Eine Störstelle mit großer Anziehungskraft
Forscher zeigen, dass eine einzige atomare Störstelle eine unbegrenzte Zahl an Bosonen an sich binden kann
MPQ, Theory Division
Eine Reihe von Modellen in der Quantenoptik und der Physik der kondensierten Materie beziehen sich im Kern auf die Wechselwirkung von Spin-Störungen mit Ansammlungen von Bosonen, die zu einer Vielfalt von Phänomenen führt. Für den Fall von Atomen, die an photonische Kristalle gekoppelt sind (das sind dielektrische Stoffe mit periodischen Schwankungen des Brechungsindex) sagen die Modelle z.B. vorher, dass ein einzelnes Atom ein einzelnes Photon lokalisiert an sich binden kann, wenn die atomare Anregungsfrequenz innerhalb der photonischen Bandlücke des Materials liegt. Vor dem Hintergrund der jüngsten Fortschritte in der technischen Verbindung atomarer Systeme mit photonischen Kristallstrukturen erfahren solche gebundenen Atom-Photon-Zustände wieder großes Interesse, vor allem in Bezug auf Quantensimulationen, da sie erwartungsgemäß starke und weitreichende Wechselwirkungen zwischen den Atomen vermitteln.
In ihrer jetzt veröffentlichten Arbeit untersuchen Tao Shi, Ying-Hai Wu and Alejandro González-Tudela aus der Abteilung Theorie von Prof. Cirac das allgemeine Problem einer einzelnen Spin-Störung, die an ein „Bad“ von Bosonen koppelt. Dabei zeigen sie, dass ein einzelnes Atom tatsächlich nicht nur ein einzelnes Boson, sondern sogar unbegrenzt viele Bosonen räumlich an sich binden kann. Vereinfacht ausgedrückt, erzeugt die Kopplung der Störstelle an das bosonische Bad ein effektives Potential, das die Bosonen gewissermaßen einsperrt. Das gilt vor allem, wenn sich das Atom in einem photonischen Kristall befindet, wo es eine Wolke von vielen Photonen an sich binden kann. Darüber hinaus liefern die Autoren einen Ansatz, mit dem sie das Verhalten der gebundenen Zustände im gesamten Parameterraum beschreiben können. Dabei decken sie die Existenz vieler verschiedener Bereiche auf, in denen die physikalischen Eigenschaften, wie etwa die Energie oder die Größe der gebundenen Zustände, unterschiedlich skalieren.
Da das Modell sehr allgemein ist, können diese gebundenen Zustände möglicherweise mit unterschiedlichen experimentellen Plattformen präpariert und beobachtet werden, angefangen bei Atomen, die an photonische Kristalle gekoppelt sind, über Schaltkreis-Quantenelektrodynamik bis zu kalten Atomen in zustandsabhängigen optischen Gittern. Die Existenz dieser gebundenen bosonischen Zustände erweitert die Möglichkeiten dieser Plattformen, neue exotische Vielteilchen-Phänomene zu simulieren.
Originalveröffentlichung
Tao Shi, Ying-Hai Wu, A. González-Tudela, and J. I. Cirac; "Bound states in boson impurity models"; Phys. Rev. X 6; 021027 (2016), 25 May 2016