Verlagerungen der chemischen Industrie ins Ausland drastisch gestiegen

Speziell Forschung und Entwicklung ziehen vermehrt nach Asien

12.09.2018 - Deutschland

Eine Umfrage unter den rund 9.000 Mitgliedern der VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen (GVC) zeigt, dass deutsche Unternehmen aus der Chemiebranche Bereiche vermehrt ins Ausland verlagern - ein Trend der bereits seit einigen Jahren fortschreitet.

Aktuell geben knapp 51 Prozent der Befragten an, dass in ihren Unternehmen eine Verlagerung bereits läuft, in Vorbereitung oder in Diskussion ist. Nur bei knapp 30 Prozent ist eine Verlagerung derzeit nicht vorstellbar. Zum Vergleich: 2014 wurde die Frage, ob ihr Unternehmen Bereiche ins Ausland verlagert, noch von knapp 40 Prozent der Befragten bejaht.

Know-how-Transfer oder doch eher Know-how-Verlust? Bedenklich sieht der VDI vor allem die gesteigerten Verlagerungen von Forschung und Entwicklung (F&E) von 21 Prozent auf 34 Prozent, der Informationstechnologie von 25 Prozent auf 33 Prozent und der Dienstleistung sogar von 33 Prozent auf 54 Prozent.

Erfreulich ist, dass die Verlagerung der Produktion offensichtlich rückläufig ist: Sie ist zwar noch immer hoch, sinkt aber von 74 Prozent auf 64 Prozent. Das Engineering ist relativ konstant bei 33 Prozent. Dr.-Ing. Claas-Jürgen Klasen, President Asia Pacific North bei Evonik Degussa und Vorsitzender GVC: "Für uns bedeutet das: Deutsches Ingenieur-Know-how ist für die Produktion ein wichtiger Erfolgsfaktor."

Es bleibt jedoch die Frage, warum die Verlagerungen speziell von F&E so deutlich gestiegen sind. Die Forschungsausgaben erreichen seit Jahren neue Höchststände und untermauern Deutschlands Platz weltweit als viertgrößter Forschungsstandort nach den USA, China und Japan. Klasen erläutert: "Unsere Branche bemängelt vor allem regulatorische Hemmnisse, fehlende steuerliche Anreize für Forschung in Unternehmen, langwierige Genehmigungsverfahren und fehlende Offenheit für neue Technologien. Die Investitionsbereitschaft in innovative Start-ups in Deutschland spielt noch immer keine Rolle. Auch die Innovationsförderung durch die Politik sehen wir kritisch."

F&E sind heute mehr denn je marktgetrieben. Viele Märkte außerhalb Deutschlands entwickeln sich rasant und haben ihre eigenen lokalen Produktbedürfnisse. Daher gibt es verstärkt lokale Produktentwicklungen. "F&E in Schwellenmärkten wird zielgerichtet von der lokalen Politik gefördert, bürokratische Hürden sind deutlich geringer als in Deutschland und die Entwicklung verläuft viel rasanter", sagt Klasen.

Um Auslandsverlagerungen im F&E-Bereich gegensteuern zu können, braucht es neue Konzepte der internationalen Zusammenarbeit. Für Klasen steht fest: "Die digitale Transformation ist nicht im Alleingang möglich. Sie muss gemeinsam mit allen Beteiligten entlang der Wertschöpfungsketten gestaltet werden, wobei die horizontale Vernetzung (Supply Chain) und vertikale Vernetzung (Asset Life Cycle) stärker verknüpft werden müssen. Und: Das volle Potenzial der Digitalisierung kann in der Prozessindustrie erst durch KI gehoben werden."

Trotz all dieser Herausforderungen bleiben die Chemie- und Prozessindustrie mit all ihren verwandten Branchen ein wichtiger Jobmotor für Deutschland: So planen laut Umfrage 55 Prozent der Unternehmen in 2018 und 2019 die Schaffung neuer Stellen. Dabei können sie auf hervorragend ausgebildete Fachkräfte zurückgreifen, denn über 90 Prozent der Befragten beurteilen die Ausbildung in der Verfahrenstechnik als gut oder sogar sehr gut. Diese hervorragende Ausbildung benötigt Deutschland auch, um für die digitale Transformation gewappnet zu sein.

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