Experiment im All soll Äquivalenzprinzip mit bisher unerreichter Genauigkeit testen

Forscher stellen das Fallgesetz auf den Prüfstand

11.05.2016 - Deutschland

Haben sich Galilei, Newton und Einstein getäuscht? Zumindest ein kleinwenig? Dank ihnen wissen wir heute, dass schwere und träge Masse gleich sind. Im Vakuum fallen daher alle Gegenstände gleich schnell zu Boden, egal wie schwer sie sind. Diese 400 Jahre alte Entdeckung hält bisher jeder Überprüfung stand. Wissenschaftler bestätigen das sogenannte Äquivalenzprinzip mit einer Genauigkeit von 10-13, also bis auf ein Zehnbillionstel genau. Doch moderne physikalische Theorien, wie die String-Theorie, gehen davon aus, dass ganz weit hinter dem Komma der Beweis dafür warten könnte, dass sich träge und schwere Masse unterscheiden. Französische Forscher wollen das Prinzip nun erneut auf die Probe stellen – mit Unterstützung durch den Fachbereich „Wissenschaftlicher Gerätebau“ der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Dort entstanden zwei mikrometergenau hergestellte Hohlzylinderpaare, die seit dem 25. April 2016 im Rahmen des MICROSCOPE-Projektes in einem Satelliten um die Erde kreisen. Das Fallgesetz soll damit mit bisher unerreichter Genauigkeit getestet werden.

Hält man einen Gegenstand in der Hand, spürt man, wie dieser nach unten drückt. Die Erdanziehungskraft zieht ihn zum Boden. Öffnet man die Hand, fällt er – dafür sorgt die sogenannte schwere Masse. Würden wir gemeinsam mit dem Gegenstand fallen, würden wir die Schwerkraft nicht mehr spüren. Dabei wirkt sie immer noch. Allerdings wird sie durch eine entgegengesetzt wirkende Kraft aufgehoben: die Trägheitskraft. Diese widersetzt sich der Beschleunigung. Warum sich schwere und träge Masse gegenseitig genau aufheben, ist noch immer ein Rätsel. Einige Forscher glauben daher, dass das Fallgesetz nicht stimmen kann. Die String-Theorie sagt beim Äquivalenzprinzip eine Unsicherheit im Bereich von 10-14 bis 10-17 voraus. Durch das MICROSCOPE-Projekt könnte die Physik in diese Bereiche vorstoßen. Es soll eine Messgenauigkeit von bis zu 10-15 ermöglichen. Das wäre auf der Erde nicht messbar. Denn dort lässt sich der freie Fall im luftleeren Raum nicht lange genug simulieren. Anders sieht es im Weltraum aus: An Bord eines Satelliten „fallen“ die Zylinder (Testmassen) in den kommenden zwei Jahren auf einer sonnensynchronen Umlaufbahn in etwa 700 Kilometer Höhe um die Erde. Dabei wird sich zeigen, ob eine der Testmassen eine andere Beschleunigung erfährt.

Damit das gelingen kann, müssen die Testobjekte die gleiche Form haben. „Wir haben zwei ineinander gelagerte Zylinder gewählt, da diese den gleichen Schwerpunkt haben“, erklärt Dr. Daniel Hagedorn, Leiter der Arbeitsgruppe für Oberflächentechnologie in der PTB. Beim ersten Zylinderpaar bestehen die Massen aus dem gleichen Material: Platin-Rhodium (PtRh10). Beim zweiten Zylinderpaar besteht der äußere Zylinder aus einer Titan-Legierung (TiAl6V4), einem aus dem Flugzeugbau bekannten Material. Der innere Zylinder besteht wie das erste Zylinderpaar aus Platin-Rhodium. „Wenn wir einen Unterschied in der Beschleunigung sehen, dann bei dem uneinheitlichen Zylinderpaar“, sagt Hagedorn. Gemessen würde dann die Verschiebung des Schwerpunkts der Zylinder. Das einheitliche Paar dient zur Kontrolle. Sollten beide etwas anzeigen, liegt es an den Instrumenten. Damit das Experiment gelingt, müssen die Testmassen immer gleich im Raum ausgerichtet sein. Für die richtige Bahn und den richtigen Winkel sorgt der Satellit. Elektrostatische Kraftfelder stützen die Zylinder.

Die Zylinder exakt gleich anzufertigen, war die größte Herausforderung für die Braunschweiger Gerätebauer. Mehr als fünf Jahre haben sie daran gemessen und gearbeitet. „Das war ein wahnsinnig komplexer Prozess“, sagt Hagedorn. Um die Oberflächen zu perfektionieren, mussten die Drehgeschwindigkeit, die Menge des Kühlschmiermittels, die Art und Form des Diamanten zum Schneiden, der Verschleiß der Werkzeuge und vieles mehr erst einmal erprobt werden. Denn an die benötigte Genauigkeit von weniger als drei Mikrometer hat sich bisher noch niemand herangetraut. „Wir waren mutig genug, das zu probieren“, sagt Hagedorn. Mit Erfolg: Bei der Form gelang eine Genauigkeit von etwa einem Mikrometer. Die durchschnittliche Rauheit der Oberfläche liegt im Bereich von wenigen zehn Nanometern.

Finanziert wird dieses Unterfangen zu 90 Prozent von der französischen Raumfahrtagentur CNES. Für die Forschung sind die Einrichtungen ONERA (Office national d’études et de recherches aérospatiales) und OCA (Observatoire de la Côte d’Azur) verantwortlich. Neben der PTB unterstützt auch das Zentrum für Angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) in Bremen das Projekt. Dort wurde getestet, ob die Zylinder für das Experiment in der Schwerelosigkeit geeignet sind. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt beteiligte sich dabei an der Finanzierung. Zwei Jahre werden die Testmassen im Orbit kreisen – und dabei die Erde mehr als 1000 Mal umrunden. Ob die dabei entstehenden Daten das Verständnis von Raum und Zeit durcheinander bringen, bleibt abzuwarten.

CNES

Microscope-Satellit

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