Risiken durch Mikroplastik – gesellschaftliche Wahrnehmung deckt sich nicht mit wissenschaftlichen Studien
Carolin Völker/ISOE
Die repräsentative Umfrage von Wissenschaftler*innen um die beiden ISOE-Forscherinnen Johanna Kramm und Carolin Völker ergab, dass eine deutliche Mehrheit in der deutschen Bevölkerung schon einmal von Mikroplastik gehört hat und über die mit den Plastikpartikeln verbundenen Risiken sehr besorgt ist. Die Besorgnis über Umweltrisiken überwog dabei leicht die Gesundheitsrisiken. Dennoch meinten 93 Prozent der Befragten, dass Mikroplastik eher negative oder sehr negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit habe. „Die Studie liefert erstmals tiefere sozialwissenschaftliche Ergebnisse zu den Faktoren, die die gesellschaftliche Risikowahrnehmung von Mikroplastik in Deutschland beeinflussen“, sagt die Humangeographin Johanna Kramm, die gemeinsam mit Carolin Völker am ISOE die Forschungsgruppe PlastX geleitet hat.
Die Befragung von 1027 Personen zeigte, dass soziodemographische Unterschiede wie Geschlecht und Alter Auswirkungen auf die Risikowahrnehmung in der Bevölkerung haben: Frauen und ältere Menschen über 50 Jahre zeigen eine höhere Risikowahrnehmung im Vergleich zu Männern und jüngeren Personen. Zwei weitere Faktoren waren ausschlaggebend für eine erhöhte Risikowahrnehmung: So äußerten vor allem Befragte mit einem hohen Umweltbewusstsein Besorgnis über die Auswirkungen von Mikroplastik und solche, die eine ausgeprägte Kenntnis von negativen Medienberichten haben. „Befragte, die Kenntnis von Medienberichten hatten, in denen die Mikroplastikkonzentration in der Umwelt als besorgniserregend dargestellt wurde, hatten mit größerer Wahrscheinlichkeit eine höhere Risikowahrnehmung als Befragte, die diese Berichte nicht kannten“, sagt Kramm.
Bevölkerung besorgt über wachsende Konzentration von Mikroplastik in der Umwelt
Die Studie, an der neben dem ISOE auch die Utrecht University beteiligt war, ergab, dass die Risikowahrnehmung in der Bevölkerung insgesamt höher ist, als sie derzeit durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt werden könne. „Wissenschaftliche Studien zur Konzentration von Mikroplastik in der Umwelt haben eine weite Verbreitung der Plastikpartikel in allen Bereichen der natürlichen Umwelt festgestellt“, sagt die Ökotoxikologin Carolin Völker. Mikroplastik sei nicht nur in marinen, aquatischen und terrestrischen Ökosystemen nachgewiesen worden, sondern auch im in der Luft befindlichen Staub. „Bisherige wissenschaftliche Umweltrisikobewertungen haben gezeigt, dass von den Partikeln – zumindest noch – keine Gefahr für Wasserorganismen ausgeht, da die Umweltkonzentrationen zu niedrig sind“, sagt Völker. „Die langfristigen Folgen dieser Belastung sind jedoch noch unklar.“
Innerhalb der Wissenschaft wird deshalb diskutiert, inwiefern politische Maßnahmen, etwa das Verbot der Verwendung sogenannter Mikroperlen in Pflege- und Reinigungsmittel in den USA und in Großbritannien, möglicherweise weniger auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückzuführen sind als auf ein hohes Maß an Besorgnis, das wesentlich durch eine dramatisierende Medienberichterstattung hervorgerufen wird. Eine vergleichende Analyse, die die beiden Forscherinnen Völker und Kramm zwischen populären Online-Zeitungen und wissenschaftlichen Arbeiten im Jahr 2019 durchführten, hatte ergeben, dass die meisten Medienberichte über Mikroplastik die schädlichen Auswirkungen betonen und das Material als hochgiftig darstellten.
Alltagsprodukte aus Plastik: Mix aus schädlichen und unbekannten Substanzen
„Die Verbote und politischen Maßnahme zu Mikroplastik sollten sich nicht nur auf ein Verbot von Mikroplastik in bestimmten Produkten beschränken, sondern auch weitere Quellen in den Blick nehmen“, betont Kramm. Denn der größte Anteil des Mikroplastiks entsteht aus dem Zerfall von größerem Plastikmüll, der in die Umwelt eingetragen wird. Darüber hinaus haben Laborstudien der PlastX-Forschungsgruppe aus dem Jahr 2019 gezeigt, dass Alltagsprodukte aus Kunststoffen einen Mix aus schädlichen und unbekannten Substanzen enthalten, die aus den Produkten auslaugen und von Verbraucher*innen aufgenommen werden können.
„Der zunehmende Eintrag von Plastikpartikel in die Umwelt, aber auch der Chemikalien-Mix in den Plastikprodukten, sind wirklich ausreichend gute Gründe zu handeln“, sagt Völker. So sieht es auch die Europäische Chemikalienagentur, die Mikroplastik als unkalkulierbares Risiko einschätzt, dessen Folgen möglicherweise noch nicht aktuell sichtbar, aber aufgrund der Anreicherung des Materials in der Umwelt in einigen Jahrzehnten zu irreversiblen Schäden führen könnte.