Fernbeziehung in 100 Femtosekunden
Forscher beobachten, wie sich Elektron-Loch-Paare blitzschnell auseinanderleben und doch stark gebunden bleiben
Brad Baxley
Um Elektronik leistungsfähiger zu machen, werden heute immer kompaktere Schaltkreise entwickelt. Das Limit ist dabei die atomare Längenskala. Neue schichtartige Kristalle aus sogenannten Übergangsmetall-Dichalkogeniden, die sich in Dicken von wenigen Atomlagen herstellen lassen, versprechen ultimativ dünne Bauelemente, wie Solarzellen und Transistoren. Allerdings verhalten sich Ladungsträger in nur zwei Dimensionen sehr eigenwillig. Regt man beispielsweise ein Elektron durch Absorption von Licht in einem Übergangsmetall-Dichalkogenid an, so lässt es auf seinem ursprünglichen Platz eine Fehlstelle, ein sogenanntes Loch, zurück. Elektron und Loch können ein gebundenes Paar, ein Exziton, bilden. Dabei umkreist das negativ geladene Elektron das positiv geladene Loch, ähnlich wie ein Elektron im Wasserstoffatom den Kern umkreist. Wegen der starken Anziehung zwischen Elektronen und Löchern sind diese Exzitonen auch bei Raumtemperatur stabil.
Für wichtige Anwendungen, wie etwa Solarzellen, will man Elektronen und Löcher allerdings räumlich trennen. Dies gelingt, indem man zwei verschiedene Dichalkogenide aufeinanderstapelt. Regensburger Physiker um die Professoren Rupert Huber, Tobias Korn, John Lupton und Christian Schüller haben nun in einer Zusammenarbeit mit der Gruppe von Professor Ermin Malic von der Chalmers University in Schweden genau diese Ladungstrennung der Exzitonen über nur zwei atomar dünne Schichten hinweg beobachtet. Hierzu regten sie Elektronen durch ultrakurze Lichtblitze in nur einer der beiden Lagen an. Dadurch entstehen innerhalb dieser Lage Exzitonen. Bleiben sie in dieser Lage, sind sie sehr kurzlebig, denn Elektronen und Löcher rekombinieren sehr schnell. Dies bedeutet, dass das Elektron wieder seinen ursprünglichen Platz einnimmt. In einer Schichtstruktur hingegen kann das Elektron auch in die benachbarte Lage hüpfen – es entsteht ein räumlich getrenntes, sogenanntes Interlagenexziton.
„Weil die Lagen atomar dünn sind, spürt das Elektron immer noch das Loch, sie können also über die Lage hinweg weiterhin miteinander wechselwirken“, erklärt Fabian Mooshammer, Doktorand und Koautor der Studie. Durch die räumliche Trennung dauert es aber wesentlich länger, bis das Elektron wieder auf seinen Platz zurückfindet. Diese deutlich längere Lebenszeit ist nur einer der Gründe, warum Interlagenexzitonen in den letzten Jahren sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Optoelektronik für viel Aufregung gesorgt haben.
Die Wissenschaftler konnten das Verhalten dieser Interlagenexzitonen während und nach ihrer Entstehung beobachten. Hierzu verwendeten Sie eine selbst entwickelte Superzeitlupenkamera, mit der sich Vorgänge untersuchen lassen, welche innerhalb weniger Femtosekunden – dem Millionsten Teil einer Milliardstel Sekunde – ablaufen. „Wir können dadurch weltweit erstmals den Entstehungsprozess eines Interlagenexzitons beobachten und vermessen, wie stark Elektron und Loch gebunden bleiben“, erzählt Philipp Merkl, Erstautor der Publikation. Außerdem war es den Forschern möglich, die Dynamik des Entstehungsprozesses gezielt zu beeinflussen. Hierzu verwendeten sie eine weitere Besonderheit der Heterostrukturen: Sie verdrehten die beiden Lagen gegeneinander. Dadurch ändern sich die elektronischen und optischen Eigenschaften der Schichtstruktur, was wiederum den Ladungstransfer maßgeblich bestimmt.
Die neuen Erkenntnisse markieren einen wichtigen Meilenstein bei der Entwicklung neuartiger maßgeschneiderter Stapelstrukturen und könnten den Weg für eine neue Generation ultimativ kompakter und effizienter Elektronik, Optoelektronik und Informationstechnologien ebnen.