Durchbruch beim Acrylglas-Recycling

Erstaunlich einfaches Verfahren

12.03.2025
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Symbolbild

Polymerchemiker:innen der ETH Zürich haben einen überraschenden Weg gefunden, über den sich der Kunststoff PMMA fast vollständig in seine Monomerbausteine zerlegen lässt. Selbst Zusatzstoffe stören den Prozess nicht.

Heutiges Kunststoffrecycling beschränkt sich weitgehend auf die Sammlung sortenreiner Getränkeflaschen aus PET oder Polyethylen. Der gesammelte Kunststoff hat eine identische chemische Zusammensetzung und ähnlich lange Polymermoleküle. Auch Zusatzstoffe, mit denen beispielsweise Farbe, Weichheit oder Lichtbeständigkeit optimiert werden, sind ähnlich. Der Kunststoff kann daher direkt eingeschmolzen und zu neuen Flaschen gegossen werden.

So genannte Mischkunststoffe aus verschiedenen Kunststoffsorten und -qualitäten werden dagegen meist nur zur Wärmegewinnung verbrannt, zum Beispiel in Zementwerken. Dadurch gehen wertvolle Rohstoffe verloren.

Wissenschaftler:innen um Athina Anastasaki vom Labor für Polymermaterialien der ETH Zürich haben jetzt einen Weg gefunden, Kunstoffe, in dem Fall Acrylglas, fast vollständig in seine Monomerbausteine zu zerlegen. Diese lassen sich dann aus dem Gemisch mit Additiven durch Destillation leicht zu hochwertigen Ausgangsprodukten für die Synthese neuer Acrylglas-Polymere aufreinigen.

Und das Potenzial ist gross: Mit einer weltweiten Jahresproduktion von rund 3,9 Millionen Tonnen wird Acrylglas (chemisch: PMMA, Polymethylmethacrylat) als widerstandsfähiges und leichtes Kunststoffglas in der Luft- und Raumfahrt, im Automobilbau, für Bildschirme und in der Bauindustrie immer häufiger verwendet.

Das in der Fachzeitschrift Science vorgestellte Verfahren der ETH-Forscher:innen ist ausgesprochen robust. Es funktioniert auch mit sehr langen Polymerketten, die aus 10’000 Bausteinen bestehen. Auch Zusatzstoffe wie Copolymere, Weichmacher oder Farbstoffe und die meisten anderen Kunststoffe stören die Kettenspaltung kaum. Selbst bei verschiedenfarbigem Acrylglas aus dem Baumarkt liegt die Ausbeute zwischen 94 und 98 Prozent.

Erstaunlich einfaches Verfahren

«Unser Verfahren ist denkbar einfach», betont Anastasaki: «Wir brauchen nur ein chlorhaltiges Lösungsmittel, müssen das gelöste Recyclinggemisch mäßig auf 90 bis 150 Grad Celsius erwärmen und können dann mit Hilfe von sichtbarem oder UV-Licht die Abbaureaktion gezielt starten.»

Dass das so einfach funktioniert, hat die ETH-Professorin verblüfft. Wie viele andere wichtige Kunststoffe wie Polyethylen oder Polypropylen bestehen auch Acrylglas-Polymere aus einer Polymerkette, die ausschliesslich aus Kohlenstoffatomen aufgebaut ist und von der je nach Kunststofftyp verschiedene Seitengruppen abzweigen. Solche einheitlichen Kohlenstoffketten stellten bisher eine unüberwindbare chemische Hürde für die gezielte Aufspaltung in Monomere dar, da sie keine definierten Angriffspunkte für Spaltungsreaktionen bieten.

