Gebürstete Nanoschicht

Eine neue Synthese ermöglicht es, hauchdünne Kohlenstoffschichten für diverse Anwendungen zu erzeugen

28.05.2014 - Deutschland

Ein vielversprechendes Nanomaterial lässt sich künftig möglicherweise für verschiedene Anwendungen maßschneidern. Ein internationales Team um Wissenschaftler der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) und des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam-Golm hat mit eine elegante Methode entwickelt, um selbst-organisierte Kohlenstoff-Nanoschichten herzustellen und diese chemisch mit verschiedenen Funktionen auszustatten. Solchen funktionalisierten Nanoschichten aus Kohlenstoff werden diverse Verwendungen zugetraut. So könnten sie als Beschichtungen dienen, die Oberflächen sowohl kratzfest als auch schmutzabweisend machen. Oder auch als Sensoren für den Nachweis extrem geringer Substanzmengen. Aus der elektrischen Leitfähigkeit von Kohlenstoffschichten ergeben sich außerdem diverse Einsatzgebiete als elektronische Bauteile.

© EPFL

Eine Nanofolie, die diverse Funktionen übernehmen kann: Ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung und der Schweizer Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) hat aus Molekülen, die sich auf einer Wasseroberfläche selbstorganisiert parallel aneinander anlagern und dabei einen dichten Teppich bilden, eine Kohlenstoff-Nanoschicht erzeugt. Die Folie lässt sich auf beiden Seiten mit Funktionen für verschiedene Anwendungen ausstatten, indem die Enden der Ausgangsmoleküle mit entsprechenden chemischen Anhängseln versehen werden. In der Aufnahme mit einem Raster-Elektronenmikroskop ist die Nanoschicht auf einem perforierten Mikroskop-Träger zu sehen.

© EPFL/MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung

Eine Kohlenstoff-Nanoschicht, die sich selbst organisiert: Kettenmoleküle mit einem wasserlöslichen und einem wasserunlöslichen Ende ordnen sich auf einer Wasseroberfläche von selbst wie die Borsten einer Bürste an. Ultraviolettes Licht startet nun die chemische Reaktion, in der sich die reaktiven Kohlenstoff-Dreifachbindungen im Mittelteil der Ausgangsverbindung zu einer durchgehenden Schicht vernetzen – sie verkohlen. Sowohl die wasserlösliche als auch die wasserunlösliche Seite der Nanoschicht lassen sich dabei chemisch mit Funktionen für diverse Anwendungen ausstatten.

© EPFL
© EPFL/MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung

In der Technik von morgen könnte das Zwergenformat groß raus kommen. In vielen Varianten erforschen Wissenschaftler Nanomaterialien, also Stoffe mit Abmessungen im Bereich von bis zu 100 Nanometern. Die Vorsilbe Nano leitet sich vom griechischen Wort für Zwerg ab und steht für einen Milliardstel Teil. Ein Nanometer ist also ein Milliardstel Meter. Ein Material mit diesen Dimensionen hat es Wissenschaftlern besonders angetan: Kohlenstoff-Nanoschichten. Dabei handelt es sich um wabenartig aufgebaute Schichten aus Kohlenstoffatomen, deren Dicke im Bereich weniger Nanometer oder sogar darunter liegt. Das dünnste denkbare solcher Kohlenstoff-Nanoschichten ist dabei Graphen – eine einlagige Schicht aus Kohlenstoff.

Für viele Anwendungen wäre es wichtig, diese ultradünnen Kohlenstoffteppiche noch gezielt mit bestimmten chemischen Molekülresten auszustatten, sogenannten funktionellen Gruppen. „Dies ist aber bisher nur eingeschränkt möglich, da Carbon Nanosheets üblicherweise bei sehr hohen Temperaturen gewonnen werden – und damit unter Bedingungen, die solche funktionellen Gruppen sofort wieder zerstören würden“, erklärt Gerald Brezesinski vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm bei Potsdam. Mit Kollegen seines Instituts hat Brezesinski nun Forscher der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) bei der Entwicklung eines Syntheseansatzes unterstützt, der vor diesem Hintergrund interessant werden könnte. Mit ihm wären Kohlenstoff-Nanoschichten mitsamt funktioneller Gruppen bei erheblich niedrigeren Temperaturen zugänglich, als sie üblicherweise bei der Herstellung von solchen Materialien verwendet werden.

