CCS und CCU: alles andere als nachhaltig - Energie- und Entropieanalyse deckt grundsätzliche Irrtümer auf

Eine rein naturwissenschaftliche Analyse (Ein Gastbeitrag von Dr. Bernhard Weßling)

29.10.2024
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Symbolbild

Im September veröffentlichte chemie.de einen Artikel mit dem Titel „Wie eine Kohlenstoff-Zentralbank Europa zum CO2-Staubsauger machen kann“1. Darin ging es um die Thünen-Vorlesung, gehalten von Prof. Edenhofer (Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung). Hiernach sollen Zertifikate zur Berechtigung von CO2-Emissionen gegen eine Verpflichtung zur (späteren) CO2-Entnahme (DAC, CCS) ausgegeben werden. Doch bevor man sich über wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Umsetzung solcher Prozesse Gedanken macht, sollte man eigentlich erst einmal prüfen, ob diese überhaupt nachhaltig sind.

Man muss sich auch vergegenwärtigen, was die Nationale Akademie der Wissenschaften (Leopoldina) im April in einer Ad-hoc-Stellungnahme2 zur Entnahme und Speicherung sowie chemischen Nutzung von CO2, an der Edenhofer ebenfalls beteiligt war, gefordert hatte. Sie fordert darin, dass der Atmosphäre zusätzlich zur Einsparung von Emissionen auch dauerhaft CO2 entzogen und gespeichert (endgelagert) werden müßte. Dies müssten jährlich 60 bis 130 Millionen Tonnen sein. Zwar werden auch Ökosysteme (Moore, Wälder) erwähnt, deren Speicherpotential könne aber bislang nicht quantifiziert werden. Neben der Speicherung („carbon capture and storage“, CCS) wird auch die Nutzung („carbon capture and use“, CCU) positiv bewertet und empfohlen.

Bisher wird Kritik an solchen Technologien v.a. unter dem Aspekt der Sicherheit und der Kosten geübt. Ein entscheidender Aspekt wird jedoch übersehen: Weder CCS noch CCU sind nachhaltig. Das heißt, sie verursachen an anderer Stelle der Umwelt weit mehr Schäden (Kollateralschäden), als an positiven Effekten für das Klima erhofft wird. Das ergibt sich aus einer Energie- und einer Entropie-Bilanz von „direkt air capture“ (DAC, Entnahme von CO2 aus der Luft), „carbon capture and storage (CCS“ (Abfangen von CO2 an der Quelle in Kraftwerken, Zementfabriken etc.), bzw. „carbon capture and use (CCU)“ (chemische Umwandlung von entnommenem CO2,).

In einem Grundsatz-Artikel dazu habe ich den Vorschlag entwickelt, Nachhaltigkeit mithilfe der Entropie zu beurteilen (Naturwissenschaftliche Rundschau, Mai 2024“3). In diesem Artikel wird die Notwendigkeit eines objektiven Kriteriums für Nachhaltigkeit dargelegt, und es wird in den thermodynamischen Hintergrund eingeführt, in sehr einfach verständlicher Form. Zweifellos ist den meisten Menschen zunächst einmal nicht klar, inwiefern die Entropie als Kriterium für Nachhaltigkeit dienen kann.

Schauen wir uns deshalb eine reine Energiebetrachtung an, was wohl leichter zugänglich ist. Für die Absorption und Speicherung von 1 Tonne CO2 (mittels DAC) sind insgesamt 16 Mio. kJ (= 16 GJ) Primärenergie erforderlich (zur Bereitstellung von Wärme und Elektrizität inkl. Wirkungsgradverlusten), das ist etwa 6 Mal so viel, wie wir an Energie nutzen konnten, als diese 1 Tonne CO2 in einem Kraftwerk erzeugt wurde (Details dazu in dem Artikel für die „Naturwissenschaftliche Rundschau“3). Allein das müsste ausreichen, uns klarzumachen, dass DAC bzw CCS nicht nachhaltig sind.

Nun müssen wir das Ganze aber noch mit 60 bis 130 Millionen Tonnen CO2, die die Leopoldina mittels DAC, CCS / CCU zu entfernen bzw. zu nutzen für notwendig hält, multiplizieren. Wenn wir als Mittelwert 100 Mio. t für die Berechnung nehmen, kommen wir auf einen Primärenergiebedarf von 1.600 PJ (1.600 Billiarden Joule). Das wären 15% des Primärenergieverbrauchs Deutschlands in 2023 oder gut 18% des für 2030 angestrebten Primärenergieverbrauchs (siehe Diagramm des Umweltbundesamtes4).

