Chemisches Schutzschild gegen sauren Regen und Bakterien
Meilenstein für den Denkmalschutz
Institut für Anorganische Chemie I
Die Korrosion von Natursteinen bedroht unser kulturelles Erbe wie denkmalgeschützte Gebäude oder antike Statuen. Für den Verfall gibt es vor allem zwei Ursachen: Zum einen zerstört durch industrielle Umweltverschmutzung ausgelöster saurer Regen die Fassaden. Zum anderen bilden Mikroben einen dünnen Biofilm, der die Steine unansehnlich und porös werden lässt. Diese schädlichen Umwelteinflüsse machen den Einsatz wasserabweisender und antibakterieller Mittel nötig. Nun haben Forscher des Ulmer Instituts für Anorganische Chemie I mit Kollegen aus dem spanischen Zaragoza und aus Reims (Frankreich) eine multifunktionale Oberflächenbeschichtung entwickelt, die häufig verbaute Natursteine sowohl gegen sauren Regen als auch gegen Mikroben schützt. Die Forscher setzen dabei auf eine ionische („salzartige“) Flüssigkeit, die sich unter anderem bereits im Korrosionsschutz von Metallen bewährt hat. Der große Vorteil: „Bei dieser Polyoxometallat-ionischen Flüssigkeit, kurz POM-IL, lassen sich Kation und Anion unabhängig voneinander verändern. So können wir die Eigenschaften der Beschichtung den jeweiligen Umweltbedingungen anpassen“, erklärt Professor Carsten Streb. Im Zuge der nun veröffentlichen Studie haben die Forscher gleich zwei Varianten des Oberflächenschutzes, POM-IL1 und POM-IL2, hergestellt und an drei Arten natürlicher Carbonatgesteine mit unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung sowie Porösität (Belgischer Blaustein, Dom-Stein, Romery-Stein) erprobt.
Im Labor haben die Chemiker echte „Härtetests“ mit den neuartigen Flüssigkeiten durchgeführt. Zunächst wurden Kalkstein-Proben, die häufig in Belgien und Nordfrankreich verbaut werden, mit POM-IL1 oder POM-IL2 bestrichen. Über 72 Stunden sind die so behandelten sowie naturbelassene Referenzproben in einem Glasbehälter mit Essigsäure bedampft worden. Die Wissenschaftler haben die Proben anschließend gereinigt, getrocknet und gewogen. Doch der Effekt des Schutzfilms war bereits mit bloßem Auge sichtbar: „Die mit POM-IL behandelten Steine haben ihre Form behalten, während die Oberflächen der naturbelassenen Steine teils stark verwittert und beschädigt waren – dieser Materialverlust bestätigte sich auf der Waage“, so Ersautorin Archismita Misra. Insgesamt zeigte POM-IL1 eine noch bessere Schutzwirkung, was belegt, dass sich die Eigenschaften der Flüssigkeiten anpassen lassen. In einem zweiten Versuch haben die Wissenschaftler die Unversehrtheit der POM-IL-Schicht auf den Natursteinproben untersucht.
Dazu wurden die Proben drei Stunden lang mit simuliertem sauren Niederschlag beregnet. Beim anschließenden Wiegen bestätigte sich die Schutzwirkung der Beschichtung, die auch unter diesen erschwerten Bedingungen mechanisch und chemisch intakt geblieben war.
Ob POM-IL-Beschichtungen auch gegen Mikroben und somit schädliche Biofilme wirken, haben die Forscher darüber hinaus im Labor und anhand der Gesteinsproben untersucht. Mit verschiedenen Methoden (u.a. Zellwachstumsstudien, Elektronen-, Fluoreszenz- und Konfokalmikroskopie) überprüften sie Wachstum sowie Aktivität unter anderem von E.-Coli-Bakterien auf behandelten und unbehandelten Steinen. „Durch Zählen der Bakterienkolonien konnten wir die Wirksamkeit der neuen Beschichtung gegen Biofilme nachweisen: POM-IL reduzierte die Anzahl der Mikroben erheblich und die verbliebenen Bakterien zeigten ,Stress-Symptome‘“, resümiert Professor Carsten Streb.
Im Ergebnis hat die Forschergruppe einen multifunktionalen, transparenten Schutzfilm für häufig verbaute Natursteine entwickelt. Die Flüssigkeit ist leicht aufzutragen und wirkt gegen Säure sowie Bakterien. Dabei ist der Film auch unter extremen Umwelteinflüssen stabil und lässt sich durch Veränderungen am Kation verschiedenen Rahmenbedingungen anpassen: Um die Langzeitwirkung von POM-IL beurteilen zu können, müssen allerdings noch weitere Studien unter realen Bedingungen durchgeführt werden. Dabei sollte das Augenmerk auf der Wirksamkeit der Flüssigkeit gegen Pilze liegen.
Für die aktuelle Studie hat sich die Gruppe Beratung von „ganz oben“ geholt: Der Bauhüttenmeister des Ulmer Münsters, das bekanntlich über den höchsten Kirchturm der Welt verfügt, stand ihnen beratend zur Hilfe. Die Forscher aus Ulm, Zaragoza und Reims wurden weiterhin mit Mitteln der Universität Um und von spanischen Geldgebern unterstützt.