. h. Moleküle, die ein positiv geladenes Kohlenstoffatom enthalten) als Schlüsselzwischenprodukte. "Traditionell reagieren Carbokationen, indem sie ein Wasserstoffatom am Kohlenstoffatom benachbart zum Kation eliminieren und eine Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindung im Produkt bilden", erklärt Nuno Maulide. "Produkte mit Doppelbindungen – sogenannte Alkene – können äußerst nützlich sein. Manchmal ist jedoch eine Einfachbindung anstelle einer Doppelbindung gewünscht", fährt der mehrfache ERC-Preisträger fort. "Wir haben entdeckt, dass in bestimmten Fällen die Reaktivität einen neuen Weg einschlagen kann. Es kommt dann zu einer sogenannten ‚entfernten Eliminierung‘. Diese Reaktion führt zur Bildung einer neuen Kohlenstoff-Kohlenstoff-Einfachbindung – ein Phänomen, das bisher nicht untersucht wurde", erklären Phillip Grant und Milos Vavrík, Erstautoren der Studie.

Die Forscher demonstrierten diese neue Reaktivität anhand der Synthese von Decalinen, einem Baustein für viele Arzneistoffe. "Decaline sind eine Klasse zyklischer kohlenstoffbasierter Moleküle, die in vielen biologisch aktiven Verbindungen vorkommen. Wir können diese Moleküle nun auf eine viel effizientere Weise herstellen und somit möglicherweise zur Entwicklung neuer und wirksamerer Medikamente beitragen", schließt Nuno Maulide, Wissenschafter des Jahres 2019.

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