Die Chemie wird grün
Nachbericht zur 9. Handelsblatt Jahrestagung Chemie 2008
Schwerpunkt der Handelsblatt Tagung war eindeutig die Frage, was die Chemie-Industrie zum Klimaschutz beitragen kann und welche Innovationen zu erwarten sind. Weitere Themen waren die Herausforderungen bedingt durch die Globalisierung, kundenorientierte Technologien, Grüne Chemie, der Einfluss von Private Equity in der Chemie, Bedeutung von Kohle und Gas für die Rohstoffversorgung in der chemischen Industrie sowie die politischen Vorgaben.
Kein Tag ohne Chemie
"Ohne Energie geht nichts in der Chemiebranche und ohne Chemie geht nichts im Leben", stellte Prof. Dr. Ulrich Lehner in seinem Vortrag dar. Die chemische Industrie ist mit 4,6 Milliarden Euro Energiekosten im Jahr die Branche mit dem höchsten Energieverbrauch. Daher trage die Branche auch eine besondere Verantwortung, wenn es um Fragen des Klimaschutzes gehe. Hier könne die chemische Industrie durch ihre Innovationen dazu beitragen, dem Klimawandel zu begegnen. Drei wichtige Schlüsseltechnologien für innovative Produkte seien die Bio- und Nanotechnologie sowie die Katalyse. So arbeite man derzeit an Solarfolien, die kostengünstig und auf großen Flächen Sonnenenergie in Strom umwandeln können. Ein anderes Beispiel für innovative Produkte seien Tapeten mit so genannten OLEDs, die warmes Licht spenden und sogar weniger Strom verbrauchen als herkömmliche Energiesparlampen. Mit einer speziellen Nanobeschichtung für Auto-Motoren und -Getriebe soll künftig die Reibung der beweglichen Teile verringert werden. Damit ließe sich der Spritverbrauch um bis zu zehn Prozent senken, so VCI-Präsident Lehner.
Damit Wasserstoff eines Tages eine Rolle bei der Energieversorgung spielen könne, werden Katalysatoren gebraucht, führte Lehner weiter aus. Will man Wasserstoff beispielsweise aus alternativen Energieträgern wie Biomasse oder fotochemisch erzeugen, gehe das nicht ohne katalytische Prozesse. Auch beim Einsatz von Wasserstoff in einer Brennstoffzelle seien es Katalysatoren, die eine saubere und effiziente Umwandlung in Energie ermöglichen. Und durch neuartige Enzyme könne man die gleiche Waschkraft bei 30 Grad erreichen, für die sonst 90 Grad notwendig wären. Bei der Wärmedämmung von Häusern und Wohnungen lasse sich in Deutschland der jährliche Energieverbrauch pro Quadratmeter von derzeit 25 Liter Heizöl auf weniger als sieben Liter senken. Die CO2-Emissionen könnte somit in Deutschland um mehr als 70 Millionen Tonnen verringert werden, führte Lehner aus.
Forderung der EU zu hoch
Lehner betonte die Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit, um die Energieversorgung sicherzustellen: "Die Politik kann und muss das Innovationstempo beschleunigen". Die EU-Förderung der Energie- und Klimaforschung stimmten ihn zwar zuversichtlich, allerdings seien die Vorschläge der EU-Kommission zur CO2-Reduktion zu hoch, stellte der VCI-Präsident fest. Die geplante CO2-Reduktion von 33 Prozent sei nur mit hohen Kosten erreichbar; diese würde sich wiederum negativ auf das Wachstum in Deutschland auswirken. Als energieintensive Branche trüge man durch massive Strompreiserhöhungen eine große Last und durch den Emissionshandel verschärfe sich das Problem. Die jährlichen Energiekosten schätzte Lehner im Jahr 2020 auf zwei Milliarden Euro. Als einen unhaltbaren Zustand bezeichnete Lehner die Tatsache, dass die EU erst 2010 entscheiden wolle, ob die Chemieindustrie die CO2-Zertifikate kostenfrei erhalte oder nicht. Hier erfuhr Lehner Zustimmung von der Abgeordneten des Europäischen Parlaments Dr. Angelika Niebler, die als Vorsitzende des Ausschusses Industrie, Forschung und Energie ein Statement zum Klimaschutz abgab. "Die Entscheidung muss jetzt fallen", erklärte Niebler auf der Tagung und sprach sich für eine kostenfreie Zuteilung der Zertifikate für die Chemiebranche aus. Niebler bescheinigte der Chemiebranche eine hohe Innovationskraft, vor allem im Bereich der Energieeffizienz, erklärte aber auch: "Jetzt sind drastische Maßnahmen notwendig, um CO2 zu senken." Die Klimaschutzziele der EU-Kommission unterstützte sie im Gegensatz zu Lehner vehement, erklärte Niebler.
