Chemiebranche setzt auf TTIP - Chance oder Risiko?
(dpa) In Europa werden Chemikalien vor der Zulassung geprüft. Ganz anders in den USA: Dort muss bewiesen werden, dass ein Stoff riskant ist, damit er vom Markt genommen wird. Kritiker warnen: Wenn mit dem Freihandelsabkommen TTIP die Standards dies- und jenseits des Atlantiks angepasst werden, leiden der europäische Umwelt- und Verbraucherschutz. Ist die Sorge berechtigt?
Was ist TTIP?
Die Abkürzung TTIP steht für «Transatlantic Trade and Investment Partnership» (Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen). Ziel ist, dass Einfuhrzölle und andere Handelshemmnisse wegfallen. Zudem sollen gemeinsame Produktstandards festgelegt und Industrie- und Prüfnormen vereinheitlicht werden, um den Handel zwischen den beiden Wirtschaftsräumen EU und USA zu stärken. Das soll zusätzliche Milliardenumsätze und Millionen neue Jobs schaffen.
Welche Kosten verursachen Zölle bisher?
Nach Schätzung des Branchen-Verbands VCI wurden 2010 allein für Exporte der deutschen Chemieunternehmen rund 140 Millionen Euro an die US-Staatskasse gezahlt. «Das sind völlig unnötige Kosten, die wir deutlich sinnvoller investieren könnten», sagt Reinhard Quick, Leiter des VCI-Europabüros in Brüssel. Würden Zölle und Handelshemmnisse abgeschafft und die regulatorische Zusammenarbeit verstärkt, würden Handelsströme stimuliert und Wachstum auf beiden Seiten des Atlantiks belebt, lautet die Argumentation. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) erwartet in der Branche 2000 neue Jobs, 2 Milliarden Euro Produktionsplus und 600 Millionen Euro zusätzliche Wertschöpfung. Diese komme erfahrungsgemäß über neue Arbeitsplätze und Entgelte zu rund 70 Prozent bei den Mitarbeitern an.
Wie groß wäre der gemeinsame Chemie-Markt?
TTIP könnte die größte Chemie-Handelszone der Welt schaffen: Die Europäische Union und die USA erzielten nach VCI-Angaben 2013 beim Handel mit Chemieprodukten 34,3 Prozent Weltmarktanteil. Zudem sind die USA mit einem Anteil von gut 9 Prozent wichtigstes Zielland für deutsche Chemieexporte außerhalb Europas: Die deutsche Chemie führte dorthin im Jahr 2013 Waren im Wert von rund 15 Milliarden Euro aus.
Welche Hürden gibt es?
Die Zulassung von Chemikalien diesseits und jenseits des Atlantiks unterscheidet sich grundlegend. Verglichen mit dem Vorsorgeprinzip in der EU wird in den USA die Beweislast umgedreht: Dort muss die Regulierungsbehörde den Nachweis erbringen, dass ein Produkt umwelt- oder gesundheitsschädlich ist. So lange dies nicht geschieht, gelte der Stoff als zugelassen, warnen Umweltschützer des BUND.
Ist eine Harmonisierung überhaupt vorstellbar?
Aktuell nicht, erklärt die Europäische Kommission. Zunächst solle die Zusammenarbeit der Zulassungsbehörden verbessert werden. Im Rahmen der jeweiligen Gesetze sollten etwa die Methoden in der Bewertung von Chemikalien angenähert werden. Insgesamt zielt TTIP auf effizientere Systeme, damit die Kosten der Unternehmen sinken. Der VCI verspricht sich von der besseren Zusammenarbeit der Behörden, dass die jeweilige Kontrolle von der anderen Seite anerkannt wird.
Was sagen die Kritiker?
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bezeichnet TTIP als «toxisches» Handelsabkommen und warnt vor «Krebserregern, Allergieauslösern und Weichmachern». Es sei zu befürchten, dass die erhofften Gewinne durch eine Aufweichung der strengeren europäischen Gesetzgebung zustande kämen und zulasten des Umwelt- und Verbraucherschutzes gingen: «Die Wunschlisten der Industrieverbände lassen keine Zweifel daran, dass die Industrie TTIP als Chance sieht, die Regulierung von Chemikalien auszubremsen.»
Was sagen Industrie und Politik zu dem Vorwurf?
Brüssel versichert: «TTIP würde EU-Sicherheitsstandards für Chemikalien in keiner Weise beeinträchtigen.» Der BDI betont: «Die gegenseitige Anerkennung von Standards wird nur dort angestrebt, wo US- und EU-Standards ein vergleichbar hohes Schutzniveau bieten.» US-Standards seien nicht grundsätzlich niedriger als die der EU.
Wie steht die Gewerkschaft zum Freihandelsabkommen?
«Ich glaube, dass keine Industriegewerkschaft gegen Handel sein kann, und damit auch nicht per se gegen Handelsabkommen. Das ist Unsinn, wenn man Export-Vizeweltmeister ist», sagt der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis. Gleichzeitig stellt die Gewerkschaft klar: «Der Vertrag darf auf keinen Fall dafür genutzt werden, Sozial- und Umweltstandards runterzuschrauben.»