Struktur von überkritischem Wasser entschlüsselt

Überkritisches Wasser als Lösungsmittel für chemische Reaktionen interessant

19.03.2025
RUB, Marquard

Ein Teil des Bochumer Forschungsteams: Martina Havenith, Philipp Schienbein und Gerhard Schwaab (von links)

Bei hoher Temperatur und hohem Druck gerät Wasser in einen Zustand, in dem flüssig und gasförmig nicht zu unterscheiden sind. Über die Frage, wie das auf molekularer Ebene aussieht, wurde lange kontrovers diskutiert.

Forschende der Ruhr-Universität Bochum haben die Struktur von überkritischem Wasser aufgeklärt. In diesem Zustand, der bei extremen Temperaturen und Drücken eintritt, hat Wasser sowohl Eigenschaften einer Flüssigkeit als auch eines Gases. Eine Theorie besagte, dass sich die Wassermoleküle in diesem Zustand zu Clustern zusammenlagern, innerhalb derer sie dann wieder durch Wasserstoffbrücken verbunden sind. Das konnte das Bochumer Team nun mit einer Kombination aus Terahertz-Spektroskopie und Molekulardynamik-Simulationen widerlegen. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift Science Advances erschienen, online veröffentlicht am 14. März 2025.

Für die Arbeiten kooperierte die experimentell arbeitende Gruppe mit Dr. Katja Mauelshagen, Dr. Gerhard Schwaab und Prof. Dr. Martina Havenith vom Lehrstuhl für Physikalische Chemie II mit Dr. Philipp Schienbein und Prof. Dr. Dominik Marx vom Lehrstuhl für Theoretische Chemie. Die Arbeiten waren eingebettet in das Exzellenzcluster Ruhr Explores Solvation, kurz RESOLV.

Überkritisches Wasser als Lösungsmittel interessant

Überkritisches Wasser kommt nicht nur im Labor, sondern auch auf der Erde vor, zum Beispiel in der Tiefsee, wo die Schwarzen Raucher – eine Art von Hydrothermalquellen – auf dem Meeresgrund für harsche Bedingungen sorgen. Die Grenze zum überkritischen Zustand wird bei 374 Grad Celsius und einem Druck von 221 bar erreicht. „Die Struktur des überkritischen Wassers zu kennen, könnte zum einen helfen, Prozesse in der Umgebung der Schwarzen Raucher besser zu verstehen“, sagt Dominik Marx mit Blick auf eine aktuelle Arbeit aus seiner Arbeitsgruppe zu diesem Thema. „Überkritisches Wasser ist wegen seiner besonderen Eigenschaften aber auch als Lösungsmittel für chemische Reaktionen interessant, weil es umweltverträglich ist und zugleich aggressive Reaktionsbedingungen bietet.“

Will man überkritisches Wasser besser nutzbar machen, muss man die Vorgänge in seinem Inneren jedoch genauer kennen. Das Team um Martina Havenith nutzte dafür die Terahertz-Spektroskopie. Während man mit anderen Spektroskopie-Verfahren Bindungen innerhalb eines Moleküls untersuchen kann, erlaubt die Terahertz-Spektroskopie es, die Bindungen zwischen Molekülen zu erfassen – zum Beispiel also auch Wasserstoffbrücken-Bindungen, die den vermuteten Clustern in überkritischem Wasser zugrunde liegen würden.

Messzelle unter Druck

„Experimentell war es allerdings eine riesige Herausforderung diese Methode auf überkritisches Wasser anzuwenden“, erklärt Martina Havenith. „Für die Terahertz-Spektroskopie brauchen wir größere Messzellen als für andere spektroskopische Methoden, weil wir mit längeren Wellenlängen arbeiten.“ Während ihrer Doktorarbeit verbrachte Katja Mauelshagen unzählige Stunden damit, eine geeignete neue Zelle zu entwerfen, aufzubauen und so zu optimieren, dass sie trotz ihrer Größe dem extremen Druck und der extremen Temperatur standhält.

Schließlich konnte die Forscherin sowohl Daten von Wasser aufzeichnen, das kurz vor seinem Übergang in den überkritischen Zustand war, als auch vom überkritischen Zustand selbst. Während die Terahertz-Spektren von flüssigem und gasförmigem Wasser sehr unterschiedlich aussehen, waren die Spektren von überkritischem Wasser und gasförmigem Zustand quasi identisch. Das beweist, dass die Wassermoleküle im überkritischen Zustand genauso wenig Wasserstoffbrücken ausbilden wie im gasförmigen Zustand. „Es gibt also keine Molekül-Cluster in überkritischem Wasser“, resümiert Gerhard Schwaab.

Zum gleichen Ergebnis kam parallel Philipp Schienbein, der im Team von Dominik Marx die Vorgänge in überkritischem Wasser mit aufwendigen Ab-initio-Molekulardynamik-Simulationen im Rahmen seiner Doktorarbeit berechnete. Wie auch im Experiment mussten zuvor mehrere Hürden genommen werden, etwa die Bestimmung der Lage des kritischen Punkts von Wasser im virtuellen Labor.

Simulationen passen perfekt mit experimentellen Daten zusammen

Die Ab-initio-Simulationen zeigten schließlich, dass zwei Wassermoleküle im überkritischen Zustand jeweils nur kurz aneinanderhängen bleiben und sich dann wieder voneinander lösen. Anders als in einer Wasserstoffbrückenbindung haben die Bindungen zwischen Wasserstoff- und Sauerstoffatomen dabei keine feste Orientierung, was eine zentrale Eigenschaft von Wasserstoffbrücken wäre. Die Wasserstoff-Sauerstoff-Bindung rotiert hingegen permanent mal in die eine, dann in die andere Richtung. „Die Bindungen, die es in diesem Zustand gibt, sind extrem kurzlebig: 100-mal kürzer als eine Wasserstoffbrücke in flüssigem Wasser existiert“, so Philipp Schienbein. Die Ergebnisse der Simulationen passten perfekt mit den experimentellen Daten zusammen und liefern das vollständige molekulare Bild der strukturellen Dynamik von Wasser im überkritischem Zustand.

Originalveröffentlichung

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