Die einzige Methode, mit der die homogenen Kohlenstoffketten in der industriellen Praxis vollständig gespalten werden können, ist die so genannte Pyrolyse. Dabei werden die Kohlenstoffketten bei etwa 400 Grad Celsius thermisch gespalten. Diese Reaktionen sind jedoch unspezifisch und es entsteht ein Gemisch aus vielen verschiedenen Spaltprodukten. Der hohe Energieaufwand und die aufwendige Separierung des Gemisches schränken die Wirtschaftlichkeit der Pyrolyse stark ein.

Seit einigen Jahren experimentieren verschiedene Forschungsgruppen mit modifizierten Polymeren. Dabei werden an den Enden der Polymerketten leicht abspaltbare Molekülgruppen eingeführt, die dann einen Abbau der Kette vom Ende her auslösen. Auf diese Weise erreichen die Forschenden zwar Ausbeuten von bis zu über 90 Prozent.

Allerdings haben diese Designerpolymere mehrere entscheidende Nachteile: Sie müssen erst in die etablierte Kunststoffproduktion integriert werden. Zudem schränken ihre reaktiven Endgruppen die thermische Stabilität der Polymere und damit ihre Einsatzmöglichkeiten deutlich ein. Hinzu kommt, dass viele der üblichen Kunststoffadditive die Ausbeute der Reaktionen verringern und selbst bei längeren Polymerketten, wie sie in kommerziellen Kunststoffen häufig vorkommen, der Abbau nur zu einem geringen Teil funktioniert.

Das Lösungsmittel bestimmt die Reaktion

Bei der Entdeckung der neuen Methode half, wie so oft in der Chemie, der Zufall, wie Anastasaki erklärt: «Wir waren eigentlich auf der Suche nach spezifischen Katalysatoren, die die Aufspaltung in die Monomere gezielt fördern. Doch in einem Kontrollexperiment stellten wir zu unserer Überraschung fest, dass der Katalysator gar nicht nötig war.» Das chlorierte Lösungsmittel, in dem die zerkleinerte Acrylglasprobe gelöst war, reichte aus, um das Polymer mit Hilfe von UV-Licht fast vollständig zu spalten.

Als die Forschenden die Spaltungsreaktion genauer untersuchten, stiessen sie auf einen überraschenden Mechanismus. Das chemisch aktive Teilchen der Reaktion ist ein Chlorradikal. Es wird aus dem chlorierten Lösungsmittel abgespalten, wenn es durch UV-Licht angeregt wird. Unerwartet war, dass das langwelliges Licht die Bindung des Chlors an das Lösungsmittelmolekül aufbrechen kann. Dies geschieht durch ein beinahe esoterisch anmutendes photochemisches Phänomen, bei dem ein sehr geringer Anteil der Lösungsmittelmoleküle UV-Licht mit hoher Wellenlänge absorbiert.

Um den Mechanismus der Spaltung aufzuklären, konnte Anastasaki auf die Hilfe von Spezialisten aus anderen ETH-Forschungsgruppen zählen. Tae-Lim Choi vom Laboratorium für Polymerchemie berechnete die theoretischen Elektronenzustände der beteiligten Moleküle, und Gunnar Jeschke vom Institut für Molekulare Physik führte Elektronenspinresonanz-Messungen durch, mit denen die theoretischen Vorhersagen experimentell überprüft wurden.

Das Chlor muss weg

In Zukunft will die ETH-Forscherin bei ihrem Recyclingverfahren allerdings auf das chlorierte Lösungsmittel verzichten: «Chlorierte chemische Verbindungen schaden der Umwelt. Unser nächstes Ziel ist es deshalb, die Reaktionen so zu modifizieren, dass sie auch ohne das chlorierte Lösungsmittel funktionieren.

In welcher Form und in welchem Zeitrahmen die ETH-Methode in die Praxis umgesetzt wird, ist noch offen. Auf jeden Fall haben die Forschenden um Anastasaki die Tür zu neuartigen Recyclingmethoden aufgestossen, mit denen sich auch die bisher chemisch unzugänglichen Kohlenstoffketten von Kunststoffen gezielt aufspalten lassen.

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