Paartanz im Quantenmagneten
In einer Quantensimulation lässt sich die kleinstmögliche magnetische Domäne erstmals direkt beobachten
© MPI für Quantenoptik
© Nature 502, 76 – 79 (2013)/MPI für Quantenoptik
Magnete mögen in Allerweltsanwendungen, in Kernspintomographen oder in Großgeräten der Forschung noch so gebräuchlich sein, das Phänomen des Magnetismus bietet Forschern immer noch reichlich Raum für neue Entdeckungen. Nicht zuletzt, weil es viel mehr Facetten besitzt als nur die anziehende oder abstoßende Wirkung eines Permanentmagneten mit seinem Nord- und Südpol oder das magnetische Feld eines stromdurchflossenen Spule. Zu den exotischeren Varianten gehören etwa Ketten von Elementarmagneten, die etwa in einer speziellen Form von Kupfersulfat auftreten und sich für eine besonders platzsparende und effiziente Informationsübertragung empfehlen.
Ehe die magnetischen Ketten jedoch zu solch einer Anwendungen gelangen, müssen Physiker erst noch besser verstehen, wie genau die Träger der Information in solchen Ketten transportiert werden. Dabei sind Forscher des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik nun einen Schritt vorangekommen. Gleichzeitig lieferten sie mit ihren Experimenten einen weiteren Beleg, wie gut sich ihr System für Quantensimulationen eignet.
Im künstlichen Kristall lassen sich physikalische Prozesse unmittelbar beobachten
In solchen Simulationen ahmen Physiker ein Quantensystem, dessen Details ihnen wie in einem Ensemble von Elementarmagneten verborgen bleiben, mit einem Quantensystem nach, das sie gut beobachten und genau kontrollieren können. Als solches dienen den Garchinger Max-Planck-Forschern ultrakalte Rubidiumatome, die sie in einem optischen Gitter fangen. Das Gitter, in dem sich die Atome wie Eier in einem Eierkarton anordnen, erzeugen sie aus kreuzweise überlagerten Laserstrahlen. „Die Atome in dem künstlichen optischen Kristall gewähren uns einen Einblick in Festkörper, der andere Untersuchungsmethoden komplementär ergänzt“, sagt Immanuel Bloch, Direktor am Garchinger Max-Planck-Institut. „Denn anders als bei gängigen Methoden können wir die Teilchen und ihr physikalisches Verhalten direkt beobachten.“
Nun simulierte das Team um Christian Groß mit dem Modell elementare Prozesse in einem eindimensionalen Magneten, genauer gesagt in einem eindimensionalen Quantenmagneten. Von einem Quantenmagneten sprechen Physiker, wenn sie ein magnetisches System bei sehr tiefen Temperaturen betrachten, da dann idealerweise nur die Gesetze der Quantenphysik gelten.
Zu der eindimensionalen magnetischen Kette gelangten die Forscher, indem sie das optische Gitter über die Intensität der Laser zunächst so geschickt modulierten, dass sie die einzelnen Reihen der Atome voneinander isolierten. Die magnetische Ordnung in einer Atomkette simulierten die Garchinger Forscher mit zwei Zuständen der Teilchen, die jeweils für zwei mögliche Orientierungen eines Elektronenspins an einem Atom stehen. Der Spin entspricht dem Eigendrehimpuls eines Elektrons und macht ein einzelnes Elektron und damit das Atom zu einem winzigen Elementarmagneten.
Erste direkte Beobachtung der vor 80 Jahren vorhergesagten gebundenen Magnone
Zunächst brachten die Forscher alle Atome in denselben Zustand und ahmten damit die Situation nach, dass sich alle Spins in der Kette gleich ausrichten und sich somit eine ferromagnetische Ordnung wie in magnetisiertem Eisen oder einem Permanentmagneten ausbildet. Nun regten sie zwei benachbarte Atome mit kurzen Laserpulsen an und imitierten so 180-Grad-Drehungen der beiden Elementarmagnete. Im Jargon der Physiker heißt das: Sie regten zwei Magnonen an.
