Neue Indizien für ein exotisches Teilchen
COSY-Beschleuniger: Hinweis auf Ursache des ABC-Effekts
Forschungszentrum Jülich
Forschungszentrum Jülich
Bisher konnten Physiker nur zwei verschiedene Klassen von Kernbausteinen – genauer: Hadronen – beobachten: Mesonen und Baryonen. Mesonen sind flüchtige Teilchen, die sich aus zwei elementaren Bausteinen – einem Quark und einem Antiquark – zusammensetzen. Baryonen bestehen aus drei Quarks. Zu ihnen zählen unter anderem die Protonen und Neutronen, aus denen die Atomkerne aufgebaut sind. Viele Physiker gehen aber davon aus, dass zusätzlich noch weitere, komplexer aufgebaute Teilchen existieren: die "exotischen Hadronen". Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik erlaubt neben den bekannten Baryonen und Mesonen nämlich noch verschiedene andere Arten von Hadronen, die beispielsweise als "Hybride", "Glueballs" oder "Multiquarks" bezeichnet werden. Bis jetzt ließ sich die Existenz solcher exotischer Hadronen allerdings nie eindeutig nachweisen. Die Messungen am Jülicher COSY-Beschleuniger könnten einen wichtigen Beitrag leisten, um diese Lücke zu schließen. Die Experimente weisen auf eine neue Struktur hin, die insgesamt sechs Quarks umfasst. Dabei könnte es sich um ein exotisches, kompaktes Teilchen handeln oder auch um ein "hadronisches Molekül", das - ähnlich wie ein gewohntes Molekül, nur in kleineren Dimensionen - aus mehreren kleinen Kernbausteinen aufgebaut ist, vielleicht sogar ganz ähnlich wie ein Atomkern. Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, müsste dem Particle Data Booklet, der "Bibel der Experimentalteilchenphysiker", ein neuer Eintrag hinzugefügt werden.
Die beobachtete Struktur ist extrem kurzlebig und ließ sich nur indirekt über ihre Zerfallsprodukte nachweisen. Der schnell vergängliche Zwischenzustand – Fachbegriff: Resonanz – existiert nur für die Dauer einer Hunderttrilliardstel (10^-23) Sekunde. Diese Zeitspanne ist so kurz, dass Licht darin gerade einmal einen kleinen Atomkern durchlaufen könnte. „Die neuartige Resonanzstruktur, die wir beobachtet haben, lässt den ABC-Effekt in einem völlig neuen Licht erscheinen“, berichtet der Sprecher der Arbeitsgruppe, Prof. Heinz Clement von der Universität Tübingen. Die Physiker Alexander Abashian, Norman E. Booth und Kenneth M. Crowe hatten 1960 erstmals das mysteriöse Phänomen beschrieben. Es bezeichnet eine unerklärliche Abweichung bei Fusionsexperimenten mit leichten Atomkernen - das Auftreten unerwartet vieler neutraler Pi-Meson-Paare mit kleiner Energie. Seitdem suchen Forscher nach der Ursache für den ABC-Effekt, und der neuartige Zustand wäre wegen seiner Zerfallseigenschaften ein passender Kandidat.
In den Experimenten am Jülicher Teilchenbeschleuniger untersuchten die Wissenschaftler die Kollision von Protonen und Neutronen, bei der die beiden Teilchen zu einem Deuteron verschmolzen und zusätzlich zwei neutrale Pi-Mesonen – kurz: Pionen - entstanden. Erst die Kombination aus COSY-Beschleuniger und WASA-Detektor, der 2005/2006 aus dem schwedischen Uppsala nach Jülich verlegt worden war, ermöglichte die extrem genauen Messungen. "In unseren Experimenten konnten wir die Reaktion erstmals über den gesamten Energiebereich mit einer bisher unerreichten Präzision untersuchen", erzählt Prof. Hans Ströher vom Institut für Kernphysik des Forschungszentrums Jülich. Mit dem besonders gleichmäßigen, durch mehrere Korrekturverfahren "gekühlten" Protonenstrahl am COSY (COoler SYnchrotron) ließ sich die Impulsverteilung jedes einzelnen Zusammenstoßes sehr genau bestimmen. Der angeschlossene, fünf Meter lange WASA-Detektor spürte anschließend die entstandenen ungeladenen Teilchen auf – in diesem Fall neutrale Pionen, die in zwei Photonen (Lichtquanten) zerfallen. Die Genauigkeit der Messwerte spielte eine entscheidende Rolle. Sie erlaubte Rückschlüsse auf spezielle Eigenschaften der Resonanz, die sich alle gemeinsam - trotz aller Bemühungen der Theoretiker – nicht mehr konventionell erklären ließen, so dass die beteiligten Forscher von der Entdeckung eines neuartigen Bindungszustands ausgehen.
Zum weiteren Nachweis der exotischen Resonanz ist bereits eine Fortsetzung der Experimente geplant. Bisher zeigte sich diese Struktur nur in Kollisionen, bei denen Protonen und Neutronen miteinander zu Deuteron fusionieren. Mit einem verbesserten Versuchsaufbau wollen die Wissenschaftler im kommenden Jahr testen, ob sich die exotische Resonanz wie erwartet auch bei elastischen Stößen ohne anschließende Fusionsreaktion und Pion-Produktion nachweisen lässt. Die Auswertung wird allerdings noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die ersten Ergebnisse liegen voraussichtlich 2013 vor.