Forscher filmen Molekül-Rotation

Quantenfilm zeigt Aufenthaltswahrscheinlichkeiten rotierender Carbonylsulfid-Moleküle

02.08.2019 - Deutschland

Mit Hilfe präzise abgestimmter Laserblitze haben Forscher die ultraschnelle Rotation eines Moleküls gefilmt. Der resultierende „Molekülfilm“ zeigt innerhalb von 125 billionstel Sekunden anderthalb Umdrehungen von Carbonylsulfid (OCS), einem stäbchenförmigen Molekül aus je einem Sauerstoff-, Kohlenstoff- und Schwefelatom, in hoher zeitlicher und räumlicher Detailgenauigkeit. Das Team um DESY-Forscher Jochen Küpper vom Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) und Arnaud Rouzée vom Berliner Max-Born-Institut stellt seine Arbeit im Fachblatt „Nature Communications“ vor. Das CFEL ist eine gemeinsame Einrichtung von DESY, Max-Planck-Gesellschaft und Universität Hamburg.

DESY, Evangelos Karamatskos/Britta Liebaug

Verschiedene Stadien der Molekülrotation, die sich nach rund 82 Pikosekunden wiederholen.

DESY, Evangelos Karamatskos

Schritte der Molekülrotation, aufgenommen mit je rund sieben Pikosekunden Abstand.

DESY, Evangelos Karamatskos/Britta Liebaug
DESY, Evangelos Karamatskos

„Es ist ein langgehegter Traum in der Molekülphysik, die ultraschnellen Bewegungen von Atomen in dynamischen Prozessen zu filmen“, erläutert Küpper, der auch Professor an der Universität Hamburg ist. Das ist jedoch nicht so einfach. Denn um Details im Reich der Moleküle erkennen zu können, benötigt man normalerweise energiereiche Strahlung mit einer Wellenlänge in der Größenordnung von Atomen. Küppers Team ging daher einen anderen Weg: Die Forscher nutzten zwei zeitlich genau aufeinander abgestimmte Infrarotlaserpulse mit einem Abstand von 38 billionstel Sekunden (Pikosekunden), um die Carbonylsulfid-Moleküle in schnelle und gleichzeitige (kohärente) Rotation zu versetzen. Mit einem weiteren, langwelligeren Laserpuls bestimmten die Wissenschaftler dann schrittweise die Lage der Moleküle nach jeweils rund 0,2 billionstel Sekunden. „Da dieser Diagnostik-Laserpuls die Moleküle sprengt, musste der Versuch für jeden Schnappschuss neu angestoßen werden“, berichtet Evangelos Karamatskos, Hauptautor der Studie vom CFEL.

Die Wissenschaftler nahmen insgesamt 651 Bilder auf, die anderthalb Rotationsperioden des Moleküls abdecken. Hintereinander montiert ergeben die Aufnahmen einen 125 Pikosekunden langen Film der Molekülrotation. Für eine volle Umdrehung benötigt das Carbonylsulfid-Molekül rund 82 billionstel Sekunden, das sind 0, 000 000 000 082 Sekunden. „Allerdings darf man sich die Rotation nicht wie bei einem drehenden Stock vorstellen“, erläutert Küpper. „Wir betrachten hier Prozesse im Reich der Quantenmechanik. Danach verhalten sich sehr kleine Objekte wie Atome und Moleküle anders als alltägliche Objekte in unserer Umgebung. Die genaue Position und der Impuls eines Moleküls können nicht zugleich mit höchster Präzision bestimmt werden, sondern zu jedem Zeitpunkt nur eine bestimmte Aufenthaltswahrscheinlichkeit, mit der das Molekül an einem Ort anzutreffen ist.

“Die Besonderheiten der Quantenmechanik zeigen sich unter anderem in vielen Bildern des Films, auf denen das Molekül nicht in eine einzelne Richtung zeigt, sondern gleichzeitig – mit verschiedenen Wahrscheinlichkeiten – in verschiedene Richtungen (siehe etwa die 3-Uhr-Position in der Grafik). „Genau diese Richtungen und Wahrscheinlichkeiten haben wir in dieser Untersuchung experimentell abgebildet“, fügt Rouzée hinzu. „Daraus, dass sich diese einzelnen Bilder nach ungefähr 82 Pikosekunden wiederholen, lässt sich auch ablesen, wie lange eine Rotationsperiode eines Carbonylsulfid-Moleküls dauert.“

Die verwendete Untersuchungsmethode lässt sich nach Auskunft der Forscher auch bei anderen Molekülen und Prozessen nutzen, beispielsweise bei der inneren Verdrehung (Torsion) von Molekülen oder bei chiralen Verbindungen, also solchen, die zwei spiegelbildliche Formen besitzen – ähnlich der rechten und linken menschlichen Hand. „Wir haben als Pilotprojekt hier einen hochaufgelösten Molekülfilm von der ultraschnellen Rotation von Carbonylsulfid aufgenommen“, fasst Karamatskos zusammen. „Gemessen an der Detailgenauigkeit, die wir dabei zeigen konnten, ließen sich mit unserer Methode aufschlussreiche Filme der Dynamik anderer Prozesse und Moleküle aufnehmen.“

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