Widerspenstiges Quasiteilchen erzeugt
Harald Ritsch
Knabl/IQOQI
Ultrakalte Quantengase sind ein ideales Experimentierfeld, um physikalische Phänomene in Festkörpern zu simulieren. Unter streng kontrollierten Bedingungen können in solchen Gasen Vielteilchenzustände erzeugt und die Wechselwirkung zwischen den Teilchen gezielt manipuliert werden. Die Gruppe um Wittgenstein-Preisträger Rudolf Grimm und START-Preisträger Florian Schreck ist international führend auf diesem Forschungsgebiet und hat nun in einem Quantengas erstmals repulsive Polaronen erzeugt und genau studiert.
Widerspenstige Partner
Um repulsive Polaronen im Labor herzustellen, erzeugen Rudolf Grimm und sein Team vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck in einer Vakuumkammer ein ultrakaltes Quantengas aus Lithium- und Kaliumatomen. Mit Hilfe von elektromagnetischen Feldern wird die Wechselwirkung zwischen den Teilchen kontrolliert. Hochfrequenzpulse drängen die Kaliumatome dann in einen Zustand, in dem diese Teilchen die sie umgebenden Lithiumatome abstoßen. Dieser komplexe Zustand kann physikalisch als Quasiteilchen beschrieben werden, da er sich in verschiedener Hinsicht so wie ein neues Teilchen mit modifizierten Eigenschaften verhält. Nachgewiesen haben die Forscher die repulsiven Polaronen durch die Analyse des gesamten Energiespektrums der Teilchen. „Wir konnten auf diese Weise sowohl anziehende als auch abstoßende Polaronen erzeugen und analysieren“, erzählt Prof. Grimm. Während attraktive Polaronen schon ausführlich untersucht wurden, betraten der Quantenphysiker und sein Team mit den widerspenstigen Quasiteilchen wissenschaftliches Neuland.
Ideale Beobachtungsplattform
In Festkörpern zerfallen solche Quasiteilchen sehr rasch und können nicht wirklich untersucht werden. Aber auch in Quantengasen machen die abstoßenden Eigenschaften Schwierigkeiten. „Das Polaron kann nur in einem metastabilen Zustand existieren“, erklärt Rudolf Grimm, „und die Lebensdauer ist entscheidend, ob man mit diesen Polaronen überhaupt etwas anfangen kann. Zu unserer Überraschung zeigen unsere Polaronen eine gegenüber früheren Experimenten in ähnlichen Systemen um das Zehnfache gesteigerte Lebensdauer. Unsere Versuchsanordnung bietet uns deshalb eine ideale Plattform, um die auf abstoßenden Wechselwirkungen basierenden Vielteilchenzustände eingehender zu analysieren.“ Als Nächstes wollen die Innsbrucker Forscher ergründen, ob sich in einem solchen Quantengasgemisch aus sich abstoßenden Teilchen einzelne Bereiche ausbilden, in denen sich nur Lithiumatome oder nur Kaliumatome sammeln. „Dies wird durch theoretische Überlegungen nahegelegt, kann aber erst jetzt tatsächlich untersucht werden.“
Ihre Daten haben die Wissenschaftler nun in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht. Die Arbeit entstand in enger Kooperation mit zwei Theoretikern aus Dänemark und Spanien und wurde im Rahmen des FWF Spezialforschungsbereichs FoQuS finanziell gefördert.