Wenn auseinander fällt, was zusammen gehört

08.07.2009 - Deutschland

Auch Quantenphysiker fassen ihre Materie gerne in anschauliche Bilder - um dann immer wieder festzustellen, dass auch ausgeklügelte Modelle oft zu kurz greifen. Genau so eine Vorstellung haben jetzt Physiker des Max-Planck-Instituts für chemische Physik fester Stoffe als zu einfach entlarvt. Sie haben herausgefunden, dass zwei Quantenphänomene in einem bestimmten Material nicht so direkt zusammenfallen, wie ein gegenwärtig favorisiertes Modell nahelegt. Demnach sollte sich in bestimmten Materialien eine antiferromagnetische Ordnung ausbilden, wenn sich bei sehr tiefen Temperaturen ein wesentlicher Teil der Elektronen umstrukturiert. Die Phänomene sollten beinahe so zusammengehören wie kochendes Wasser und kondensierender Wasserdampf - ein Ereignis von zwei Seiten betrachtet. Doch das trifft für die beiden Quanteneffekte offenbar nicht zu, zumindest nicht für gezielt verunreinigte Verbindungen des Seltene-Erden-Metalls Ytterbium mit Rhodium und Silizium. Schließen könnte die Erklärungslücke ein neuer Quantenzustand - die Spinflüssigkeit.

Ob Wasser kocht oder Dampf kondensiert, hängt im Wesentlichen von der Temperatur ab, also davon, wie schnell sich die Moleküle bewegen. Das gilt auch für die Frage, ob sich Eisen magnetisch verhält oder nicht: Oberhalb der Curie-Temperatur, die für Eisen 768 Grad Celsius beträgt, bewegen sich die Teilchen aufgrund der hohen Temperatur zu wild durcheinander, als dass sich die Spins, die man sich als winzige Stabmagneten vorstellen kann, ordentlich ausrichten könnten. "Wir betrachten dagegen Phasenübergänge nahe am absoluten Nullpunkt der Temperatur, wenn die Bewegung der Teilchen keine Rolle mehr spielt", erklärt Steffen Wirth, einer der beteiligten Forscher des Max-Planck-Instituts für chemische Physik fester Stoffe in Dresden. Als Phasenübergang bezeichnen Physiker, wenn eine Substanz ihre Erscheinung oder ihr Verhalten ändert, wenn sie sich also etwa von einer Flüssigkeit in Dampf verwandelt oder magnetisch wird.

Solche Phasenübergänge unterliegen nahe am absoluten Nullpunkt, also bei minus 273,15 Grad Celsius, den Gesetzen der Quantenmechanik. Statt der Bewegung der Teilchen bestimmen bei diesen Temperaturen deren Quanteneigenschaften ihr Zusammenspiel. Das Verhalten der Elektronen etwa wird nur noch von den magnetischen und den elektrischen Kräften zwischen ihnen bestimmt. Und die Forscher drehen nicht wie beim Wasserkochen an der Temperatur, um die Phasenübergänge ihrer Wahl zu studieren. Vielmehr verändern sie beispielsweise ein Magnetfeld, dem sie ihre Testsubstanzen aussetzen, um die Übergänge anzustoßen.

Am Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe untersuchen die Forscher seit einiger Zeit eine metallische Verbindung aus Ytterbium, Rhodium und Silizium, die immer neue Überraschungen für sie bereit hält. Bislang gingen die Physiker davon aus, dass der antiferromagnetische Phasenübergang, der im Magnetfeld auftritt, und die Neuordnung der Elektronen - Physiker sprechen von einer Umstrukturierung der Fermifläche - in metallischen Materialien beim absoluten Nullpunkt der Temperatur zusammenfallen. Und sie hatten sich auch eine recht griffige Vorstellung davon gemacht, was dabei geschieht: Beim antiferromagnetischen Phasenübergang ordnen sich die Spins bestimmter Elektronen - der so genannten f-Elektronen, die nicht durch die chemischen Bindungen beeinflusst werden und daher Magnetismus hervorbringen - in einem geeigneten Material antiparallel an: Im einfachsten Fall legen sie sich wie winzige Stabmagnete immer abwechselnd mit ihrem Nord- und Südpol aneinander.

