Mit super-schweren Elektronen zum absoluten Nullpunkt
Neu entwickeltes Quantenmaterial ermöglicht deutlich effizientere Entmagnetisierungskühlung
© Universität Augsburg, IFP/EP VI
In der Grundlagenforschung werden sehr tiefe Temperaturen benötigt, um neuartige Quanteneigenschaften von Materialien zu untersuchen oder empfindliche Teilchendetektoren zu betreiben. Meist wird das sehr seltene 3-He-Gas als Kühlmittel verwendet. Es weist den niedrigsten Siedepunkt aller Stoffe auf, ist aber sehr teuer. Sein Preis hat sich in der letzten Dekade mehr als verzehnfacht.
Gängig: die abiabatische Entmagnetisierung magnetischer Salze
Eine preisgünstige und unkomplizierte Alternative zu 3-He-Gas ist das Kühlverfahren der adiabatischen Entmagnetisierung. Hier dienen zum Kühlen magnetische Salze, deren Momente nur sehr schwach wechselwirken, so dass sie sich ohne Magnetfeld erst bei ganz tiefen Temperaturen regelmäßig anordnen, wohingegen sie sich durch ein angelegtes Magnetfeld auch bei höheren Temperaturen ausrichten lassen. Das Maß für die Unordnung bzw. Nicht-Anordnung der Momente in einem Material ist die sog. Entropie. Um die Entropie der bei der adiabatischen Entmagnetisierung als Kühlsubstanz verwendeten magnetischen Salze so weit wie möglich zu senken, wird sie hier in einem ersten Arbeitsschritt durch Anlegen eines Magnetfelds stark reduziert. Anschließend wird das Feld adiabatisch, also ohne Wärmeaustausch mit der Umgebung, wieder herausgefahren, um die Entropie konstant und somit also sehr niedrig zu halten. Da diese niedrige Entropie nach Herausfahren des Magnetfelds sehr tiefe Temperaturen voraussetzt, kühlen sich die magnetischen Salze bei diesem Prozess nun stark ab, um die benötigten sehr tiefen Temperaturen zu erreichen.
Signifikante Verbesserung des Wirkungsgrads
Kommerzielle Entmagnetisierungskühler, die nach diesem Prinzip funktionieren, verwenden bislang verdünnte magnetische Salze. Deren Wärmeleitfähigkeit ist jedoch so schlecht, dass sie in ein feines Geflecht aus Metalldrähten eingebracht werden müssen, was den Wirkungsgrad des Kühlstoffs pro Volumen erheblich reduziert. Hier setzten die Augsburger Physiker und ihre Kollegen von der Universität Göttingen, der Kyoto University und der Iowa State University, Ames, an: Mit der Entwicklung der neuen magnetischen metallischen Legierung (Yb1-xScx)Co2Zn20 ist es ihnen gelungen, die Voraussetzung für eine signifikante Verbesserung des Wirkungsgrads der Entmagnetisierungskühlung zu schaffen.
Normalerweise tritt beim Abkühlen magnetischer Metalle entweder magnetische Ordnung auf oder die magnetischen Momente werden durch die Leitungselektronen abgeschirmt und damit unwirksam. Beides bewirkt, dass die Entropie bereits bei hoher Temperatur stark reduziert ist, was eine Entmagnetisierungskühlung zu tiefen Temperaturen unmöglich macht. „Unser Ziel war es deshalb, beide Effekte zu verhindern, um erstmals mit einem magnetischen Metall eine effektive Entmagnetisierungskühlung zu erreichen“, so Prof. Dr. Philipp Gegenwart, der Augsburger Leiter des Forschungsprojekts.
Ausbildung super-schwerer Elektronen bei sehr tiefen Temperaturen
Das neu entwickelte (Yb1-xScx)Co2Zn20 bringt die Voraussetzungen mit, um diese Eigenschaft zu erfüllen: Im Teilbild der beigefügten Grafik ist zu erkennen, dass in dieser Legierung die magnetischen Yb-Momente von Käfigen aus Zn-Atomen umgeben sind. Diese Anordnung ist entscheidend: Sie erschwert einerseits die Abschirmung der magnetischen Momente durch Leitungselektronen, andererseits aber auch die magnetische Ordnung der Momente. Hierdurch bilden sich super-schwere Elektronen bei sehr tiefen Temperaturen aus. Eine leichte Verdünnung der Yb-Plätze durch nicht-magnetische Sc-Atome bewirkt, dass Ordnung gerade am absoluten Nullpunkt einsetzt. Dieser „Quantenkritische Punkt“ im optimierten Material ermöglicht es im Prinzip, bis zum absoluten Nullpunkt zu kühlen.
Sogar bis unter 0.03 K
Die soeben publizierten Daten zeigen, dass sich die von Gegenwart und seinem internationalen Team entwickelte neue Verbindung bei der adiabatischen Entmagnetisierung während des Herausfahrens des Magnetfelds extrem stark abkühlt – sogar bis unter die im Versuchsaufbau tiefste messbare Temperatur von 0.03 K. Kühleffizienz und Wärmeleitfähigkeit des neuen Materials sind damit signifikant besser als bei den bislang verwendeten magnetischen Salzen. Dass das neu entwickelte Material von großem Interesse ist, wenn es um die Verbesserung von Kühlapparaturen bei sehr tiefen Temperaturen geht, liegt also auf der Hand.
Originalveröffentlichung
Y. Tokiwa, B. Piening, H. S. Jeevan, S. L. Bud’ko. P. C. Canfield, P. Gegenwart; "Super-heavy electron material as metallic refrigerant for adiabatic demagnetization cooling"; Sci. Adv.; 2, e1600835 (2016).