Erforschung von Elementarteilchen in Materialien

Erste Beobachtung von Dirac-Fermionen in Graphen

19.01.2017 - Deutschland

Die Untersuchung der Eigenschaften fundamentaler Teilchen in Festkörpersystemen ist ein vielversprechender Ansatz für die Quantenfeldtheorie. Quasiteilchen ermöglichen es, Teilcheneigenschaften zu beobachten, die keine Entsprechung in der Teilchenphysik haben. In der vorliegenden Arbeit machte ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Angel Rubio vom Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie am CFEL in Hamburg und von der Universität des Baskenlandes in Donostia-San Sebastián Vorhersagen, wie Laserlicht dazu verwendet werden kann, um in 3D-Dirac-Materialien Weyl-Fermion-Zustände zu erzeugen und auf ultraschnellen Zeitskalen zwischen einem Weyl-Semimetall, einem Dirac-Semimetall und einem topologischen Isolator hin- und herzuschalten. Neben ihrer Bedeutung für grundlegende Fragen der Quantenphysik könnten die Ergebnisse auch zu Anwendungen in der ultraschnellen Schaltung von Materialzuständen führen.

© Jörg M. Harms/MPSD

Tanzende Weyl-Kegel: Wenn sie durch speziell geformte Laserpulse (weiße Spirale) angeregt werden, tanzen die Kegel in einem Dirac-Fermion-Material auf einem Pfad (8er-Form), der durch das Laserlicht kontrolliert werden kann. Dies erzeugt aus dem Dirac-Material ein Weyl-Material und verändert die Natur der Quasiteilchen im Material. Einer der Kegel beherbergt rechtshändige Weyl-Fermionen, der andere Kegel linkshändige.

Im Standardmodell der Teilchenphysik werden die Elementarteilchen, aus denen alle Materie um uns herum aufgebaut ist, Elektronen und Quarks, als Fermionen bezeichnet – benannt nach dem berühmten italienischen Physiker Enrico Fermi. Die Quantenfeldtheorie besagt, dass es von diesen fundamentalen Fermionen drei verschiedene Arten geben kann: Dirac-, Weyl- und Majorana-Fermionen, benannt nach Paul Dirac, Hermann Weyl und Ettore Majorana. Trotz ihrer Vorhersage vor nunmehr fast einhundert Jahren wurden von diesen drei Teilchenarten bisher nur Dirac-Fermionen als Elementarteilchen in der Natur beobachtet. Mit der Entdeckung von Graphen im Jahr 2004 erkannte man jedoch, dass sich das Verhalten freier, relativistischer Teilchen auch in den elektronischen Eigenschaften von Materialien beobachten lässt. Dies entfachte eine Suche nach Materialien, in denen diese fundamentalen Teilchen beobachtet werden könnten; und erst vergangenes Jahr wurden die ersten Materialien entdeckt, in denen Weyl-Fermionen existieren. Während jedes bekannte Material im Gleichgewichtszustand nur eine Art dieser Fermionen beinhaltet, konnte in der aktuellen Arbeit gezeigt werden, wie sich die Natur der Fermionen in bestimmten Materialien mithilfe maßgeschneiderter Lichtpulse umwandeln lässt.

Erste Beobachtung von Dirac-Fermionen in Graphen

Die Beobachtung von Dirac-Fermionen in den Eigenschaften von Graphen hat ihren Ursprung in einer komplexen Wechselwirkung der großen Zahl von Elektronen und Ionen, aus denen das Material aufgebaut ist. Während jedes einzelne Elektron durch elektrostatische Kräfte mit seinen benachbarten Ionen und Elektronen wechselwirkt, führt das spezielle Muster der Kohlenstoff-Ionen in der Wabenstruktur der Graphenlagen dazu, dass sich die Elektronen kollektiv wie masselose freie Fermionen verhalten – Dirac-Fermionen. Diese Teilchen, die sich kooperativ verhalten wie neue Teilchen mit anderen Eigenschaften, nennt man Quasiteilchen. Daher hat sich die Suche nach weiteren Materialien, die Quasiteilchen beinhalten, welche sich wie Elementarteilchen verhalten, bisher auf die Kristallstruktur der Materialien fokussiert.

Erzeugung lasergetriebener topologischer Zustände

Nun hat man jedoch entdeckt, dass sich durch die Bestrahlung eines Materials mit einem Laser Quasiteilchen des Materials mit Photonen des Laserfeldes zu einem wiederum neuen Quasiteilchen verbinden können, das sich nochmals grundlegend anders verhalten kann. Insbesondere kann die Kopplung mit Photonen die Topologie der Quasiteilchen beeinflussen. Die Topologie ist eine Eigenschaft der Teilchen eines Materials, die zu merkwürdigen Eigenschaften führt, beispielsweise zu metallischen chiralen Zuständen, die eine widerstandslose einspurige Quanten-Autobahn entlang der Oberfläche eines im Inneren isolierenden topologischen Isolators bilden. Diese Chiralität, oder Händigkeit, ist topologisch in dem Sinne, dass rechtshändige und linkshändige Zustände nicht kontinuierlich ineinander überführt werden können. Der Nobelpreis für Physik im Jahr 2016 wurde gerade erst an Michael Kosterlitz, Duncan Haldane und David Thouless für die Entdeckung solcher topologischer Zustände verliehen.

