Gemeinsam Fließen statt einsam Hüpfen - Neutronen untermauern neue Theorie über Bewegung in der Zellmembran
Immer wieder sahen sich Sebastian Busch und der Betreuer seiner Doktorarbeit an der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) der TUM, Tobias Unruh, eine Simulation der Molekülbewegungen in einem Film auf YouTube an: "Die hüpfen ja gar nicht!" Und genau das behaupten auch die finnischen Biophysiker um Ilpo Vattulainen, die die Zellmembran per Computer simuliert und die Simulation auf YouTube gestellt haben.
Biophysiker haben jahrelang an ein falsches Modell geglaubt: Statt sich hüpfend einzeln von Leerstelle zu Leerstelle vorwärts zu bewegen, fließen die Phospholipide der Membran im Verbund. Jahrzehntelang gab es einen Streit zwischen den Wissenschaftlern, die Zellmembranbewegungen unter dem Mikroskop im Mikrometermaßstab beobachteten und den Neutronenstreuern, die die Molekülbewegung im Nanometerbereich vermessen können. Unter dem Mikroskop sah es so aus, als ob sich die Phospholipide sehr langsam in der Zellmembran bewegten, mit Neutronen wurden Bewegungen gemessen, die 100 Mal so schnell waren. Diesen scheinbaren Widerspruch erklärte man schließlich mit der Theorie, dass sich die Moleküle in einem Käfig aus den benachbarten Molekülen eingeschlossen so lange schnell hin und her bewegen, bis sich ein freier Platz bietet, in den das Molekül hinein hüpfen kann. Weil derartige Sprünge relativ selten auftreten, sieht man im Mikrometermaßstab eine langsamere Bewegung, so die Theorie.
"Nie hat jemand diese Theorie des Hüpfens mit Messungen belegen können", sagt der Chemiker Tobias Unruh. Auch Sebastian Busch wusste nicht, wie er seine Messungen an einer Phospholipidmembran am Neutronenspektrometer TOFTOF interpretieren sollte. Die Daten passten einfach nicht zum Modell. Da sah er die Simulation der finnischen Biophysiker, und informierte sich genauer vor Ort an der Universität in Helsinki. Der 27-Jährige, der am Lehrstuhl von Professor Dr. Winfried Petry im Physik-Department der TUM promoviert, reizte daraufhin bei ergänzenden Messungen die Leistungsfähigkeit des Spektrometers in Garching voll aus. "Da ist mir klar geworden, dass ich die Theorie der Finnen mit Daten untermauern kann", sagt Sebastian Busch. Schließlich konnte er die fließende Bewegung der Moleküle mit seinen Experimenten belegen. Die Zellmembranmoleküle bewegen sich dabei ähnlich wie Personen in einer Menschenmasse: Nur wenn mehrere im Verbund in eine Richtung drängen, kommt auch das Individuum vorwärts. Ein einsames Hüpfen der Moleküle gibt es also nicht, nur ein gemeinsames Fließen.
Als Probe untersuchte der Physiker ein typisches Phospholipid, Dimyristoylphosphatidylcholin (DMPC), hydriert mit schwerem Wasser. Die Bewegung der Zellmembran wurde in Zeitabständen von 35 bis 1000 Billionstel Sekunden bei 30 °C beobachtet. Im Spektrometer TOFTOF werden Neutronen mit einer genauestens bekannten Geschwindigkeit ausgewählt. Sie treffen auf die Probe und interagieren mit den Atomkernen. Wenn diese in Bewegung sind, ändern die Neutronen ihre Geschwindigkeit, was in einem Detektor gemessen wird. "Wir haben hier weltweit das einzige Spektrometer, das mit einer so großen Genauigkeit diese kleinen Bewegungen auf der Nanoskala messen kann", sagt Tobias Unruh.
Nun werden Tobias Unruh und Sebastian Busch untersuchen, wie sich die Bewegungen der Phospholipide verändern, wenn sie verschiedene Stoffe beimengen. Solche Mischungen werden in Arzneimitteln verwendet. Geeignete Zusätze können die Haltbarkeit der Stoffe drastisch erhöhen. Die TUM-Wissenschaftler interessiert vor allem, welchen Einfluss die Molekülbewegungen auf diesen stabilisierenden Effekt haben. "Wenn wir den Stabilisierungsmechanismus im Detail verstehen", hofft Tobias Unruh, "können zukünftig für die jeweilige Anwendung optimierte Mischungen vorgeschlagen werden."
Originalveröffentlichung: S. Busch, C. Smuda, L.C. Pardo Soto, T. Unruh; "Molecular Mechanism of Long-Range Diffusion in Phospholipid Membranes Studied by Quasielastic Neutron Scattering"; Journal of the American Chemical Society, Publication Date 2010.