Eine Pilotanlage von Climeworks auf Island kann 36.000 t CO2 pro Jahr einsammeln und verpressen5. Von dieser Art Anlage bräuchte man für jährlich 100 Mio. Tonnen CO2 rein rechnerisch 3.000 Stück. Natürlich würden es nicht 3.000 genau solcher Anlagen sein, aber man kann eine bessere Vorstellung von den notwendigen Größenordnungen bekommen. Unabhängig davon, wie die Anlagen großtechnisch aussähen: Sie erfordern mehr als 18% des deutschen Primärenergieverbrauchs im Jahre 2030. Wie man es sich weltweit vorstellen muss, wird klar, wenn man sich in dem Grundsatz-Artikel3 die Passage zur notwendigen Größenordnung von DAC-Anlagen im Vergleich zur heutigen Ölindustrie durchliest. Dort wird eine wissenschaftliche Studie zitiert, die die zu verarbeitenden Volumina betrachtet: Allein um die 2030 nicht vermeidbaren CO2-Emissionen aufzufangen und abzuspeichern, bräuchte man eine Industrie, die etwa 20 Mal so groß sein müsste wie die heutige Ölindustrie.

Was CCU anbelangt, ist es noch absurder: Nur hypothetisch gedacht - wenn man ALLE theoretisch mit CO2-Folgeprodukten ersetzbaren Stoffe ersetzen würde, könnte man nur 10% des anfallenden CO2 entfernen. Um also bestenfalls 10 % der weltweiten jährlichen CO2-Emissionen zu beseitigen, bräuchte die chemische Industrie aber 55 % der weltweiten Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (wie für 2030 prognostiziert)3.

Das gilt aber nur für die chemische Umwandlung des CO2. Vorher muss es ja noch eingesammelt und verflüssigt werden: Bei der derzeit jährlichen CO2-Emissionen von etwa 36 Gigatonnen benötigen wir nur für die Stabilisierung der CO2-Konzentration auf aktuellem Niveau ca. 22 PWh an elektrischer Energie (und 72 PWh thermischer Energie). Die für 2030 prognostizierte Gesamtstromerzeugung von ca. 33 PWh würde somit zu 2/3 für CCS bzw DAC benötigt werden (Gesamtstrombedarf, nicht nur der aus regenerativen Energiequellen). Mit welchem Strom soll dann die weltweite Infrastruktur und Industrie betrieben werden? Es blieben ja nur noch 9 PWh Strom konventioneller zusammen mit regenerativer Erzeugung für das übrig, was heute (2023) knapp 30 PWh erfordert.

Stromerzeugung ist immer mit Wirkungsgradverlusten verbunden, das ist Entropie. Um die erforderliche Menge an Strom zu erzeugen, braucht man Kraftwerke - konventionelle oder regenerative Energie bereitstellende Anlagen. Die Herstellung der Kraftwerke bzw. Anlagen erzeugt Entropie. Wenn wir CO2 aus der Luft entnehmen, vermindern wir dort (in der Atmosphäre, in der Abluft von Zementfabriken) die Entropie, die Mischungsentropie. Diese verschwindet nicht einfach, sondern manifestiert sich in Form von Abfällen, zerstörten Landschaften, verschmutzten Gewässern, sinkendem und vergiftetem Grundwasser, drastisch sinkender Biodiversität, in Zerstörung von Natur und vielen anderen Umweltschäden. Somit kann uns die Entropie als Kriterium für Nachhaltigkeit dienen.

Sie zeigt: CO2 sollte von der Natur aus der Atmosphäre entnommen und genutzt werden, natürliche Ökosysteme strahlen Entropie in Form von Infrarot niedriger Energie ab, anders als die von uns mit technologischen Prozessen erzeugte Entropie, die in Form von Umweltschäden auf der Erde abgelagert wird. Es sind also solche Verfahren und Produkte nachhaltiger als Alternativen dazu, die weniger Entropie erzeugen. Natürliche Prozesse, natürliche Ökosysteme sind dabei unschlagbar.

1https://www.chemie.de/news/1184465/wie-eine-kohlenstoff-zentralbank-europa-zum-co2-staubsauger-machen-kann.html

2https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Publikationen/Nationale_Empfehlungen/2024_Leopoldina_Ad-hoc-Stellungnahme_Kohlenstoffmanagement.pdf

3https://www.bernhard-wessling.com/wp-content/uploads/2024/07/Entropie-und-Nachhaltigkeit-korr-V7-mit-Abb.pdf

4https://www.umweltbundesamt.de/daten/energie/primaerenergieverbrauch#definition-und-einflussfaktoren

5https://www.esgtoday.com/climeworks-launches-massive-direct-air-capture-plant-in-iceland/

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