Hochflüchtige Gase sicherer durch „Kinetisches Einfangen“ lagern und transportieren
Neue Perspektiven für automobilen Gasantrieb
Lst. f. Festkörperchemie/Universität Augsburg
Lst. f. Festkörperchemie/Universität Augsburg
Poröse Gasspeichermaterialien
„In den vergangenen Jahrzehnten wurden poröse Gasspeichermaterialien mit Blick auf möglichst starke Wechselwirkungen zwischen adsorbierten Gasmolekülen und dem Trägermaterial untersucht und entwickelt“, erläutert Volkmer. Dies habe zu einer Vielzahl neuartiger Gerüstverbindungen geführt, die flüchtige Gasmoleküle – etwa die Energieträger Wasserstoff oder Methan, aber auch toxische Gase wie Kohlenstoffmonoxid oder Schwefelwasserstoff – binden können.
Geringe Beladbarkeit unter Normalbedingungen aufgrund unzureichender Bindung
Die Beladbarkeit dieser Trägermaterialien, die sich u. a. in dem Gewichtsverhältnis zwischen Trägermaterial und adsorbiertem Gas wiederspiegelt, ist in der Regel allerdings nur sehr gering, v. a. dann, wenn die Adsorption unter Normalbedingungen, also bei Atmosphärendruck und Raumtemperatur erfolgt. Denn die Gasmoleküle finden dann im Innern von herkömmlichen Gasspeichermaterialien nur wenige Orte, an denen sie hinreichend fest gebunden werden. Volkmer: „Damit ein Gasmolekül sich bei Normalbedingungen nicht gleich wieder von der Oberfläche des Trägermaterials ablöst, sind bindende Wechselwirkungen mit einer Energie im Bereich von ca. 30 Kilojoule pro Mol notwendig, in einem kJ/mol-Bereich also, der nur einer sehr schwachen chemischen Bindung entspricht.“
Herkömmliche Gasspeichermaterialien: für mobile Anwendungen nicht geeignet
Obwohl diese erforderlichen 30 kJ/mol gegenüber den Bindungsenergien einer "echten" chemischen Bindung – z. B. zwischen den Kohlenstoffatomen in einem organischen Molekül (350 kJ/mol) – gering erscheinen, liegen sie weit über jenen nur 10 kJ/mol, die sich zwischen kleinen, sehr flüchtigen Gasmolekülen und den bislang entwickelten porösen Speichermaterialien erreichen lassen. „Dies reicht nicht aus, um Wasserstoff bei Raumtemperatur verdichten und zuverlässig an den Träger binden zu können. Dementsprechend eignen sich diese Speichermaterialien auch nicht für mobile Anwendungen, die extrem interessant wären, wenn wir etwa an wasserstoff- oder methanbetriebene Kraftfahrzeuge denken“, erläutert Volkmer. Die etwa vom US Department of Energy formulierten Zielvorgaben für technisch anwendbare Wasserstoffspeichersysteme seien trotz zahlreicher internationaler Forschungsprogramme, die auf die Entwicklung hinreichend stabil beladbarer Trägermaterialien ausgerichtet waren, bislang nicht erreicht worden.
Problem: ungenügende Speicherkapazität trotz hoher Bindungsenergie
„Was eine hinreichende Bindungsenergie betrifft“, berichtet Volkmer, „schien uns selbst bereits vor vier Jahren ein Durchbruch gelungen zu sein, als wir in der Zeitschrift 'Angewandte Chemie' über die erfolgreiche Entwicklung eines Materials berichten konnten, das Wasserstoffmoleküle mit bis zu 32 kJ/mol bindet und damit einen Weltrekordwert für poröse Materialien erreicht hat". Allerdings verfügt dieses Material nur über eine viel zu geringe Beladungskapazität: Es bietet in seinen inneren Hohlräumen zu wenig Plätze, an denen die flüchtigen Wasserstoffmoleküle mit den genannten 32 kJ/mol und damit fest genug binden können. "Eine ärgerliche Tatsache", sagt Volkmer.
Völlig neues Trägermaterial
Um so mehr freut es ihn, dass er und sein Team nun nur vier Jahre später im "Journal of the American Chemical Society" über eine Gerüstverbindung berichten können, deren hohe Funktionalität in Sachen Bindung und Speicherkapazität unter Normalbedingungen sie auch bereits für ein flüchtiges und seltenes Gas – für Xenon nämlich – belegen konnten. Mit ihrer neuen porösen Trägerverbindung MFU-4 ist ihnen eine mehr als hundertfache Verdichtung von Xenongas gelungen, und diese Verdichtung bleibt nach erfolgter Beladung über viele Tage hinweg stabil bestehen.
Bei Raumtemperatur eine Dichte wie sonst nur bei –108 °C
“Wir konnten im Trägermaterial bei Raumtemperatur einen Xenon-Gewichtsanteil von bis zu 44,5 Prozent erreichen“, berichtet Dr. Hana Bunzen, die einen Großteil der experimentellen Gassorptionsstudien an Volkmers Lehrstuhl durchgeführt hat. Dies entspricht einer Dichte des eingeschlossenen Xenons von rund 1,8 g/cm3 und damit einem Wert, der demjenigen von verflüssigtem, also auf Temperaturen von unter –108 °C abgekühltem Xenon sehr nahe kommt.
