Geringe Radon-Konzentrationen erstmals genau messbar

Neues Messverfahren aus der PTB kommt rechtzeitig zur Verschärfung der EU-Strahlenschutzrichtlinie

25.07.2013 - Deutschland

Man sieht es nicht, man riecht es nicht, man schmeckt es nicht – aber es kann in hohen Dosen tödlich sein: Das natürliche radioaktive Edelgas Radon tritt vor allem dort aus dem Boden aus, wo der Untergrund aus Granit besteht. Es kann aber auch in Baumaterialien vorhanden sein. Dass Radon in hohen Dosen Lungenkrebs verursacht, ist längst bekannt – viele Arbeiter aus den Uran-Minen der Wismut-Werke der DDR sind daran gestorben. Inzwischen schätzen aber Wissenschaftler, dass Radon auch in niedrigen Konzentrationen eine Gefahr sein kann, und haben die Strahlenwirkung darum offiziell hochgestuft: Das Gas trägt jetzt offiziell gleichauf mit medizinischen Diagnose- und Therapieverfahren am stärksten zur Strahlenbelastung der Bevölkerung bei. (Bisher galt der Anteil der Medizin, etwa durch Computertomografie-Untersuchungen, als etwas höher.) Daher sind EU-weit die Richtwerte für Radon in Gebäuden gesenkt worden. Aber bisher können die Messgeräte die typischen, alltäglichen Radonkonzentrationen gar nicht genau genug messen. Mit einer von Diana Linzmaier in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) entwickelten Low-Level-Radon-Referenzkammer samt dazugehörigem Transfernormal können erstmals Radon-Messgeräte in diesem zukünftig entscheidenden Bereich mit kleinen Messunsicherheiten kalibriert werden. Bislang ist die Anlage weltweit einzigartig.

Wer in seinem Leben wie viel schädliche Strahlung abbekommt, ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Höhere Dosen sind es zum Beispiel bei Astronauten bei Weltraumflügen oder bei Krebspatienten, die eine Strahlentherapie über sich ergehen lassen müssen. Für den Durchschnittsbürger sind vor allem zwei Quellen der Strahlenbelastung wichtig – die eine von Menschen gemacht, die andere von der Natur. Das sind medizinische Diagnose- und Therapieverfahren auf der einen Seite und das natürlich vorkommende Radon auf der anderen. „Bei der Medizin macht vor allem die Computertomografie einen großen Anteil an der Strahlenbelastung aus“, erläutert PTB-Physikerin Annette Röttger.

Bei der natürlichen Exposition ist es hingegen vor allem das Radon: Wenn ein Haus zufällig auf einer Erdspalte steht, durch die besonders viel Radon aus dem Untergrund heraufdringt, könnte daraus eine Gefahr für die Bewohner erwachsen, vor allem bei schlechter Lüftung, wenn sich das Radon in der Raumluft anreichert. Radon-222 ist ein radioaktives Edelgas. Es zerfällt in verschiedene Schwermetalle, die ebenfalls radioaktiv zerfallen. Dabei entstehen Alpha-Strahler. „Ein Alpha-Strahler ist in Luft schon nach wenigen Zentimetern wirkungslos, erläutert Röttger. „Aber im Körper ist er höchst wirkungsvoll: Einmal zusammen mit dem Radon-Gas in die Lunge gekommen, kann er die Bronchien schädigen und Lungenkrebs auslösen.“ Gegen dieses natürliche Risiko aus dem Untergrund oder aus Baumaterialien (etwa Granitböden oder Gipsplatten, die ebenfalls Radon abgeben können) kann man sich schützen. „Doch das kann teuer werden“, sagt Annette Röttger. Bevor ein Bauherr anfängt, seinen Keller mit einer Dauerbelüftung zu versehen oder Gipsplatten herauszureißen, sollte er in jedem Fall erst einmal genau messen.

