Astrochemie: Eine Umlaufbahn für ultrakalte Moleküle
Erste Experimente im Speicherring CSR, mit dem sich die chemischen Bedingungen des Weltalls im Labor nachahmen lassen
© MPI für Kernphysik
Die Kälte des Weltalls bietet nicht gerade optimale Voraussetzungen für chemische Reaktionen, die mit etwas Wärme meistens besser oder überhaupt erst laufen. Trotzdem wurden im Weltall bereits mehr als 180 Moleküle entdeckt. Möglicherweise sind dort sogar elementare Bausteine des Lebens entstanden, die dann mit Kometen auf die Erde gelangt sein könnten. Nicht nur Astrophysiker interessieren sich daher dafür, wie chemische Prozesse in interstellaren Wolken ablaufen. Klar ist, sie folgen ganz anderen Pfaden als die Chemie auf der Erde. Die Astrochemie wollen die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kernphysik daher nun im Labor mit dem elektrostatischen Speicherring CSR untersuchen, den sie mit Hilfe von Forschern des Weizmann-Instituts im israelischen Rehovot realisiert haben.
Im Labor Bedingungen wie im Weltall nachzuahmen, erfordert jedoch viel experimentelles Geschick und auch einige Geduld: Fast drei Wochen dauerte es alleine, bis der Speicherring auf etwa minus 263 Grad Celsius, also wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt, abgekühlt war. Dabei sank der Druck ersten Abschätzungen zufolge auf unter 10-13 Millibar, das ist weniger als der 10 Millionste Bruchteil eines Milliardstels des normalen Luftdrucks, der 1000 Millibar beträgt. Solch ein niedriger Druck ist schwierig exakt zu messen. „Die rein elektrostatische Ionenoptik, extrem niedriger Druck und sehr tiefe Temperaturen erlauben es, darin auch sehr große Molekülionen in niedrigsten Quantenzuständen zu speichern“, bringt Robert von Hahn, der die Entwicklung des CSR geleitet hat, dessen wichtigste Merkmale auf den Punkt.
Bei interstellaren Temperaturen zehn Minuten auf der Umlaufbahn
Bald nachdem die Forscher diese exotischen Bedingungen im CSR geschaffen hatten, gelang es ihnen, positiv geladene Ionen des Edelgases Argon im Ring kreisen zu lassen. Diese Tests gaben grünes Licht für das erste Experiment: „Wir haben in unserer Ionenquelle Hydroxidionen präpariert, in den CSR eingeschossen und dort für mehr als zehn Minuten auf der Umlaufbahn gehalten – das ist an sich schon ein Erfolg“, erläutert Andreas Wolf, Experimentator und an der Entwicklung des CSR beteiligt. „Aber wir wollen natürlich wissen, ob sie auch wirklich auf Temperaturen wie im interstellaren Raum abgekühlt sind.“
Dazu kommt ein durchstimmbarer Laser zum Einsatz. Sein Strahl trifft die gespeicherten Hydroxid-Ionen (OH-), so dass diese ein Elektron verlieren. Es entstehen OH-Radikale, die – da ungeladen – aus der Bahn fliegen und auf einem Detektor landen. Bei welcher Farbe des Laserlichts dies passiert, zeigt an, in welchem Energieniveau sich das getroffene OH–-Ion befand, das heißt, wie viel innere Energie es besaß, bevor es die Energie des Laserlichts aufnahm. Eine erste Auswertung der Daten ergab, dass nicht nur die interne Schwingung der OH–-Ionen, sondern auch ihre Rotation soweit wie möglich zum Erliegen gekommen war – Anzeichen dafür, dass die Moleküle während der Speicherzeit im CSR also tatsächlich interstellare Temperaturen annehmen.
„Es sieht also ganz danach aus, als ob unsere neue ‚Maschine‘ alle Erwartungen erfüllt“, sagt Klaus Blaum, Direktor und Leiter der Abteilung Gespeicherte und gekühlte Ionen am Max-Planck-Institut für Kernphysik. „Der CSR wird seine Stärken bei unseren geplanten Experimenten zur Chemie des Weltraums also voll ausspielen können“, fügt Holger Kreckel, Leiter der Gruppe ASTROLAB am Heidelberger Institut hinzu.