Solche Magnonen oder magnetische Anregungen wandern durch die Kette der Atome, die Position der umgeklappten Elementarmagnete ändert sich also. In etwa der Hälfte der Garchinger Experimente bewegten sich die Magnonen dabei unabhängig voneinander. Wie das Team um Christian Gross live verfolgen konnte, tanzten die beiden Magnonen in der anderen Hälfte der Fälle jedoch paarweise durch die Atomreihe. „Wir haben die gebundenen Magnonen erstmals direkt beobachtet“, sagt Christian Groß, der das aktuelle Experiment gemeinsam mit Immanuel Bloch leitete.
Theoretisch vorhergesagt hat der deutsch-amerikanische Physiker und Physik-Nobelpreisträger Hans Bethe die gebundenen Magnonen in eindimensionalen Magneten bereits vor 80 Jahren, experimentell gab es dafür bisher aber nur vage indirekte Belege.
Freie Magnonen bewegen sich doppelt so schnell wie gebundene
Der direkte Nachweis der gebundenen Magnonen zeugt nicht nur von einem raffinierten quantenphysikalischen Experiment, sondern hilft auch, das Verständnis in anderen Bereichen der Physik zu vertiefen. Denn letztlich lassen sich alle Eigenschaften eines Materials wie etwa seine Magnetisierung oder seine Wärmekapazität auf elementare Anregungen beispielsweise in Form von Magnonen zurückführen. „Unsere Studie zeigt, dass man die gebundenen Magnonen berücksichtigen muss, um die thermodynamischen Eigenschaften eines Materials zu berechnen“, sagt Takeshi Fukuhara, der an dem Experiment maßgeblich beteiligt war.
Zudem könnten die Experimente von praktischer Bedeutung sein, weil die Max-Planck-Forscher auch verglichen haben, wie sich freie und gebundene Magnonen durch einen eindimensionalen Magneten bewegen. Demnach laufen die ungebundenen Magnone doppelt so schnell durch die magnetische Kette, wie die gebunden. Dabei wächst der Abstand zwischen den freien Magnonen symmetrisch: springt eines von ihnen um einen Platz nach links, hüpft das andere genau eine Position nach rechts.
„Wenn man künftig einmal Informationen durch eindimensionale Magneten übertragen möchte, muss man die unterschiedliche Dynamik von gebundenen und freien Magnonen berücksichtigen“, so Christian Groß. Das könnte etwa für Bauteile der Spintronik wichtig werden, die platzsparender und effizienter arbeiten soll als herkömmliche Elektronik. Denn dabei würden Datenbits nicht mehr in der Ladung von Elektronen, sondern in deren Spinrichtung gespeichert, was weniger Platz und Energie braucht.
Nun sind Simulationen zweidimensionaler Magnete geplant
Für ihn und seine Kollegen hat die aktuelle Arbeit zudem grundlegende Bedeutung. „Das Experiment bestätigt, dass wir mit ultrakalten Atomen in einem künstlichen Kristall magnetische Systeme simulieren können“, sagt Immanuel Bloch. Zudem zeigt die Studie den Physikern, was sie bei solchen Quantensimulationen berücksichtigen müssen. Die gebundenen Magnonen bleiben im Schnitt nämlich 200 Millisekunden stabil. Für die meisten Experimente lässt das reichlich Zeit, weil Quantenexperimente meist deutlich schneller vonstatten gehen. Die begrenzte Lebensdauer der gebundenen Zustände offenbart aber, dass der künstliche Kristall ein Magnetmodell auf Zeit ist.
Um sich für künftige Experimente vielleicht noch mehr Zeit zu verschaffen, will das Garchinger Team den Zerfall der gebundenen Magnonen nun genauer untersuchen. „Wir wollen im Detail verstehen, was die Lebensdauer begrenzt“, sagt Takeshi Fukuhara. Das ist aber nur eine Richtung, in der er und seine Kollegen weiterforschen: Nachdem sie mit einem eindimensionalen Magneten das einfachste mögliche System imitiert haben, werden sie nun zweidimensionale magnetische Systeme simulieren, wie sie sich auch in einigen Materialien finden. Die Motivation der Garchinger Physiker bleibt dabei dieselbe, die sie auch bei der aktuellen Arbeit angetrieben hat: Sie wollen neue Einsichten über elementare Prozesse in Quantensystemen wie etwa in Festkörpern gewinnen.