Und da zeigt sich das Dilemma: Radon kommt zwar bis zu Aktivitätskonzentrationen von ca. 100 000 Bq/m3 in deutschen Häusern vor, im Durchschnitt der Häuser sind es aber eher 50 Bq/m3 bis 200 Bq/m3. Messgeräte konnten bisher nur bei Konzentrationen von mindestens 1000 Bq/m3 kalibriert werden. „Darunter werden sie in jedem Fall ungenauer, manchmal sogar falsch. Wie viel, wissen wir aber nur selten“, sagt die Physikerin. Eine sehr unbefriedigende Lage – nicht nur für Bauherrn, sondern auch für Messgerätehersteller, die vermutlich in Zukunft dafür sorgen müssen, dass ihre Geräte für die Prüfung von Referenzwerten auch geeignet sind. Die Internationale Strahlenschutzkommission (International Commission on Radiological Protection, ICRP) hat nämlich die Bewertung der biologischen Wirksamkeit von Radon nach oben korrigiert. Somit trägt Radon zu einer viel höheren effektiven Dosis bei als bisher angenommen. Das hat Folgen: Europaweit wird erstmals ein einheitlicher Referenzwert für die mittlere Radon-Konzentrationen in Gebäuden festgelegt. Dieser Referenzwert liegt bei 300 Bq/m3 und ist damit deutlich niedriger als die bisher unverbindlichen Empfehlungen.

In den nächsten drei Jahren sollen diese Vorgaben in nationales Recht umgesetzt werden. Das könnte in Deutschland schon im Herbst beginnen. Dann wird es statt der bisherigen Empfehlungen zum ersten Mal verbindliche Referenzwerte für die Radonkonzentration in öffentlichen Gebäuden, z. B. Schulen, geben.

Auf diese Entwicklung hat sich die PTB rechtzeitig eingestellt. Im Rahmen des Doktorandenprogramms entwickelte Diana Linzmaier mit dem Team der Radon-Messtechnik eine völlig neue Messeinrichtung, mit der erstmals auch die geringen alltagsrelevanten Aktivitätskonzentrationen genau gemessen werden können. Die Apparatur besteht aus mehreren Teilen: Am Anfang steht ein neu entwickeltes Radium-226-Aktivitätsnormal, das viel länger und kontinuierlich Radon (Rn-222, das Zerfallsprodukt von Ra 226) erzeugt als die bisherigen Radon-Aktivitätsnormale. Bei denen war spätestens nach vier Tagen, der Halbwertszeit von Radon, die Messzeit zuende. Diese neue Quelle lässt das Radon-Gas in genau bekannter Menge und Aktivität kontinuierlich in eine Kammer strömen, wo es mit Luft gemischt wird. So entsteht eine Referenz-Atmosphäre. „Wir haben hier also eine genau bekannte Luftmenge mit einer genau bekannten Radonmenge: also eine bekannte Aktivität in einem bestimmten Volumen“, sagt Röttger. Diese Werte sollte ein Messgerät nach der Kalibrierung möglichst exakt anzeigen. Und weil der bisherige Zeitdruck wegfällt, kann die Genauigkeit jetzt auch durch länger andauernde Messungen von bis zu mehreren Wochen gesteigert werden. Als Alternative kann die erzeugte Radon-Atmosphäre auch zu einem neuen, hochempfindlichen Messgerät hin transportiert werden (siehe Abbildung). Mit diesem hochempfindlichen Transfernormal kann eine Konzentration von 200 Bq/m3 mit einer Messunsicherheit von 2 % gemessen werden – und das in viel kürzerer Zeit.

Hersteller von Radon-Messgeräten können schon jetzt ihre Geräte bei der PTB oder beim Bundesamt für Strahlenschutz, das ebenfalls ein PTB-Transfernormal erhalten hat, kalibrieren lassen. Es ist zu vermuten, dass die besseren Messmöglichkeiten sich auf zukünftige Studien, die sich mit der Neubewertung des Lungenkrebsrisikos durch Radon beschäftigen, auswirken werden.

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