Neue Wege zum nanoskopischen Konstruieren von Werkstoffen

19.10.2004

An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ist die interdisziplinären Arbeitsgruppe "Biologische Nanowerkstoffe" gebildet worden. Darin zusammengeschlossene Wissenschaftler und Studenten wollen gemeinsam nach neuen Wegen zum nanoskopischen Konstruieren von Werkstoffen suchen, und zwar nach dem Vorbild der Natur. Die Gruppe aus Physikern, Ingenieuren und Chemikern steht unter der Leitung von Prof. Dr. Goerg H. Michler. Ihr gehören auch Orthopäden der Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Physikalische Medizin an.

Die Wissenschaftler wollen sich in ihrer Arbeit an so genannten "biologischen Werkstoffen" wie Knochen und Perlmutt orientieren. Diesen Biomaterialien ist gemein, dass eine mineralischen Hartphase mit einer organischen Weichphase einen Verbund ergibt, bei dem aus biomechanischer Sicht optimale Materialkennwerte realisiert werden. Besonders bemerkenswert ist der extrem hohe Anteil an harter, mineralischer Substanz. Der Anteil der Mineralkomponente Hydroxylapatit (HAp) im Knochen macht ungefähr 43% aus, das Perlmutt einer Muschel besteht sogar zu 95% aus Kalziumkarbonat (CaCO3). Beim Perlmutt wird durch eine komplizierte Anordnung von plättchenförmigen CaCO3-Kristalliten eine Mikrolaminat-Struktur aufgebaut, bei welcher die organische Matrix (viel effektiver als Mörtel in einer Ziegelmauer) nur noch als extrem dünne Schicht zwischen den Kristallplättchen auftritt.

Betrachtet man den Knochen in materialwissenschaftlicher Sichtweise als einen biologisch synthetisierten Nanokompositwerkstoff, so gibt er bei geringem Materialaufwand in Bezug auf Festigkeit und elastisches Verhalten Eigenschaftswerte vor, die von technischen Werkstoffen bis heute nicht erreicht werden. Wichtigste Determinante der hohen mechanischen Widerstandfähigkeit bei geringem Gewicht ist der hohe Füllungsgrad einer sehr flexiblen organischen Fasermatrix mit mineralischen Feststoffen - den Nanokristallen aus Hydroxylapatit. Dadurch erreicht der Hybridwerkstoff Festigkeiten und Zähigkeiten, welche die Kennwerte der einzelnen Komponenten weit übertreffen. Ganz wesentlich dabei ist, dass diese Hybride nur funktionieren, weil eine komplizierte Strukturierung auf der Ebene von 5 bis 500 nm erfolgt. Ist diese nicht mehr gegeben, versprödet das Material.

"Gelänge es, die Wechselwirkungen zwischen Matrix und mineralischem Feststoffanteil zu entschlüsseln und auf die Herstellung polymerer Komposite zu übertragen, ließen sich Nanowerkstoffe von heute unerreichter mechanischer Belastbarkeit und Zähigkeit erzeugen. Solche Werkstoffe eröffneten nicht nur den Zugang zu neuen, hochbelastbaren Implantatmaterialien, sondern auch zu neuen technischen Polymeren für Fahrzeugbau, Luft- und Raumfahrt" und vieles andere mehr.", weiß Prof. Michler.

Aufklärung der eigenschaftsbestimmenden Strukturen des Knochens und Übertragung solcher Strukturen auf neue Materialien - dies will das Wissenschaftlerteam nun leisten. Der Schlüssel zum Erfolg liege dabei in der Kombination verschiedener mikro- und nanoanalytischer Techniken, die am Fachbereich Ingenieurwissenschaften, in der Physik und in der Medizinischen Fakultät der Universität etabliert seien: Akustische Rastermikroskopie (SAM) und registrierende Ultramikrohärte (UMH) ermöglichten die Messung mechanischer Eigenschaften (z.B. Elastizitätsmodul) im Mikrometerbereich, während energiefilternde Transmissionselektronenmikroskopie (EFTEM), atmosphärische Rasterelektronenmikroskopie (ESEM) und Rasterkraftmikroskopie (SFM) die Morphologie sowie die mikromechanischen Prozesse der entsprechenden Probenbereiche bis in den Bereich einiger Nanometer erfassen könnten.

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