Meistgelesene News
Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft
Diese Produkte könnten Sie interessieren
ERASPEC von eralytics
Einfachste Kraftstoffanalyse in Sekunden mit ERASPEC
Bestimmung von bis zu 40 Kraftstoffparametern auf Knopfdruck
S4 T-STAR von Bruker
TXRF-Spektrometer: Sub-ppb Nachweisgrenzen & 24/7 Analytik
Minimale Betriebskosten, weil Gase, Medien oder Laborausrüstung entfallen
ALPHA II von Bruker
Chemische Analyse leicht gemacht: Kompaktes FT-IR-System
Steigern Sie die Effizienz Ihrer Routineanalysen mit benutzerfreundlicher Technologie
NANOPHOX CS von Sympatec
Partikelgrößenanalyse im Nanobereich: Hohe Konzentrationen problemlos analysieren
Zuverlässige Ergebnisse ohne aufwändige Probenvorbereitung
ZEEnit von Analytik Jena
Zeeman-Technik mit maximaler Empfindlichkeit und Applikationsvielfalt
Quergeheizte Graphitrohrofen für optimale Atomisierungsbedingungen und hohen Probendurchsatz
PlasmaQuant MS Elite von Analytik Jena
Massenspektrometer für hochempfindliche Forschungsanwendungen und niedrigste Nachweisgrenzen
Die Erfolgsformel in der LC-ICP-MS – PlasmaQuant MS-Serie und PQ LC
PlasmaQuant 9100 von Analytik Jena
Neues ICP-OES PlasmaQuant 9100 für komplexe Probenmatrices
Mehr sehen. Mehr wissen. ICP-OES vereinfacht Analyse matrixlastiger Proben
Agera von HunterLab Europe
Farbe und Glanzgrad gleichzeitig messen - und das sekundenschnell
Einfach zu bedienendes Farbmessgerät: normkonform, robust und präzise
Mikrospektrometer von Hamamatsu Photonics
Ultrakompaktes Mikrospektrometer für vielseitige Anwendungen
Präzise Raman-, UV/VIS- und NIR-Messungen in tragbaren Geräten
S2 PICOFOX von Bruker
Schnelle und präzise Spurenelementanalyse unterwegs
TXRF-Technologie für minimale Proben und maximale Effizienz
2060 Raman Analyzer von Metrohm
Selbstkalibrierendes Inline-Raman Spektrometer
Feststoffe, Flüssigkeiten und Gase analysieren - für reproduzierbare, genaue Ergebnisse im Prozess
INVENIO von Bruker
FT-IR Spektrometer der Zukunft: INVENIO
Völlig frei aufrüstbares und konfigurierbares FT-IR Spektrometer
contrAA 800 von Analytik Jena
contrAA 800 Serie – Atomic Absorption. Redefined
Kombiniert das Beste der klassischen Atomabsorption mit den Vorteilen von ICP-OES-Spektrometern
novAA® 800 von Analytik Jena
Der Analysator für Sie - novAA 800-Serie
Das zuverlässige Multitalent für die effiziente und kostengünstige Routineanalyse
SPECORD PLUS von Analytik Jena
Die neue Generation der Zweistrahlphotometer von Analytik Jena
Der moderne Klassiker garantiert höchste Qualität
ZSX Primus IV/IVi von Rigaku
Hochpräzise WDXRF-Analyse für industrielle Anwendungen
Maximale Empfindlichkeit und Durchsatz für leichte Elemente und komplexe Proben
Micro-Z ULS von Rigaku
Schwefelgehalt in Kraftstoffen genau messen: WDXRF-Analysator
Zuverlässige Routineuntersuchungen mit 0,3 ppm Nachweisgrenze und kompaktem Design
BIOS ANALYTIQUE - Soluciones de Renting y Leasing para laboratorios von Bios Analytique
Ihr Spezialist für Vermietung und Leasing von Laborinstrumenten in Europa
Beim Finanzieren geht es nicht nur ums Geld verleihen - Es geht um Lösungen, die Wert schaffen
SPECTRO ARCOS von SPECTRO Analytical Instruments
Optisches Emissions-Spektrometer mit induktiv gekoppeltem Plasma (ICP-OES) für höchste Ansprüche
Das SPECTRO ARCOS ICP-OES bietet Elementanalytik auf einem neuen Niveau
SR Series Spectrometer von Ocean Insight
Der neue Ocean SR2 liefert das beste SNR seiner Klasse für konfigurierbare Spektrometer
Hochgeschwindigkeits-Spektrenerfassung mit fortschrittlicher Signal-Rausch-Leistung
Holen Sie sich die Chemie-Branche in Ihren Posteingang
Ab sofort nichts mehr verpassen: Unser Newsletter für die chemische Industrie, Analytik, Labor und Prozess bringt Sie jeden Dienstag und Donnerstag auf den neuesten Stand. Aktuelle Branchen-News, Produkt-Highlights und Innovationen - kompakt und verständlich in Ihrem Posteingang. Von uns recherchiert, damit Sie es nicht tun müssen.