Fein verfilzt
Neues Verbundmaterial aus Kohlenstoffnanoröhren
Fabian Schütt
Ein schwieriger Kandidat
Industrie und Wissenschaft erforschen die deutlich unter hundert Nanometer breiten Kohlenstoffröhren intensiv, um die außergewöhnlichen Eigenschaften des gerollten Graphen nutzbar zu machen. Doch vieles ist bisher noch Theorie. „Kohlenstoffnanoröhren sind zwar flexibel wie Fäden, aber gleichzeitig sehr empfindlich gegenüber Veränderungen“, erklärt Professor Rainer Adelung, Leiter der Arbeitsgruppe Funktionale Nanomaterialien an der CAU. „Bei den bisherigen Versuchen, sie auf chemische Weise mit anderen Materialien zu verbinden, änderte sich auch ihr molekularer Aufbau. Dadurch verschlechtern sich aber ihre Eigenschaften meistens drastisch.“
Der Verbindungsansatz des Forschungsteams aus Kiel und Trento basiert stattdessen auf einem einfachen nasschemischen Infiltrationsverfahren. Dabei werden die CNTs mit Wasser vermischt und in ein extrem poröses keramisches Material aus Zinkoxid getropft, das die Flüssigkeit aufsaugt wie ein Schwamm. Die eingetropften fadenähnlichen CNTs setzen sich auf dem keramischen Gerüst ab und fügen sich selbstständig zu einer stabilen Schicht zusammen, ähnlich eines Filzes. Das keramische Gerüst wird gewissermaßen mit Nanoröhren ummantelt. Das hat faszinierende Auswirkungen, sowohl für das Gerüst, als auch den Mantel aus Nanoröhren.
Nach dem Prinzip der Bambusbauten
Zum einen erhöht sich die Stabilität des keramischen Gerüsts so massiv, dass es das 100.000-fache seines eigenen Gewichts tragen kann. „Mit der CNT-Ummantelung hält das keramische Material um die 7,5 Kilogramm aus, ohne sind es gerade einmal 50 Gramm – als hätten wir ihm einen enganliegenden Pullover aus Kohlenstoffnanoröhren angezogen, der es mechanisch stützt“, fasst Erstautor Fabian Schütt zusammen. „Der Druck, der auf das Material wirkt, wird von der Reißfestigkeit des CNT-Filzes aufgefangen. Druckkräfte wandeln sich in Zugkräfte um.“
Das Prinzip dahinter ist vergleichbar mit Bambusbauten, wie sie beispielsweise in Asien weit verbreitet sind. Dabei werden Bambusstämme so fest mit einem einfachen Seil umwickelt, dass aus dem leichten Material ein extrem stabiles Gerüst und sogar ganze Gebäude entstehen. „Das Gleiche machen wir auf der Nanoskala mit den CNT-Fäden, die sich um das keramische Material wickeln, nur viel, viel kleiner“, sagt Helge Krüger, Co-Autor der Veröffentlichung.
Mit winzigen Kohlenstoffröhren zu Hochleistungskunststoffen
Die Materialwissenschaftlerinnen und Materialwissenschaftler konnten noch einen weiteren großen Vorteil ihres Verfahrens aufzeigen. Dazu lösten sie in einem zweiten Schritt das keramische Gerüst mit einem chemischen Ätzverfahren auf. Zurück bleibt nur ein feingliederiges 3D-Netzwerk aus Röhren, von denen jede wiederum aus einer Schicht winziger CNT-Röhren besteht. Auf diese Weise konnten die Forschenden die Filzoberfläche enorm vergrößern und so mehr Möglichkeiten für Reaktionen schaffen. „Wir packen quasi die Fläche eines ganzen Beachvolleyballfeldes in einen zentimetergroßen Würfel“, erklärt Schütt. Die riesigen Zwischenräume der dreidimensionalen Struktur lassen sich nun mit einem Polymer auffüllen. So können CNTs mechanisch mit Kunststoffen verbunden werden, ohne dass sich ihre molekulare Struktur und damit ihre Eigenschaften ändern. „Wir können CNTs so gezielt anordnen und ein elektrisch leitendendes Verbundmaterial herstellen. Dafür reicht ein Bruchteil der herkömmlichen CNT-Menge, um die gleiche Leitfähigkeit zu realisieren“, so Schütt.
Einfaches Verfahren für zahlreiche Anwendungen
Die Anwendungsmöglichkeiten reichen von der Batterie- und Filtertechnik als Füllmaterial für leitfähige Kunststoffe, Implantaten für die regenerative Medizin bis zu Sensoren und elektronischen Bauteilen auf Nanoebene. Die gute elektrische Leitfähigkeit des reißfesten Materials könnte zukünftig auch interessant sein für flexible Elektronik-Anwendungen, zum Beispiel in Funktionskleidung oder in der Medizintechnik. „Denkbar ist zum Beispiel ein Kunststoff, der Knochen- oder Herzzellen zum Wachsen anregt“, so Adelung. Durch seine Einfachheit könnte sich der Prozess auch auf Netzwerkstrukturen aus anderen Nanomaterialien übertragen, sind sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig – was die Anwendungsmöglichkeiten noch mehr erweitert.
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