Die Attosekunden-Stoppuhr

Chemische Reaktionen im Licht ultrakurzer Röntgenpulse aus Freie-Elektronen-Lasern

02.07.2018 - Deutschland

Ultrakurze, hochintensive Röntgenblitze öffnen das Tor zu den Grundlagen chemischer Reaktionen. Freie-Elektronen-Laser erzeugen solche Pulse, doch es gibt ein Problem: Die Pulse variieren in Länge und Energie. Ein internationales Forschungsteam präsentiert nun eine Lösung: Ein Ring aus 16 Detektoren und ein zirkular polarisierter Laserstrahl ermöglichen es, beide Faktoren mit Attosekunden-Genauigkeit zu bestimmen.

Terry Anderson / SLAC National Accelerator Laboratory

Titelbild der April-Ausgabe von Nature Photonics: Ultrakurze Röntgenpulse (rosa) ionisieren Neongas im Zentrum des Rings. Ein Infrarotlaser (orange) lenkt die Elektronen (blau) auf ihrem Weg zu den Detektoren ab.

Freie-Elektronen-Laser (FEL) erzeugen extrem kurze und intensive Röntgenblitze. Mit diesen können Forscher Strukturen vom Durchmesser eines Wasserstoffatoms erkennen. Biomoleküle lassen sich so in höchster Auflösung abbilden und völlig neue Einblicke in den Nanokosmos der Natur gewinnen.

Schießt man zwei solcher Blitze schnell hintereinander auf eine Probe, so erhält man sogar Informationen über die strukturellen Veränderungen während einer Reaktion: Ein erster Puls löst die Reaktion aus, mit einem zweiten Laserstrahl wird vermessen, wie die Struktur sich durch die Reaktion verändert. Doch die Technologie hat einen Haken: Der zeitliche Verlauf der Intensität und die Länge der Röntgenblitze variieren von Blitz zu Blitz. Das Bild bleibt unscharf.

Ein von Physikern der Technischen Universität München (TUM) angeführtes internationales Team hat nun eine Lösung gefunden: Mit einem zirkular polarisierten Infrarotlaser und einem Ring aus 16 Detektoren können sie den zeitlichen Verlauf und die Energie jedes Pulses präzise messen. Damit werden die Ergebnisse der einzelnen Pulse vergleichbar.

Eine Stoppuhr mit Attosekunden-Genauigkeit

„Eine Attosekunde ist der Milliardste Teil einer Milliardstel Sekunde, oder anders ausgedrückt: Eine Attosekunde verhält sich zu einer Sekunde in etwa wie eine Sekunde zum gesamten Alter des Universums“, sagt Reinhard Kienberger, Professor für Laser- und Röntgenphysik an der TU München. „Doch die energetischen Änderungen in einem Molekül während einer Reaktion sind so unglaublich fein und schnell, dass wir nur mit solch extrem kurzen Pulsen etwas sehen.“

In seinem Experiment benutzte das Forschungsteam Röntgenblitze der Linac Coherent Light Source in Menlo Park (USA). In der Probenkammer schlagen sie aus Neon-Atomen Elektronen heraus. Treffen diese nun auf einen Infrarot-Lichtimpuls, so werden sie von dessen elektrischem Feld beschleunigt oder abgebremst, je nach dem welche Feldstärke der Lichtpuls gerade hat, wenn das Elektron erzeugt wird.

Die zirkulare Polarisierung des Infrarotpulses gibt dem Elektron nun zusätzlich noch eine Richtung. Mit einem Ring aus 16 Detektoren sind daher Energie und Dauer des ursprünglichen Röntgenpulses wie auf dem Zifferblatt einer Uhr mit Attosekundengenauigkeit bestimmbar.

Die Information sowohl über die Energieverteilung als auch über die zeitliche Pulsstruktur soll es künftig erlauben, ganz spezifisch einzelne Reaktionsstellen in komplizierteren Molekülen anzusprechen und deren Einfluss auf den Verlauf der Veränderungen während der Reaktion in Echtzeit zu verfolgen.

Weiterentwicklung von Freie-Elektronen-Lasern

„Diese Technik kann nun auch dazu verwendet werden, die Entwicklung der FELs selbst voranzutreiben“, sagt Wolfram Helml, Leiter des Forschungsteams. „Wir erhalten eine sofortige Rückmeldung über die Pulsstruktur während der FEL durchgestimmt wird. So können wir gezielt Röntgenblitze mit ganz bestimmter Dauer oder energetischen Eigenschaften erzeugen.“

Von besonderem Interesse ist die neue Technik auch für Forschungsarbeiten am neuen European X-ray Free-Electron Laser (Eu-XFEL) in Hamburg, da sie im Unterschied zu anderen Techniken, auch für Messungen mit der hohen Wiederholrate genutzt werden kann, die diese hochmoderne Anlage zur Verfügung stellt.

Auch im Rahmen des gerade im Aufbau befindlichen Centre for Advanced Laser Applications (CALA) in Garching bei München, wo mithilfe laserbasierter Röntgentechnik Methoden zur Früherkennung und Therapie chronischer Krankheiten entwickelt werden sollen, könnte diese Technologie eingesetzt werden.

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