Die Suche nach der verschwundenen Antimaterie
Neue Physik mit COSY-Beschleuniger
Über 20 Jahre lang haben Wissenschaftler an COSY Vorgängen im Innern von Atomkernen nachgespürt. Ab 2015 rücken nun neue Fragen in den Mittelpunkt. Die Experimente zur Hadronenphysik sollen künftig im dreimal größeren Speicherring HESR am Beschleunigerkomplex FAIR in Darmstadt fortgesetzt werden. An COSY beginnen dagegen Vorbereitungen zur Vermessung fundamentaler Symmetrieverletzungen. Die neuen Projekte sollen helfen zu verstehen, wo die ungeheuren Mengen von Antimaterie nach dem Urknall im Universum geblieben sind. Darüber hinaus wird der Jülicher Beschleuniger verstärkt für die Beschleuniger- und Detektorentwicklung eingesetzt.
Forschungszentrum Jülich
„Seit seiner Einweihung im Jahr 1993 hat sich COSY als sehr effizientes Werkzeug erwiesen, um die Natur der starken Wechselwirkung zu erforschen, die sich in den Eigenschaften der Hadronen zeigt“, erklärt Prof. Hans Ströher, Direktor am Institut für Kernphysik. Zu den Hadronen zählen etwa Protonen und Neutronen, die Bausteine der Atomkerne. Über die gesamte Betriebsdauer sind über 500 Wochen Strahlzeit für insgesamt mehr als 200 Experimente zusammengekommen. Als besonderes Highlight konnten Wissenschaftler am Jülicher Kühler Synchrotron (engl. Cooler Synchrotron, COSY) kürzlich ein erstes exotisches Teilchen nachweisen, das aus sechs Quarks besteht. Lange Zeit waren nur Bindungszustände bekannt, die aus zwei oder drei dieser Elementarteilchen aufgebaut sind.
Einem kosmischen Rätsel auf der Spur
Ab 2015 wendet sich die Forschung an dem 183 Meter langen Beschleunigerring nun der Überprüfung fundamentaler Symmetrien zu. Die Neuausrichtung geht mit der Umstrukturierung des Forschungsbereichs „Struktur der Materie“ der Helmholtz-Gemeinschaft einher, der das Forschungszentrum Jülich als Mitglied angehört. „Für die Hadronenphysik ergeben sich außerdem neue Möglichkeiten am Beschleunigerkomplex FAIR, an dessen Aufbau sich Jülicher Wissenschaftler maßgeblich beteiligen“, erläutert Hans Ströher, gleichzeitig Leiter des Institutsbereichs Experimentelle Hadronendynamik, die Entscheidung.
Die Vorhaben an COSY sollen dazu beitragen, das große Rätsel unserer Existenz zu klären. Nach dem Urknall, so die gängige Annahme, sollte genau so viel Materie wie Antimaterie entstanden sein. Die beiden Formen löschen sich gegenseitig aus. Es dürfte uns eigentlich also gar nicht geben. Doch das ist nicht der Fall, die Auslöschung verlief unvollständig – und die Verletzung fundamentaler Symmetrien könnte erklären warum.
JEDI bringt Licht ins Dunkle
Mit dem Experiment JEDI (Jülich Electric Dipole Investigations) will eine internationale Forschergruppe prüfen, ob das Proton ein elektrisches Dipolmoment besitzt. Es entsteht, wenn die Schwerpunkte elektrisch positiver und negativer Ladungsträger im Proton auseinander liegen. Der zu erwartende Effekt ist fast unvorstellbar klein. Wäre das Proton so groß wie die Erde, so wäre die Trennung der beiden Ladungszentren kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haars. Bei der Messung gilt es, die Vielzahl möglicher Störeffekte zu berücksichtigen: etwa die Erdanziehung und das Erdmagnetfeld, vor dem die Anlage entsprechend abgeschirmt werden muss. In Kooperation mit der RWTH Aachen führen die Wissenschaftler im Rahmen der Jülich Aachen Research Allianz (JARA-FAME) an COSY verschiedene Vorstudien durch. Langfristig zielen die Versuche aber auf den Bau eines neuartigen Speicherrings ab, in dem zwei gegenläufige Protonenstrahlen aneinander vorbeilaufen können.
Neue Werkzeuge für neue Aufgaben
Ein Großteil der Strahlzeit an COSY wird in den nächsten Jahren für die Entwicklung der Geräte und Messverfahren reserviert, die für die geplanten Experimente benötigt werden. Geleitet werden die Arbeiten von Prof. Mei Bai. Im Dezember 2014 ist sie vom Relativistic Heavy Ion Collider (RHIC) am Brookhaven National Laboratory, USA, ans Forschungszentrum Jülich gewechselt. „Die wissenschaftlichen Herausforderungen von Präzisionsmessungen mit polarisierten Protonenstrahlen interessieren mich besonders.“ so die neue Direktorin am Institut für Kernphysik.
Die Beschleuniger- und Detektor-Entwicklung wird insbesondere auch Experimenten mit Antiprotonen am Beschleunigerkomplex FAIR in Darmstadt zugutekommen. Jülicher Wissenschaftler leiten dort den Aufbau des 575 Meter langen Beschleunigerrings HESR und sind an dem Detektorsystem PANDA beteiligt. Mit einer – verglichen mit COSY fünfmal höheren -- Strahlenergie können die Forscher in dieser Anlage auch schwerere Klassen von Quark-Bindungszuständen analysieren und nach neuen exotischen Zuständen fahnden. Besonders interessieren sie sich für die Existenz sogenannter Glueballs, die nicht wie üblich aus Quarks, sondern ausschließlich aus Gluonen bestehen. Gluonen sind die Austauschteilchen der starken Wechselwirkung, die zwischen den Quarks, etwa in einem Proton, ausgetauscht werden. Reine Gluonenbälle wurden bereits theoretisch vorhergesagt, bisher aber noch nicht experimentell nachgewiesen.