Neue Methode ermöglicht „Fotografieren“ von Enzymen
Studie erleichtert die Aufklärung von Katalyse-Mechanismen
© AG Schiemann/Uni Bonn
Wenn ein Außerirdischer in einem Bastelkatalog zum ersten Mal das Foto einer Schere sähe, wüsste er wohl nicht, wozu wir Erdlinge dieses Ding benutzen. Bekäme er dagegen ein Video gezeigt, in dem sich die Schere öffnet und schließt, könnte er vielleicht mit ein wenig Fantasie auf ihre Funktion folgern.
Ganz ähnlich geht es Wissenschaftlern, wenn sie die Arbeitsweise eines Enzyms nachvollziehen wollen: Sofern sie überhaupt die Struktur des Moleküls kennen, dann meist nur als ein Standbild. Wie sich das Enzym in Aktion verhält, welche Teile sich aufeinander zu und welche voneinander wegbewegen, wissen sie nicht.
Enzyme katalysieren in den Zellen bestimmte chemische Reaktionen – vergleichbar mit einer Schere, die Papier zerschneidet. Sie verfügen dazu über katalytische Zentren (die Klingen), die mit dem Ausgangsstoff (dem Papier) in Kontakt treten. „Während dieses Vorgangs ändert sich in der Regel die dreidimensionale Form des Enzyms“, erklärt Prof. Dr. Olav Schiemann vom Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität Bonn. „Im Normalfall lassen sich diese Konformationsänderungen nicht oder nur mit großem Aufwand sichtbar machen. Das macht es oft schwierig, den Katalyse-Mechanismus nachzuvollziehen.“
Schiemanns Arbeitsgruppe ist es gelungen, eine Methode zu entwickeln, mit der die Bewegungen von Teilen des Proteins gegeneinander im Laufe der Katalyse gemessen werden können. Die Bonner Wissenschaftler arbeiten schon seit einigen Jahren mit großem Erfolg an derartigen Verfahren. In ihrer aktuellen Studie haben sie eine besonders wichtige Gruppe von Enzymen unter die Lupe genommen. Diese tragen in ihren katalytischen Zentren Metallionen mit zahlreichen ungepaarten Elektronen. Ein Beispiel ist das Hämoglobin, das mit Hilfe eines Eisen-Ions Sauerstoff bindet und so mit dem Blut transportieren kann.
Ausgeflippte Ionen
„Unsere gängigen Methoden sind für derartige Hochspin-Ionen ungeeignet“, erklärt Schiemanns Mitarbeiter Dr. Dinar Abdullin. „Wir haben daher ein neues Verfahren entwickelt, die Theorie dazu ausgearbeitet und mit Erfolg getestet.“ Die Forscher nutzten dazu die Tatsache, dass Hochspin-Ionen sich wie kleine Elektromagnete verhalten. Zudem können sie zufällig ihre Polung ändern – sie „flippen“: Der Nordpol wird zum Süd- und der Süd- zum Nordpol.
Dieses Phänomen lässt sich für die Abstandsmessung nutzen. Dazu verknüpfen die Wissenschaftler das Enzym mit bestimmten chemischen Verbindungen, die ebenfalls elektromagnetische Eigenschaften haben. „Wenn die Hochspin-Ionen flippen, reagieren diese kleinen Elektromagnete auf das veränderte Magnetfeld in ihrer Umgebung, indem sie ebenfalls ihre Polung ändern“, erklärt Abdullin. Wann und wie sie das machen, hängt unter anderem von der Entfernung zum Hochspin-Ion ab. Die Distanz zwischen den beiden lässt sich so genau bestimmen.
Wenn man mehrere Magnetgruppen an ein Enzym bindet, erhält man auf diese Weise den Abstand jeder dieser Gruppen zum Hochspin-Ion und damit zum katalytischen Zentrum. „Durch Kombination dieser Werte können wir, wie mit einem molekularen GPS, die räumliche Position dieses Zentrums messen“, erklärt Schiemann. „Wir können so zum Beispiel feststellen, wie sich seine Lage im Verlauf der Katalyse relativ zu den anderen Magnetgruppen ändert.“
Dem Enzym wirklich bei der Arbeit zusehen können die Wissenschaftler aber noch nicht. „Momentan arbeiten wir noch mit tiefgekühlten Zellen“, sagt Schiemann. „Diese enthalten zahlreiche Enzyme, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten der katalytischen Reaktion eingefroren wurden. Wir erhalten also keinen Film, sondern eine Reihe von Standbildern“ - etwa so, als würde man die Schere aus dem Eingangsbeispiel zu zahllosen verschiedenen Momenten während des Schnittvorgangs fotografieren.
„Wir arbeiten aber schon an der nächsten Verbesserung“, betont der Chemiker: „Der räumlichen Vermessung von Biomolekülen in Zellen und bei Raumtemperatur.“ Die Forscher erhoffen sich so auch Einblicke in die Entstehung bestimmter Erkrankungen, die durch Funktionsstörungen von Enzymen ausgelöst werden. An der Studie waren neben Dr. Maxim Yulikov von der ETH Zürich von Seiten der Universität Bonn auch die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Stefan Grimme (ebenfalls Institut für Physikalische und Theoretische Chemie) sowie von Prof. Dr. Arne Lützen (Kekulé-Institut) beteiligt.