Tiefer Griff in die chemische Trickkiste

Um eine flächige Struktur aus Kohlenstoffatomen zu bilden, wendeten die Schweizer Forscher eine Reihe von Tricks an. Ein wesentlicher lag in der gewählten Ausgangsverbindung. Dabei handelte es sich um ein Molekül, das im mittleren Abschnitt abwechselnd sechs Kohlenstoff-Kohlenstoff-Dreifach- und Einfachbindungen aufweist. Diese Abschnitte bestehen nur aus Kohlenstoffatomen und sind dadurch so reaktiv, dass sie auch bei niedriger Temperatur chemische Reaktionen eingehen können. Anders als in anderen Verfahren gelingt es somit, dünne Kohlenstoffschichten sogar schon bei Raumtemperatur herzustellen.

In einer besonderen Versuchsanordnung sorgten die Wissenschaftler dafür, dass sich viele dieser Moleküle in einer einzigen selbst-organisierten Schicht perfekt parallel zueinander anordneten – ganz so wie die Borsten eines Besens. Einen kleinen Unterschied zu Besenborsten gab es allerdings doch: Die parallel zueinander verlaufenden Molekülketten wiesen einige leichte Knickstellen auf. Durch diese Anordnung befanden sich die kohlenstoffreichen Abschnitte aller Moleküle auf gleicher Höhe. Bestrahlten die Forscher diese Anordnung mit UV-Licht, brachen die Dreifachbindungen teilweise auf, und es bildeten sich stattdessen Bindungen zwischen den Kohlenstoffatomen benachbarter Moleküle aus. Da auf diese Art am Ende praktisch alle Besenborsten mit ihren jeweiligen Nachbarborsten verbunden waren, entstand eine durchgehende Schicht aus Kohlenstoffatomen – eine Kohlenstoff-Nanoschicht.

Um dies alles zu ermöglichen, mussten die Wissenschaftler aus Lausanne beim vorherigen Moleküldesign freilich tief in die Trickkiste greifen. Um überhaupt eine parallele Anordnung ihrer Moleküle sicherzustellen, ersannen sie tensidartige Moleküle, wie sie auch im Geschirrspülmittel eine Rolle spielen. Dabei ist ein Ende gut in Wasser löslich, das andere dagegen gar nicht. Zwischen diesen beiden Enden platzierten sie die reaktiven Dreifachbindungen.

Brachten sie nun ihre Verbindung in Kontakt mit Wasser, löste sich lediglich das eine Molekülende. Der gesamte übrige Rest war dagegen so unlöslich, dass er von der Oberfläche in die Luft ragte. Den Forschern gelang es dabei, gezielt einen einheitlichen Abstand zwischen den einzelnen molekularen Besenborsten einzustellen. Dieser musste in der Höhe der Dreifachbindungen kleiner als 0,4 Nanometer sein, denn erst dann sind sich die benachbarten Kohlenstoffatome nahe genug, um unter UV-Licht eine neue Bindung zueinander einzugehen.

Hochspezialisierte Analytik belegt den Synthese-Erfolg

Für die Wissenschaftler war es wichtig, zu verstehen, wie die Molekülschicht entlang der Wasser-Luft-Grenze tatsächlich aussah und wie sie sich im Verlaufe der Reaktion veränderte. Hierbei kamen einige spezielle Verfahren zum Tragen, die die Gruppe um Gerald Brezesinski am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam in ihrem Repertoire hat. Um etwa die Lage der jeweiligen Atome in der Grenzschicht – und damit auch die genaue Anordnung der Ausgangsmoleküle – nachzuweisen, nutzten die Forscher hochenergetische Röntgenstrahlen des Synchrotrons DESY in Hamburg. Wie diese Strahlen an der hauchdünnen Probenschicht gestreut oder reflektiert wurden, gab Gerald Brezesinski und seiner Mitarbeiterin Cristina Stefaniu, die inzwischen an der Universität Potsdam forscht, schließlich Aufschluss über die genaue Anordnung der Ausgangsmoleküle.