Mehr Wettbewerb im Energiemarkt
Um die Energiepreise zu senken, sei eine weitere Liberalisierung der Energiemärkte erforderlich. Es herrschten immer noch Oligopole bzw. Monopole vor und ein echter Wettbewerb finde nicht statt, kritisierte die Abgeordnete. Die Zerschlagung der Energiekonzerne halte sie allerdings für den falschen Weg. Wichtig sei ein massiver Ausbau der regenerativen Energien, aber ein Energiemix ohne Atomenergie sei nicht vorstellbar, erklärte Niebler. Insgesamt stellt die EU 54 Milliarden Euro für Förderung und Forschung zur Verfügung, davon entfielen 2,4 Milliarden auf die Energieforschung. Energieeffizienz müsse in allen Bereichen gefördert werden, nicht nur in der Chemie, forderte Niebler und betonte die Vorreiterrolle der EU, die auch wichtig sei, um international den technischen Fortschritt in Europa zu sichern.
Verantwortung für hungernde Kinder
Innovationen und Partnerschaften sind für Dr. Andreas Kreimeyer (BASF SE) die wesentlichen Faktoren, um organisch zu wachsen. Kreimeyer sieht das Bevölkerungswachstum vor allem in den Schwellenländern, den demografischen Wandel und die Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln als die großen Herausforderungen an. Er wies darauf hin, dass 20 Prozent der Bevölkerung 60 Prozent der Energie verbrauchten und forderte eine gerechte Verteilung der Energie. Im Jahr 2030 werden 50 Prozent mehr Primärenergie verbraucht, dies entspreche 17 Milliarden Tonnen Öläquivalenten. Kreimeyer sieht auch eine große soziale Verantwortung. "Die Globalisierung eröffnet nicht nur neue Märkte, sondern es wachsen auch gesellschaftliche Systeme zusammen. Hier trägt die Industrie auch die Verantwortung für hungernde Kinder", stellte BASF-Vorstandsmitglied Kreimeyer fest.
Überleben sichern durch Pflanzenbiotechnologie
Für sein eigenes Unternehmen nannte Kreimeyer die Pflanzenbiotechnologie, die weiße Biotechnologie, die Nanotechnologie, den Rohstoffwandel sowie das Energiemanagement als bedeutende Wachstumsfelder. Vor allem die Forschung im Bereich der Pflanzenbiotechnologie nannte Kreimeyer "unverzichtbar" und besonders für Schwellenländer "überlebensnotwendig". Er betonte, dass die Entwicklung neuer Effekte und Systeme nur interdisziplinär möglich seien und verwies auf zahlreiche internationale Forschungskooperationen, zum Beispiel mit der Harvard-Universität.
Die Bedeutung von interdisziplinärem Arbeiten betonte auch Dr. Alfred Oberholz (Mitglied des Vorstandes, Evonik). Es müsse die Bereitschaft vorhanden sein, über den Tellerrand zu blicken und die Bedürfnisse und Anforderungen des Kunden zu kennen. Auch sei vorstellbar, zusätzlich zu den Produkten Dienstleistungen zu verkaufen. Innovationen seien wichtig, aber hinter jeder wissenschaftlichen Idee müsse auch eine Geschäftsidee stecken, wobei sich diese oft während des Innovationsprozesses entwickele.
