Überraschung bei den C60 Hochtemperatursupraleitern
Internationales Forscherteam klärt Struktur der C60 -Hochtemperatursupraleiter auf / Neue Herausforderungen für weitere Erhöhung der Sprungtemperatur bei Supraleitern
Die Supraleitung ist einer der faszinierendsten makroskopischen Quanteneffekte. Ein Supraleiter zeichnet sich dadurch aus, dass sein elektrischer Widerstand beim Abkühlen unter eine Temperatur Tc völlig verschwindet, d.h. er leitet elektrischen Strom ohne jegliche Verluste. Dieser Effekt wurde schon 1911 in Quecksilber entdeckt und ist bei vielen Metallen zu beobachten. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden große Anstrengungen unternommen, um neue Verbindungen zu finden, die sich durch eine möglichst hohe Sprungtemperatur Tc auszeichnen. Die Motivation dahinter ist folgende: Um die Vorteile der verlustfreien Stromleitung technisch nutzen zu können, muss man den Supraleiter bei einer noch tieferen Temperatur als seine Sprungtemperatur halten. Doch je höher die Sprungtemperatur ist, desto einfacher fällt das Kühlen. Typische Sprungtemperaturen für reine Metalle liegen jedoch unterhalb von 10 Grad Kelvin, was eine aufwändige Kühlung mit flüssigem Helium erforderlich macht. Wesentlich einfacher, nämlich mit flüssigem Stickstoff, lässt sich die Supraleitung nutzen, wenn die Sprungtemperatur den Wert von 77 K überschreitet. In diesem Fall spricht man von Hochtemperatur-Supraleitern. Bis zum Jahr 2001 übertrafen einzig die 1986 von Bednortz und Müller entdeckten oxidischen Kuprate diese Grenze von 77 K.
Im Jahr 2001 hat die Familie der Hochtemperatur-Supraleiter Zuwachs bekommen. Es handelt sich bei den neuen Supraleitern jedoch nicht einfach um neue Materialien, die man nur abkühlen muss, damit sie supraleitend werden. Vielmehr sind es elektronische Bauteile, bei denen erst durch das Anlegen einer äußeren Spannung die Voraussetzungen für die Supraleitung geschaffen werden. Diese Bauteile basieren auf Kristallen aus C60-Molekülen, den so genannten Fullerenen oder Buckyballs. Diese Kristalle sind normalerweise isolierend. Legt man jedoch ein starkes elektrisches Feld an, kann man in sie Ladungsträger injizieren und das Material wird in einer dünnen Schicht leitend. Das ist das Prinzip des Feldeffekt-Transistors (FET). Kühlt man ein solches Bauteil ab, verschwindet der elektrische Widerstand unterhalb von 52 K und Supraleitung tritt in diesen Feld-dotierten Fullerenen auf.
Ein ähnliches Verhalten zeigen Kristalle aus C60-Molekülen, die mit Alkalimetall-Atomen chemisch dotiert sind. Diese Materialien unterscheiden sich von den Feld-dotierten Fullerenen hauptsächlich dadurch, dass die Ladungsträger auf chemischem Wege statt durch das Anlegen eines elektrischen Feldes bereitgestellt werden. Von diesen alkali-dotierten Fullerene ist bekannt, dass ihre Sprungtemperatur vom Abstand zwischen benachbarten C60-Molekülen im Kristallgitter abhängt: Je größer der Abstand ist, desto größer ist die Sprungtemperatur. Dies führt man darauf zurück, dass mit wachsendem Abstand zwischen den Molekülen die so genannte Zustandsdichte und damit die Anzahl der Elektronen, die zur Supraleitung beitragen können, wächst. Von daher lag die Vermutung nahe, dass sich auch in den Feld-dotierten Fullerenen die Sprungtemperatur erhöhen lässt, wenn es gelingt, den Abstand zwischen den Molekülen zu vergrößern. Tatsächlich waren auch entsprechende Experimente erfolgreich: Durch Einlagerung (Interkalation) von Chloroform- und Bromoform- Molekülen zwischen die C60-Moleküle gelang es, Sprungtemperaturen von bis zu 117 Grad Kelvin zu erreichen. Allerdings war bis heute die Struktur dieser interkalierten Kristalle bei tiefen Temperaturen und mithin auch ihre Zustandsdichte nicht bekannt.
Dieser Fragestellung sind Forscher am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperforschung nachgegangen, zumal die Arbeitsgruppe von Prof. Martin Jansen diese Kristalle bereits 1995 erstmals hergestellt hatte. Zudem waren mit der Röntgenservice-Gruppe von Dr. Dinnebier im Max-Planck- Institut beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Strukturbestimmung gegeben. Die erforderlichen Messungen bei tiefen Temperaturen wurden gemeinsam mit Prof. Peter W. Stephens an der "National Synchrotron Light Source" in Brookhaven/USA durchgeführt. Diese Messdaten erlaubten es den Stuttgarter Strukturspezialisten, die Kristallstruktur der interkalierten Fullerene exakt zu bestimmen. Für die weitere Interpretation dieser Ergebnisse erwies sich die enge interdisziplinäre Verknüpfung von Physik, Chemie und Theorie am Stuttgarter Max-Planck-Institut als sehr nützlich: Die Theoretiker um Dr. Gunnarsson brachten aus ihren bisherigen Arbeiten über alkali-dotierte Fullerene die nötige Erfahrung mit, um aus den Strukturdaten auch die Zustandsdichte der Elektronen in den interkalierten Fullerenen zu bestimmen.
Zur großen Überraschung aller beteiligter Wissenschaftler zeigte sich bei dieser Analyse, dass der beobachtete Anstieg der Sprungtemperatur bei den mit Chlorform- und Bromoform- interkalierten C60-Kristallen - entgegen der bisherigen Annahmen - nicht mit einem Anstieg der elektronischen Zustandsdichte zusammenhängt. Prof. Martin Jansen, der Leiter des Forscherteam meint : "Damit steht fest, die Zustandsdichte ist nicht der einzige wichtige Parameter für die Supraleitung in den Feld- dotierten Fullerenen. Jetzt ist die Theorie gefordert, jene zusätzlichen Effekte zu identifizieren, die tatsächlich zu dem beobachteten Anstieg der Sprungtemperatur führen. Dies könnte völlig neue Perspektiven für die weitere systematische Erhöhung der Sprungtemperatur von Fulleren-Supraleitern eröffnen."