Mit der sogenannten Infrarot-Reflexions-Absorptions-Spektroskopie wiederum gelang es, später die eigentliche Reaktion während der UV-Bestrahlung zu verfolgen. Dazu maßen die Forscher, wie das charakteristische Signal der Dreifachbindungen im Laufe der Reaktion kontinuierlich abnahm. Dabei half eine ganz spezielle, von den Potsdamer Forschern eingesetzte Technik. Erst mit ihr gelingt es nämlich, störende Einflüsse der vorhandenen Wassermoleküle auszublenden. „Es gibt nur wenige Gruppen weltweit, die diese Art von Infrarotspektroskopie an solchen Schichten machen können“, betont Gerald Brezesinski.

Auch beim Charakterisieren des entstandenen Produkts halfen spezielle Verfahren der Potsdamer Max-Planck-Forscher. Dazu zählte etwa die sogenannte Brewster-Winkel-Mikroskopie, die vor gut 20 Jahren am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen entwickelt worden war. Mit ihr konnten die Forscher zeigen, dass es sich bei dem Produkt um eine sehr homogene, glatte Schicht handelt, die insgesamt etwa zwei Nanometer dünn – und mithin tatsächlich eine Kohlenstoff-Nanoschicht – ist.

Über diesen Erfolg freute sich auch Gerald Brezesinski vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam: „Es ist also tatsächlich möglich, tensidartige Moleküle so zu gestalten, dass man sie an einer Wasser-Oberfläche zur Synthese einer Kohlenstoffschicht nutzen kann. Das konnten wir mit unseren Methoden nachweisen.“

Ausgangspunkt für „funktionelle Kohlenstoff-Nanoschichten“

Am Ende der Synthese ragten die jeweiligen Enden der Ausgangsmoleküle noch immer aus der Nanoschicht heraus – das wasserlösliche zur einen Seite, das wasserunlösliche zur anderen. Genau dieser Umstand ist für die Forscher extrem wichtig. Denn so ergibt sich die Möglichkeit, vor einer Synthese chemische Gruppen an die Enden zu hängen, die der späteren Kohlenstoff-Nanoschicht eine spezielle Funktion geben sollen. Denn die chemischen Anhängsel würden den milden Herstellungsprozess unbeschadet überstehen und wären damit auch in der fertigen Kohlenstoff-Nanoschicht enthalten.

Auf die Weise ließen sich auf der einen Seite zum Beispiel chemische Gruppen verankern, die später die Anbindung an bestimmte Oberflächen, etwa aus Glas oder Metall, unterstützen. Auf der anderen wiederum könnte man Gruppen befestigen, die der Schicht eine schmutzabweisende Eigenschaft verleihen. Die Kohlenstoffschicht selbst würde der Oberfläche zudem eine hohe Kratzfestigkeit geben. Auch chemische Nanosensoren ließen sich aus solchen hauchdünnen Schichten konstruieren. Dazu könnte man chemische Gruppen in die Ausgangsmoleküle integrieren, die später für die Wechselwirkung mit der zu messenden Substanz oder Substanzgruppe sorgen. Die hohe elektrische Leitfähigkeit von Kohlenstoff-Nanoschichten könnte dann für die Weiterleitung der Messsignale genutzt werden. Die Forscher aus Lausanne und Potsdam hoffen daher, dass ihr neuartiges Verfahren zur Herstellung selbstorganisierter und funktionialisierter Kohlenstoff-Nanoschichten den Weg zu zahlreichen interessanten Anwendungen frei machen wird.

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