Superradiante Atomkerne
Forscher beobachten beschleunigte Emission nach Anregung mit Röntgenlaser
ESRF, A.I. Chumakov
Eine der großen Herausforderungen der Quantenphysik ist die Beschreibung des Verhaltens einer Gruppe von Atomen auf Grundlage der normalerweise viel einfacheren Beobachtung der Eigenschaften einzelner, isolierter Atome. Ein Gesichtspunkt ist das Verständnis des kollektiven Verhaltens einer Gruppe identischer Oszillatoren. Als Analogie kann ein Ensemble von Glocken dienen, die alle denselben Ton haben. Der Klang einer einzelnen Glocke, die einmal angeschlagen wurde, lässt sich leicht vorstellen: Ein klarer Ton, der mit der Zeit abklingt. Aber was passiert, wenn man alle Glocken anstößt: Wird der Ton derselbe sein wie bei einer einzelnen Glocke? Was passiert mit der Lautstärke? Klingt das Ensemble aus allen Richtungen gleich? Und spielt es eine Rolle, ob man alle zur selben Zeit anstößt?
Im Fall der Glocken lassen sich diese Fragen mathematisch eindeutig beantworten. In der Quantenwelt, wo Atome Licht aussenden, statt Glocken Schall, werden diese Fragen jedoch komplizierter. Werden Atome mit elektromagnetischer Strahlung angeregt, senden sie über kurz oder lang auch wieder Strahlung aus - der angeregte Zustand zerfällt, wie die Physiker es nennen. In der Quantenwelt kommt Licht jedoch in einzelnen Paketen, den Photonen. Die Helligkeit, das Analogon zur Lautstärke der Glocken, wird dementsprechend in einzelnen Photonenpaketen gemessen. Die Fragen bleiben zwar ähnlich, aber die Antwort hängt im Reich der Quantenphysik stark von der Zahl der Photonen, der Lichtquanten, im System ab.
Einen wegweisenden Ansatz zur Beantwortung dieser Fragen hat Dicke 1954 veröffentlicht. Er sagte eine sogenannte Superradianz von Quantensystemen voraus. Dabei gibt ein System aus vielen Atomen, das mit vielen Photonen angeregt wird, schneller Licht ab als ein einzelnes Atom, das mit einem einzelnen Photon angeregt wird. In der Analogie der Glocken würde das bedeuten, dass eine große Zahl Glocken, die gemeinsam angeregt werden, laut läuten können, aber ihr Ton viel schneller abstirbt als der einer einzelnen Glocke.
Dickes Ansatz, der Quanteneffekte einschließt, sagt voraus, dass der schnellste Zerfall eines angeregten Zustands dann stattfindet, wenn die Zahl der Quanten halb so groß ist wie die Zahl der Atome. Das Konzept der Superradianz hat sich umfangreich bestätigt und zu einem Prüfstein im Bereich der Quantenoptik entwickelt. Dicke hat jedoch auch eine deutliche Änderung der Zerfallsrate prognostiziert, wenn die Zahl der Quanten im System viel geringer ist als die Zahl der Atome. Diese Vorhersage hat das Team am Röntgenlaser SACLA in Japan und an der ESRF jetzt untersucht.
Statt der von Dicke betrachteten Quanten mit niedriger Energie verwendeten die Forscher hochenergetische Röntgenstrahlung. Das ermöglicht die Beobachtung des Zerfalls des angeregten Systems Röntgenquant für Röntgenquant, Photon für Photon. Allerdings ermöglichen erst moderne Forschungslichtquellen wie Freie-Elektronen-Laser solche Versuche.
Zum Zeitpunkt des Experimentes erreichte nur der Freie-Elektronen-Röntgenlaser SACLA am RIKEN SPring-8 Center in Japan die benötigte hohe Photonenenergie. Dort beschossen die Physiker einen Eisen-Bor-Oxid-Kristall und verfolgten das Aufleuchten der Eisenatomkerne im Kristall Photon für Photon. Dabei zeigte sich eine sehr gute Übereinstimmung mit Dickes Vorhersagen: Tatsächlich ließ sich eine deutlich beschleunigte Emission des erstens Photons nachweisen, wenn das System mit vielen Photonen angeregt wurde. Die beteiligten Wissenschaftler lieferten zudem mit einer statistischen Beschreibung ein alternatives Bild der Zerfallseigenschaften, das für zukünftige Experimente von Bedeutung sein wird.
Bereits in diesem wegweisenden Experiment an SACLA wurde in Folge einer einzelnen Anregung der Zerfall von bis zu 68 Photonen beobachtet. Am Europäischen Röntgenlaser European XFEL, der im Herbst den Forschungsbetrieb aufgenommen hat, erwarten die Forscher noch einmal eine deutlich erhöhte Intensität, und rechnen dann sogar mit der Möglichkeit Spektroskopie an Atomkernen nach Belichtung mit einem Einzelnen Röntgenblitz durchzuführen.
An der Untersuchung waren Wissenschaftler der ESRF, des russischen Kurchatov-Instituts in Moskau, des japanischen Forschungszentrums RIKEN-SPring-8, von DESY, des Argonne National Laboratory in den USA und des japanischen Forschungsinstituts für Synchrotronstrahlung beteiligt.
Originalveröffentlichung
"Superradiance of an ensemble of nuclei excited by a free electron laser"; Aleksandr I. Chumakov, Alfred Q. R. Baron, Ilya Sergueev, Cornelius Strohm, Olaf Leupold, Yuri Shvyd’ko, Gennadi V. Smirnov, Rudolf Rüffer, Yuichi Inubushi, Makina Yabashi, Kensuke Tono, Togo Kudo and Tetsuya Ishikawa; Nature Physics; 2017