Reine Formsache
Die Reaktionsrate vieler Moleküle hängt von ihrer Gestalt ab
Yuan-Pin Chang/DESY
Jochen Küpper/DESY
Viele chemische Verbindungen haben zahlreiche sogenannte Konformere - das sind verschiedene Formen eines Moleküls, bei denen manche Bausteine räumlich anders angeordnet (verdreht) sind. „Schon winzige Änderungen in der Struktur können großen Einfluss auf die Eigenschaften einer Verbindung haben", erläutert Küpper. „Wir möchten wissen, wie genau sich die Molekülstruktur auf chemische Reaktionen auswirkt. Unter Umständen können verschiedene Konformere sogar zu unterschiedlichen Reaktionsprodukten führen."
Um solche Unterschiede genauer zu untersuchen, haben die Wissenschaftler eine Sortiermaschine für Moleküle gebaut, mit der sich ein Konformer gezielt herauspicken und in eine chemische Reaktion einspeisen lässt. Die Apparatur nutzt die Tatsache, dass durch eine Änderung der Struktur in der Regel auch das sogenannte Dipolmoment eines Moleküls modifiziert wird. Das Dipolmoment beschreibt, wie ein Molekül auf ein elektrisches Feld reagiert. Die Sortiermaschine erzeugt zwischen einem elektrisch geladenen Stab und einem Trog ein ungleichmäßiges elektrisches Feld. Schicken die Forscher mehrere Konformere zugleich durch den schmalen Schlitz zwischen Stab und Trog, werden diese durch das Feld unterschiedlich stark abgelenkt. Die Apparatur liefert so sortierte Strahlen verschiedener Konformere, die räumlich getrennt und separat in eine Reaktionskammer gelenkt werden können.
Zum Test schickten die Wissenschaftler um Küpper und Willitsch zwei Konformere einer gut bekannten Verbindung aus der Gruppe der Aminophenole zum Sortieren durch die Apparatur. Aminophenole sind organische Verbindungen, die unter anderem zur Herstellung von Arzneimitteln und Farbstoffen benutzt werden. Die gewählten Konformere unterschieden sich lediglich durch die Richtung, in der ein einzelnes Wasserstoffatom an einem Sauerstoffatom hängt. „Dadurch hat das eine Konformer ein dreimal größeres Dipolmoment als das andere", erläutert Küpper.
Die verschiedenen sortierten Strahlen leiteten die Wissenschaftler abwechselnd in eine in Basel entwickelte sogenannte Ionenfalle, wo die beiden Konformere mit elektrisch geladenen Kalziumatomen (Kalziumionen) reagieren konnten. „In der Ionenfalle werden die Kalziumatome fast auf den absoluten Nullpunkt der Temperatur bei minus 273 Grad Celsius abgekühlt. Dabei ordnen sie sich im Raum an und bilden ein ideales Ziel für Reaktionen mit den räumlich getrennten Konformeren", sagt Willitsch.
„Es zeigte sich, dass eines der Konformere eine doppelt so hohe Reaktionsrate hat wie das andere", berichtet Yuan-Pin Chang vom CFEL. Eine winzige Änderung in der Struktur führt damit zu großen Unterschieden in der chemischen Reaktivität. „Auf diese Weise erlaubt die Methode Einsichten in fundamentale Reaktionsmechanismen, die zu effektiveren Synthesen von neuen Molekülen wie beispielsweise pharmazeutischen Wirkstoffen führen können", betont Willitsch.
In einem nächsten Schritt wollen die Forscher die Ionenfalle so verbessern, dass sich zahlreiche Ionen und Moleküle als Reaktionspartner für sortierte Konformere nutzen lassen. Zudem wird die Falle mit einem Massenspektrometer kombiniert, um die Reaktionsprodukte genauer bestimmen zu können.
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