Wenn Metalle sich verformen: Werkstoff-Innovationspreis 2010 an RUB-Forscherin verliehen
Intelligente Mikrosysteme
Miniaturisierte Anwendungen und Systemkomponenten gewinnen in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung. Besonders in intelligenten Mikrosystemen - etwa Mikroaktoren, Mikroventilen, medizinischen Stents oder Führungsdrähten - kommen immer häufiger NiTi-FGL zum Einsatz. NiTi-FGL besitzen die besondere Fähigkeit nach einer Verformung, die weit über die elastische Verformbarkeit hinausgeht, wieder ihre ursprüngliche Gestalt anzunehmen - entweder durch Erwärmung und Abkühlung oder durch eine mechanische Reaktion. Dieses Verhalten basiert grundsätzlich auf einer Veränderung bzw. Umwandlung des Materials vom so genannten Martensit (Niedertemperaturphase) zum Austenit (Hochtemperaturphase) und umgekehrt.
Pseudoelastische Stents
Die meisten medizinischen Anwendungen nutzen den mechanischen Formgedächtniseffekt, die so genannte Pseudoelastizität: angeregt durch Spannung findet beim Belasten eines austenitischen Bauteils die martensitische Phasenumwandlung statt, die mit großen Dehnungen einhergeht. Beim Entlasten erfolgt die Rückumwandlung in den Austenit und das Bauteil ist wieder in seiner ursprünglichen Gestalt. In medizinischen Stents zur Stabilisierung von Blutgefäßen wird die Pseudoelastizität genutzt, um große umkehrbare (reversible) Verformungen zu gewährleisten. Die martensitische Phasenumwandlung spielt somit für die besonderen mechanischen Eigenschaften von Mikrosystemen aus NiTi-FGL eine zentrale Rolle.
Das Problem: irreversible Verformung
Das Problem: Je größer die Kräfte und die Belastung des Materials sind, umso anfälliger wird das Mikrosystem. Eine große plastische Verformung verhindert beim Entlasten möglicherweise die vollständige Rückumwandlung in den Ausgangszustand, so dass eine irreversible Verformung im Material zurückbleibt. Um das Verhalten der Materialien für Mikrosysteme unter Belastung mechanisch zu untersuchen und besser vorherzusagen, reichen bisherige Standardprüfverfahren nicht aus.
Die Lösung: Nanoindentation
Um das komplexe Zusammenspiel von Phasenumwandlung und Plastizität genauer zu beschreiben, hat Dr. Pfetzing-Micklich das Verfahren der Nanoindentation angewandt - das ist ein Prüfverfahren, bei dem man mit einer hauchdünnen Spitze, dem „Indenter“, auf mikrostruktureller Ebene in die Legierung eindringt. Pfetzing-Micklich hat NiTi-Legierungen mit verschiedenen Indentationskräften lokal verformt und das Verhalten des Materials unter dem Durchstrahlungselektronenmiskroskop beobachtet. Durch besonders kleine Eindringtiefen und kleine Indentationskräfte bietet das Verfahren die einzigartige Möglichkeit, die mechanischen Eigenschaften des Materials präzise zu charakterisieren. Die damit gewonnenen Erkenntnisse über das lokale mechanische Verhalten der Mikrosysteme liefern einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung zukünftiger NiTi-Legierungen.
Der Werkstoff-Innovationspreis
ThyssenKrupp ist ein langjähriger Kooperationspartner der Bochumer Fakultät für Maschinenbau. Das Unternehmen gehört zudem federführend dem Industriekonsortium an, das zusammen mit dem Land NRW das Materialforschungszentrum ICAMS der RUB finanziell unterstützt. Seit 2002 verleiht ThyssenKrupp den Werkstoff-Innovationspreis an Wissenschaftler der Ruhr-Universität, die in der Erforschung, Entwicklung und Anwendung von Werkstoffen Herausragendes leisten. Die diesjährige Preisträgerin Dr.-Ing. Janine Pfetzing-Micklich wurde 2009 an der RUB promoviert und arbeitet derzeit als Post-Doc am Lehrstuhl Werkstoffwissenschaft (Prof. Dr.-Ing. Gunther Eggeler). Sie baut eine Nachwuchsgruppe auf, die sich mit den „Mechanischen Eigenschaften kleiner Systeme“ beschäftigt. Prämiert wurde sie für ihre Arbeit „TEM investigation of the microstructural evolution during nanoindentation of NiTi“.