Entwicklung des Pharmamarkts in Osteuropa

Studie Prescription for Growth Central and Eastern Europe

10.02.2006

PricewaterhouseCoopers zeigt in der Branchenserie Prescription for Growth Chancen und Risken für Unternehmen und Investoren der Pharma-Industrie in einzelnen Wirtschaftsräumen auf. Der vierte Teil der Serie befasst sich mit den acht mittel- und osteuropäischen Staaten (Tschechien, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien), die im Mai 2004 der Europäischen Union (EU) beigetreten sind.

Begrenzte Absatzchancen trotz hohen Wirtschaftswachstums

Die Wirtschaft der mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten entwickelt sich seit Jahren deutlich dynamischer als diejenige Westeuropas. Nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds stieg das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den Beitrittsländern im Jahr 2004 durchschnittlich um fünf Prozent und damit doppelt so stark wie in der EU-15. Dennoch wird sich die Region auch bei einer Fortschreibung des Trends nicht zu einem wirklich bedeutenden Absatzmarkt für die Pharmabranche entwickeln, prognostizieren die Branchenexperten von PwC. Denn mit insgesamt 75 Millionen Einwohnern lebt nur knapp jeder fünfte EU-Bürger in einem der neuen Mitgliedsstaaten und die Geburtenraten sowie die Lebenserwartung liegen unter dem Durchschnitt der EU-15.

In absoluten Zahlen liegt Mittel- und Osteuropa bei der Wirtschaftsleistung noch weit zurück: Bereinigt um Kaufkraftunterschiede reicht das BIP pro Kopf von 10.391 US-Dollar in Lettland (rund 8.700 Euro) bis zu 18.400 US-Dollar (15.500 Euro) in Slowenien. In den alten EU-Staaten liegt das Pro-Kopf-Einkommen hingegen bei 25.700 US-Dollar (21.640 Euro).

Der Pharmamarkt in Mittel- und Osteuropa hat sich in den vergangenen Jahren analog entwickelt: die Ausgaben für Medikamente in der Region kletterten seit 1998 zwar jährlich um 16 Prozent, dennoch lagen die Pro-Kopf-Ausgaben in der Region 2002 nur bei 844 US-Dollar (711 Euro) verglichen mit 2.058 US-Dollar (1.733 Euro) in der EU-15 und 4.887 US-Dollar (4.114 Euro) in den Vereinigten Staaten. Insgesamt beläuft sich das derzeitige Marktvolumen der neuen Beitrittsstaaten auf 9,2 Milliarden US-Dollar (7,7 Milliarden Euro) und damit nur 6,4 Prozent des Wertes für die EU-15.

Selbst wenn der Pharmamarkt in den Beitrittsstaaten sein hohes Wachstumstempo halten könnte - was angesichts verstärkter staatlicher Budgetrestriktionen unwahrscheinlich ist - blieben die Absatzchancen mittelfristig begrenzt, so die Branchenanalyse von PwC: Bis 2010 könnte der Pharmaumsatz unter den genannten Bedingungen auf 14 Milliarden US-Dollar (11,7 Milliarden Euro) pro Jahr steigen. Allerdings wäre das Marktvolumen der gesamten Region damit immer noch kleiner als der erwartete Gesamtumsatz für Spanien.

Potenziale für Generika-Hersteller

Die staatlichen Gesundheitssysteme in den Beitrittsländern stehen unter hohem Druck. Nicht zuletzt mit Blick auf einen angestrebten Beitritt zur Euro-Zone und die dafür notwendige Einhaltung der Maastricht-Kriterien suchen die Regierungen nach Einsparmöglichkeiten. Mit großer Sicherheit dürfte der Fokus auf dem Abbau der Überkapazitäten in den Kliniken und Kürzungen bei den Medikamentenausgaben liegen - in Slowenien beispielsweise entfallen auf diese beiden Kostenblöcke fast 60 Prozent der gesamten Gesundheitsaufwendungen.

Die Marktchancen für relativ teure, innovative Präparate sind unter diesen Umständen und aufgrund der stark regulierten Märkte begrenzt. In Tschechien beispielsweise ist der maximale Verkaufspreis für importierte Medikamente staatlich vorgegeben, Slowenien führt derzeit ein Referenzpreis-System ein. Gewinner dieser Entwicklung sind die Generika-Hersteller. Bereits 2002 entfielen rund 70 Prozent aller Verschreibungen in Polen, Ungarn und Tschechien auf Generika, im Vergleich zu einer Quote von 20 Prozent in den fünf Staaten der EU-15 mit dem höchsten Anteil patentfreier Präparate.