Den Kunden kennen bringt Geld
Fünf Milliarden Euro könnte die Chemieindustrie an Umsatz generieren, wenn die Branche ihre Potenziale konsequent ausschöpfen würde. Zu diesem Ergebnis kommt eine A.T.Kearney-Studie, die Dr. Tobias Lewe (Vice President im Bereich Process Industries bei A.T. Kearney) auf der Handelsblatt Tagung vorstellte. Die Studie zeige weiterhin, dass die Kundenindustrien zwar generell mit der Innovationskraft der Chemieindustrie zufrieden seien, aber langfristige Kunden-Anforderungen mehr berücksichtigt werden müssten. Das Optimierungspotenzial fasst Lewe folgendermaßen zusammen: "Würde man die gesamte Branche auf das Leistungsniveau der Top 30 Unternehmen anheben, so ließen sich im Jahr schätzungsweise fünf Milliarden Euro mehr an Umsatz mit neuen Produkten generieren. Alternativ: Wäre die Branche so effizient wie die 30 Besten, könnte im Jahr ein Einsparpotenzial in Höhe von zwei Milliarden Euro realisiert werden."
Erfolgsstrategien für Unternehmen
"Ganz gleich, für welchen Weg sich ein Unternehmen entscheidet: Will es das ungenutzte Potenzial erschließen, so ist es wichtig, dass es die Anforderungen seiner Kunden von vornherein stärker in seine Forschungsstrukturen einbezieht und es ihm gelingt, eine leistungsfähige Plattform für profitables Wachstum zu etablieren", erläutert Lewe weiter. Von zentraler Bedeutung sei die Definition einer langfristigen Innovationsstrategie, die fest in der Unternehmensstrategie verankert ist. Dafür sei eine fundierte Kenntnis der Trends im Wettbewerbsumfeld und seiner Auswirkungen für Märkte und Kunden unerlässlich, führte Lewe aus.
"Grüne Chemie" hat große Chancen
Dr. Werner Breuers (Lanxess) wies in seinem Beitrag auf die zunehmende Abwanderung etablierter Bereiche der Chemie in Richtung Asien, Naher und Ferner Osten hin. Daher sei es besonders wichtig, sich auf innovative Produkte zu konzentrieren und das Engagement für Forschung und Entwicklung zu verstärken. Ein hohes Erfolgspotenzial für die westliche Chemieindustrie sieht Vorstandsmitglied Breuers in der "Grünen Chemie", zum Beispiel in der Wasseraufbereitung, in der Agroindustrie, aber auch in der Lebensmittel- und Mineralölindustrie.
Einen besonderen Schwerpunkt auf die "Grüne Chemie" legt auch das Unternehmen Cognis. Besonderen Wert lege man bei der Entwicklung neuer Produkte und Prozesse auf die Einhaltung der "12 Prinzipien Grüner Chemie", erläuterte Cognis-CEO Dr. Antonius Trius. Hierunter falle beispielsweise die Abfallvermeidung, die Nutzung nachwachsender Rohstoffe, geringer Energieaufwand bei Reaktionen sowie die biologische Abbaubarkeit der Komponenten. Bereits im Jahr 2000 wurde Cognis mit dem Wöhler-Preis für ressourcenschonende Prozesse bei der Herstellung von Alkylpolyglycosiden - kurz APG genannt - ausgezeichnet. Alle 12 Prinzipien Grüner Chemie wurden hierbei eingehalten.
Innovativ, aber auch nachhaltig
Walter W. Zywottek (Mitglied der Geschäftsleitung, Merck) erläuterte am Beispiel der LCD-Bildschirme, dass innovativ sein allein nicht immer ausreicht, man müsse auch Durchhaltevermögen zeigen. Merck hatte bereits 1904 erste Flüssigkristalle für wissenschaftliche Studien zur Verfügung gestellt. Bis zum sichtbaren Erfolg vergingen allerdings noch rund 30 Jahre. Heute mache Merck knapp eine Milliarde Umsatz mit Flüssigkristallen und da sich die Flüssigkristall-Display-Technologie durchgesetzt habe, sei auch langfristig der Absatz gesichert. Erst kürzlich habe ein Unternehmen eine Investition von 9,5 Milliarden Dollar in eine neue Produktionsanlage angekündigt. Weltweit gehe man für 2008 von Investitionen in LCD Panels von rund 28 Milliarden US Dollar aus. Trotzdem arbeite man bei Merck auch an alternativen FPD-Technologien, so Zywottek. Die eigene Herstellung von Displays stand übrigens nie zur Diskussion, betonte Zywottek, obwohl man sich intensiv damit beschäftigt habe.