Aneinanderreihung von "Nanogasflaschen"
Möglich gemacht wird diese hohe Verdichtung bei Raumtemperatur durch die einzigartige Struktur des Speichermaterials: Es besteht aus nanodimensionierten Hohlräumen, die über sehr enge Kanäle miteinander verbunden sind. Entscheidend für die hohe Bindungskapazität ist nun, dass der Durchmesser dieser Kanäle noch ein klein wenig enger ist als der Durchmesser der zu absorbierenden Gasmoleküle. Es handelt sich also gleichsam um eine Aneinanderreihung miniaturisierter Gasflaschen, die über „Nanoventile“ miteinander verbunden sind. Volkmer: "In jedem einzelnen Hohlraum der Verbindung lassen sich zunächst zwar nur bis zu 15 Xenonatome speichern; durch Verkettung einer nahezu unendlich großen Zahl solch kleiner Hohlräume lässt sich dann aber eine in ihrer Höhe bislang nicht erreichte Gasspeicherdichte realisieren."
Hohe Temperaturen und Drücke nur für Be- und Entladung erforderlich
Um es den Gasmolekülen zu ermöglichen, sich durch die Nanoventile in die Hohlräume zu zwängen, muss ihnen zunächst bei der Beladung Aktivierungsenergie in Form hoher Temperaturen bzw. hoher Drücke zugeführt werden. Wenn sich seine Moleküle dann erst einmal durch Ventile gezwängt haben und in den Hohlräumen "gefangen" sind, kann das Gas dann aber ohne weiteren Energieaufwand in einem hochverdichteten Zustand zuverlässig und gefahrlos gelagert und transportiert werden – ohne die Nutzung unhandlicher und schwerer Gasbomben, wie sie bislang erforderlich und technisch üblich sind.
Wie Dr. German Sastre, ein an der Augsburger Studie mitwirkender Forscher aus Valencia, inzwischen anhand theoretischer Modellen bestätigt hat, wird die Zufuhr von Aktivierungsenergie auch für die gesteuerte Freisetzung der Gasatome wieder benötigt. Bleibt der teure Aufwand hoher Temperaturen und Drücke also auch beim "Kinetic Trapping" unverzichtbar?
"Der entscheidende Vorteil von MFU-4", so Volkmer, "besteht darin, dass – anders als bei anderen Gerüstverbindungen – die zum Entladen erforderliche Energie nicht dazu benötigt wird, die bindenden Wechselwirkungen zwischen den Gasmolekülen und dem porösen Träger aufzubrechen. Wie der Begriff Aktivierungsenergie bereits sagt, erschöpft sich ihre Funktion darin, den Gasatomen lediglich den Schwung zu geben, den sie brauchen, um sich durch die Nanoventile ins Material hinein- und dann wieder herauszuquetschen, nicht jedoch für die feste Bindung der hochverdichteten Gasmoleküle im Träger selbst."
Elektrische Felder anstelle hoher Temperaturen und Drücke
Hier nun eröffnen sich wiederum Perspektiven, die es möglich scheinen lassen, nicht nur bei der stabilen Lagerung des Gases im Material, sondern auch bei der Be- und Entladung auf den Aufwand hoher Temperatur- oder Druckbedingungen verzichten zu können. Bereits im vorigen Jahr nämlich konnten Volkmer und sein Team gemeinsam mit Kollegen vom Institute of Physical Chemistry and Electrochemistry der Leibniz Universität Hannover (Prof. Dr. Jürgen Caro) im Wissenschaftsmagazin "Science" zeigen, dass poröse Gerüstverbindungen in elektrischen Feldern ihre mechanischen Eigenschaften verändern (Science 2017, 358,347-351). Das heißt, dass die beim "Kinetic Trapping" nur für die kontrollierte Be- und Entladung des Trägermaterials erforderliche Aktivierungsenergie u. U. auch durch elektrische Impulse erzeugt werden könnte.
Möglicherweise sogar für hochflüchtigen Wasserstoff geeignet
Nachdem das Funktionieren der neuen Speichertechnologie für Xenon bereits erfolgreich nachgewiesen werden konnte, ist Volkmer zuversichtlich, dass auch andere leicht flüchtige Gase sich durch "Kinetic Trapping" bei Raumtemperatur und maximaler Beladungsdichte zuverlässig und reversibel werden speichern und transportieren lassen. Er denkt dabei z. B. an Methangas, dessen kinetischer Durchmesser mit 380 Pikometern nur geringfügig kleiner ist als der von Xenon (396 Pikometer); er denkt aber durchaus auch an Wasserstoff, der wegen seines noch wesentlich geringeren Moleküldurchmessers von nur 289 Pikometern und wegen seiner entsprechend noch geringeren Molekülmasse extrem flüchtig ist und als besonders schwer verdicht- und transportierbar gilt. Dass durch das "Kinetic Trapping" in der Form frei gestaltbare Wasserstofftanks gerade auch für die Automobilindustrie von großem Interesse sein könnten – dessen ist sich Volkmer sicher.