Dirac- und Weyl-Fermionen unterscheiden sich durch ihre Chiralität. Genauso wie unsere linken und rechten Hände kommen Weyl-Fermionen immer in Paaren vor, bei denen ein Teilchen das Spiegelbild des anderen ist. Die beiden Partner sind beinahe identisch, können jedoch nicht einfach überlagert werden. Dirac-Fermionen haben diese Eigenschaft nicht.

Ein Zugang zur Chiralität in einem Material ist die Anregung mit einem Laserstrahl. „Vor etwa zehn Jahren erkannte man, dass die sogenannte Floquet-Theorie − eine Theorie für lasergetriebene Systeme, die periodisch in der Zeit schwingen − es uns ermöglicht, Parameter und Symmetrien in Materialien so zu beeinflussen, dass dadurch ihre Topologie verändert werden kann“, erklärt Michael Sentef, Emmy-Noether-Gruppenleiter am MPSD in Hamburg. Indem man Dirac-Fermionen mit den Photonen eines Laserstrahls kombiniert, kann man neue Quasiteilchen erzeugen und die für Weyl-Fermionen benötigte Chiralität induzieren. Dadurch verwandelt man das Dirac-Semimetall in ein Weyl-Semimetall.

In seiner Arbeit nutzte das Forscherteam um Angel Rubio modernste Computersimulationen von Materialeigenschaften, um die optische Transformation von Dirac-Fermionen zu Weyl-Fermionen in dem realen Material Na3Bi zu demonstrieren. Dieses Material ist ein dreidimensionales Dirac-Semimetall. Es besteht aus Schichten von Natrium- und Wismut-Atomen, die sich zu einem dreidimensionalen Äquivalent von Graphen anordnen. Diese Dreidimensionalität ist entscheidend für die Möglichkeit der Transformation von Dirac- in Weyl-Fermionen. In zweidimensionalem Graphen ist diese Umwandlung nicht möglich.

„Die entscheidende Herausforderung in dieser Arbeit bestand darin, die Ideen aus der Floquet-Theorie und Topologie von Modellsystemen auf reale Materialien zu übertragen und somit zu zeigen, dass topologische Nichtgleichgewichts-Phasenübergänge im Kontext der Materialwissenschaften realisiert werden können“, sagt Hannes Hübener, Marie-Curie-Stipendiat an der Universität des Baskenlandes in San Sebastián und Erstautor der Arbeit.

Von topologischer Stabilität zu ultraschneller Elektronik

Insbesondere konnten die Autoren zeigen, wie der topologische Schutz der Händigkeit von Weyl-Fermionen entsteht und durch die Stärke des Laserstrahls verstärkt werden kann. „Wir bemerkten in unseren Simulationen, dass sich die Weyl-Fermionen umso weiter voneinander entfernten, je mehr wir das Laserfeld erhöhten“, sagt Sentef. „Dieses Sich-Entfernen passiert dabei im sogenannten Impulsraum, in dem die Quasiteilchen leben. Da rechts- und linkshändige Teilchen gerade Antiteilchen zueinander sind, müssen sie zusammenkommen, um sich gegenseitig auszulöschen. Die Separation im Impulsraum schützt sie also gerade vor dieser Vernichtung, was bedeutet, dass wir die topologische Stabilität dieser Teilchen erreichen können.“

Die theoretischen Resultate legen nahe, dass Experimentalphysiker in der Lage sein sollten, diese Umwandlung zwischen Dirac- und Weyl-Fermionen in ultraschnellen Laser-Experimenten zu messen. Eine Möglichkeit besteht darin, den photoelektrischen Effekt zu nutzen, um Elektronen aus dem lasergetriebenen Material zu emittieren. Diese Technik nennt man „Pump-Probe-Photoemissionsspektroskopie“, wie sie am MPSD in der Gruppe um Otto-Hahn-Gruppenleiterin Isabella Gierz in der Abteilung von Max-Planck-Direktor Andrea Cavalleri verfügbar ist.

Angel Rubio, Direktor der MPSD Theorie-Abteilung, ergänzt: „Mit dieser Arbeit betreten wir aufregende neue Wege, um die Eigenschaften von Materialien und Molekülen mittels der fundamentalen Licht-Materie-Wechselwirkung zu manipulieren. Wir schaffen damit die Grundlage, um letztlich das Verhalten von Materie auf der Nanoskala und mit ultraschnellen Schaltzeiten zu kontrollieren.“ Im Idealfall hoffen die Wissenschaftler sogar einen Weg zu finden, um diese lichtinduzierten Zustände auf längeren Zeitskalen zu stabilisieren und gleichzeitig die Möglichkeit des ultraschnellen Schaltens mit Terahertz- oder sogar noch schnelleren Frequenzen zu bewahren. Dies könnte ultraschneller Elektronik für superschnelle Computer der Zukunft den Weg ebnen.

Originalveröffentlichung

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

So nah, da werden
selbst Moleküle rot...