Dass sich die Spins der Elektronen so anordnen können, führten Physiker auf die Umstrukturierung eines wichtigen Teils der Elektronen in dem Metall zurück. Bei sehr tiefen Temperaturen bricht nämlich unter bestimmten Umständen die Kondo-Wechselwirkung zusammen. Diese verhindert, dass sich die Spins der f-Elektronen untereinander spüren. Denn die äußeren Leitungselektronen, die auch den elektrischen Strom transportieren, schirmen die magnetischen Kräfte in der Kondo-Wechselwirkung ab. Im Bild des Stabmagneten wird dieser gewissermaßen eingepackt und damit unwirksam gemacht.

"Die Vorstellung, dass die beiden Vorgänge immer ineinander greifen, können wir wahrscheinlich nicht mehr halten", sagt Frank Steglich, der die Arbeiten als Direktor am Dresdner Institut leitet. Diese Konsequenz ziehen er und seine Mitarbeiter aus Beobachtungen an der erwähnten Legierung des Edelmetalls Rhodium, des Siliziums und des Seltene-Erden-Metalls Ytterbium - die Seltenen Erden besitzen f-Elektronen, die nicht chemisch gebunden sind und in dem ganzen Spiel eine Hauptrolle besetzen. Mit dieser Legierung beschäftigen sich die Dresdener Physiker schon seit einiger Zeit, weil darin exotische elektronische und magnetische Phänomene auftreten.

Die neue Überraschung lieferte das Material aber erst, als die Forscher an einer weiteren Schraube drehten: Sie veränderten den Druck, unter dem sie die Phasenübergänge studierten. Nicht jedoch den physikalischen Druck, sondern den chemischen. Ein Stück ihrer Legierung einfach zusammenzupressen liefert nämlich kein brauchbares Ergebnis. Auch kann man ein solches Stück nicht einfach aufweiten. Deshalb ersetzten die Forscher einen Teil des Rhodiums in ihrer Legierung durch Kobalt. Dessen kompakte Atome verkleinerten die Struktur der Ytterbium-Legierung so, als stünde sie unter hohem Druck. Im entgegengesetzten Fall mischten sie zu der Verbindung Iridium, dessen voluminöse Atome die Struktur aufblähten, und übten so einen negativen Druck aus.

In beiden Fällen treten der magnetische und der elektronische Phasenübergang nicht mehr gemeinsam auf. Unter hohem Druck bricht die Kondo-Wechselwirkung, also die Abschirmung der magnetischen f-Elektronen durch die äußeren Leitungselektronen, erst zusammen, wenn sich zumindest ein Teil der f-Elektronen bereits antiferromagnetisch geordnet hat. "Das passt zwar nicht zu unserer bisherigen Vorstellung von den Vorgängen", sagt Sven Friedemann, der viele der Messungen durchführte: "Das können wir uns aber noch so erklären, dass die antiferromagnetische Wechselwirkung beispielsweise von anderen Elektronen getragen wird als die Abschirmung durch den Kondoeffekt. In diesem Fall würden wir von unter-schiedlichen Fermiflächen sprechen, die für die jeweiligen Phänomene verantwortlich sind. Denkbar wäre auch eine unvollständige Abschirmung."

Im anderen Fall, bei negativem Druck also, haben sie eine solche Erklärung nicht parat. "Da bricht die Abschirmung zusammen und es tritt trotzdem keine antiferromagnetische Ordnung auf", sagt Wirth. Irgendetwas müssen die f-Elektronen ja aber tun - wohlgemerkt, ohne dass dabei Bewegung eine Rolle spielt. "Wir vermuten daher, dass dort ein neuer Quantenzustand auftritt", sagt Wirth: "Dabei könnte es sich möglicherweise um eine Spinflüssigkeit handeln."

Wie in einer klassischen Flüssigkeit bildet sich dabei in der unmittelbaren Umgebung eines Spins zwar eine Ordnung aus - auch im Wasser formen die Moleküle erkennbare Strukturen - über größere Distanzen hinweg dominiert aber die Unordnung. "Was da aber genau passiert, wissen wir noch nicht", sagt Frank Steglich: "Hier sind jetzt vielfältige und präzise Messungen erforderlich, um dieses Phänomen gründlich zu untersuchen. Gleichzeitig sind die Theoretiker gefragt, um uns bei der Aufklärung dieses möglicherweise neuen Phänomens zu helfen."

Originalveröffentlichung: S. Friedemann, et a.; "Detaching the antiferromagnetic quantum critical point from the Fermi-surface reconstruction in YbRh2Si2"; Nature Physics 5, (2009)

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