Niedrige Kosten und Steuervorteile als Investitionsanreize

Attraktiv sind die neuen mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten als Forschungs- und Produktionsstandorte. Die Privatisierung des Pharmasektors bietet westlichen Konzernen gute Investitionsbedingungen, zumal es vielen osteuropäischen Unternehmen schwer fällt, die strengeren EU-Auflagen für Produktion und den Schutz geistigen Eigentums aus eigener Kraft zu erfüllen. In der Vergangenheit sind die damaligen Beitrittsstaaten als Forschungsstandort kaum wahrgenommen worden. Zwischen 1997 und 2002 entfielen von rund 200 Investitionen in Forschungsprojekte im europäischen Ausland gerade einmal 12 Prozent auf ein Land außerhalb der EU-15. Doch könnte sich dies ändern: Viele Länder bieten eine gute wissenschaftliche Infrastruktur zu sehr niedrigen Kosten. Ein Biophysiker in Tschechien beispielsweise verdient mit monatlich rund 800 US-Dollar nur einen Bruchteil des Gehalts seiner Kollegen in den USA oder Westeuropa. Und der durchschnittliche Stundenlohn insgesamt liegt in den neuen Beitrittsländern deutlich unter dem der EU-15.

Daneben haben die mittel- und osteuropäischen Staaten nicht nur allgemein niedrigere Unternehmensteuersätze als die USA oder Westeuropa, sondern bieten ausländischen Investoren auch zahlreiche Steuervergünstigungen. In Tschechien beispielsweise zahlen neu gegründete Unternehmen oder Joint Ventures in bestimmten Gewerben in den ersten zehn Jahren bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen überhaupt keine Steuern. In Litauens Freihandelszonen sind Investitionen über einer Million Euro für sechs Jahre von der Unternehmenssteuer befreit. Die regulären Unternehmenssteuersätze in den neuen Mitgliedsstaaten reichen von 15 Prozent in Lettland und Litauen bis 25 Prozent in Slowenien.

Gute Voraussetzungen für Pharmastudien

Die Rahmenbedingungen für die klinische Erprobung neuer Präparate sind in vielen der neuen mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten ebenso gut oder sogar besser als in Westeuropa. Klinikpersonal steht ausreichend zur Verfügung: Auf 100.000 Einwohner kommen zwischen 740 Ärzte und Pflegekräfte in Lettland sowie 1320 in Tschechien, der EU-Durchschnittswert liegt bei 1050. Die Ärzte in den neuen Mitgliedsstaaten sind gut ausgebildet und in der Regel sehr daran interessiert, durch die Beteiligung an klinischen Tests zu westlichen medizinischen Standards aufzuschließen. Zudem sind die Patienten in den Beitrittsstaaten leichter für eine Beteiligung an Studien zu gewinnen und brechen Therapien deutlich seltener ab. Da die regulatorischen Verfahren für klinische Studien die gleichen wie in den EU-15 sind, werden die Ergebnisse auch von den Zulassungsbehörden der EU anerkannt. Die Pharmaindustrie nutzt die günstigen Voraussetzungen bereits intensiv: In Polen starten jährlich über 400 klinische Studien, in Ungarn über 300 und in Tschechien mehr als 250.

Nachholbedarf beim Patentschutz

Trotz der wachsenden Attraktivität für ausländische Investoren ist ein Engagement in Mittel- oder Osteuropa nach wie vor mit größeren Risiken verbunden als in den Vereinigten Staaten oder der EU-15. So erfüllen bislang nur Tschechien, Ungarn und Lettland vollständig die EU-Standards zum Schutz geistigen Eigentums. Das betrifft vor allem den erweiterten Patentschutz für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren nach Ablauf des eigentlichen Patents, mit dem ein Ausgleich für den oft langwierigen Zulassungsprozess geschaffen werden soll.

Zudem droht ein massiver Anstieg von Parallelimporten die Preise sowohl in West- als auch in Osteuropa zu verwässern. So kosten herkömmliche Medikamente in Mittel- und Osteuropa zwischen 30 und 40 Prozent weniger als in der EU-15. Innovative Präparate hingegen sind in Litauen, Lettland und Polen teurer als in Frankreich oder Spanien.

Schließlich könnten die Preise auch dadurch unter Druck geraten, dass die niedrigeren Medikamentenkosten in den neuen Mitgliedsstaaten verstärkt als Richtlinie für Festpreise und Kostenerstattungen in den Staaten der EU-15 heran gezogen werden.

Standort mit Perspektive

"Mittel- und Osteuropa bietet als Forschungs- und Produktionsstandort durchaus Perspektiven", meint Volker Booten, verantwortlicher Partner für den Bereich Chemicals & Pharma bei PricewaterhouseCoopers in Deutschland. Das gilt vor allem für Polen, Ungarn, Lettland und Tschechien, die sich bei der Angleichung ihres Patentrechts am weitesten dem EU-Standard angenähert haben. Viele Länder pflegen nach wie vor enge Beziehungen zu den Nachfolgestaaten der Sowjetunion: "Eine Investition in Osteuropa könnte die Tür zu neuen, größeren Märkte weit öffnen - allein Russland zählt über 143 Millionen Einwohner", so Volker Booten.

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