Neue Fördertechnik soll Öl- und Gasförderung sicherer machen
„Erdöl- und Erdgasvorkommen stehen in aller Regel unter einem gewaltigen Druck“, erklärt Prof. Dr. Andrea Luke vom Fachgebiet Technische Thermodynamik der Universität Kassel: „Diesen Druck bei der Förderung zu beherrschen ist immer noch eine technische Herausforderung.“ Werde eine neue Lagerstätte angebohrt, sei es nicht ungewöhnlich, dass ein Gemisch aus Erdöl und Erdgas mit einem Druck von 200 bar in das Fördersystem von Rohrleitungen und Pumpen schieße. Doch nicht nur der hohe Druck, auch die wechselnde Zusammensetzung aus flüssigen und gasförmigen Bestandteilen sowie rasante Temperaturschwankungen bei einer zu raschen Druckentlastung bereiteten den Experten Kopfzerbrechen: „Es kann vorkommen, dass ein Bohrloch schlagartig vereist oder dass ein Erdölpfropfen mit der Geschwindigkeit eines ICE durch die Rohre jagt.“
Um die Gefahr schwerer Unfälle zu verringern, erfolgt konventionelle Erdölförderung zumeist einphasig, das heißt die Begleitgase werden vor der Förderung vom Rohöl getrennt und vor Ort abgefackelt. Dabei aber gehen gewaltige Energiemengen verloren. Allein in Russland werden jährlich rund 40 Milliarden Kubikmeter Erdgas bei der Erdölförderung verbrannt. „Das entspricht mehr als 40 Prozent des jährlichen deutschen Erdgasverbrauchs“, erklärt Prof. Luke. Die verschwenderische Förderpraxis sei zudem eine erhebliche Belastung für das globale Klima: „Durch das Abfackeln von Erdgas gelangen weltweit bis zu 400 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre.“
Im Rahmen des Verbundprojektes „VMPT – Vernetzte Mehrphasentransporttechnik, Sub Sea, Off- und Onshore“ arbeiten Wissenschaftler der Universität Kassel gemeinsam mit Partnern aus weiteren Hochschulen und der Industrie an Alternativen, die zu einer umweltfreundlicheren und sichereren Fördertechnik führen sollen. Eine Lösung könnte in Zukunft die vom Fachgebiet Technische Thermodynamik eingesetzte Mehrphasentechnologie sein. Dabei wird das Gemisch aus flüssigen und gasförmigen Kohlenwasserstoffen in nur einer Strömungslinie bis zur jeweiligen Verarbeitungsplattform abtransportiert. Hier können dann Erdgas und Erdöl in zentralen Separationseinheiten kostengünstig voneinander getrennt und der Verwertung zugeführt werden.
Der entscheidende Schlüssel sind neuartige Mehrphasenpumpen, die nicht nur außerordentlich robust sind, sondern auch Öl-Gas-Gemische beherrschen können, die in ihrer Zusammensetzung stark schwanken. „Der Clou ist, dass diese Pumpen das Erdgas im Erdöl bis auf einen Rest von etwa zehn Prozent auflösen“, erklärt die Leiterin des Fachgebiets Technische Thermodynamik an der Uni Kassel: „Das Öl-Gas-Gemisch wird dadurch deutlich homogener und ist einfacher zu fördern.“ Die Explosionsgefahr werde deutlich reduziert. Auch auf das umwelt- und klimaschädliche Abfackeln des Erdgases könne verzichtet werden.
Ein weiteres wesentliches Element ist der Einsatz hochmoderner Messtechniken wie der Tomographie. Dadurch ist es möglich, die komplexen physikalischen Phänomene im Öl-Gas-Gemisch bei der Förderung sichtbar zu machen. Für die Umsetzung werden an der Universität Kassel Forschungs- und Entwicklungsarbeiten mit Grundlagencharakter durchgeführt. Dazu wird derzeit neben einer Anlage im Modellmaßstab eine weitere Anlage aufgebaut, die nahezu den Maßstab eines Technikums erreicht. Ziel ist es, Daten für reale Systeme zu gewinnen und Strömungsformen zuverlässig im Voraus zu berechnen. Schwere Schadensfälle mit gravierenden ökologischen und ökonomischen Folgen sollen dadurch vermieden werden.
An dem Forschungsprojekt sind neben der Universität Kassel weitere Universitätsinstitute in Berlin, Bochum und Hamburg sowie der niedersächsische Pumpenhersteller Bornemann beteiligt. Das Vorhaben wird bis 2014 vom Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen des Verbundprojektes „VMPT – Vernetzte Mehrphasentransporttechnik, Sub Sea, Off- und Onshore“ gefördert. Die Fördersumme für das Fachgebiet Technische Thermodynamik beläuft sich dabei auf 600.000 Euro.
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