Tellur macht den Unterschied
Internationales Forschungsteam entdeckt ungewöhnliche Molekülstrukturen
Anne Günther (University of Jena)
Molekülringe ordnen sich zu Röhren an
Der Halbleiter Tellur hat ähnliche chemische Eigenschaften wie die „verwandten“ Elemente Schwefel und Selen. Daher überrascht es nicht, dass die ringförmigen Kohlenwasserstoffe, in die das Team gezielt Tellur-Atome einbaute, sich auch ähnlich verhalten wie die entsprechenden bekannten schwefel- oder selenhaltigen Verbindungen – jedenfalls wenn sie gelöst sind. Dennoch nimmt Tellur eine Sonderstellung ein.
„Das Besondere passiert, wenn diese Substanzen Kristalle bilden“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Weigand von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, einer der beiden Korrespondenzautoren der aktuellen Publikation zu diesem Thema. „Es bilden sich dann quasi unendlich lange Röhren, in denen die ringförmigen Moleküle über die Telluratome zusammengehalten werden. Das geschieht aufgrund einer ungewöhnlich starken zwischenmolekularen Wechselwirkung. Dadurch entstehen sehr interessante Strukturen, die wir hier beobachten können.“ Ähnliche Gebilde sind in der Chemie zwar bereits bekannt, etwa bei den sogenannten Metallorganischen Gerüstverbindungen (auch bekannt als „metal-organic frameworks“). „Unsere Verbindungen sind aber im Gegensatz dazu keine Koordinationspolymere“, erklärt Weigand weiter. „Sie verhalten sich deshalb auch anders. Das sieht man beispielsweise daran, dass sie nur im Kristall diese supramolekularen Formen ausbilden und nicht wenn sie gelöst sind.“ Erste experimentelle Hinweise zeigen jedoch, dass Luftsauerstoff die Telluratome oxidieren und dann untereinander zu Stapelverbindungen verknüpfen kann.
Neue Möglichkeit, Gase zu speichern?
Das deutsch-finnische Forschungsteam hat ermittelt, dass diese Tellurverbindungen im festen Zustand durch ihre speziellen Hohlräume eine sehr große Oberfläche von fast eintausend Quadratmetern pro Gramm haben – das entspricht etwa zweieinhalb Basketballfeldern. „Grundsätzlich wäre es vorstellbar, dass man in diesen Hohlräumen Gase einfangen könnte, wie zum Beispiel Kohlendioxid", sagt Wolfgang Weigand. „Uns war jedoch zunächst wichtig, diese spannenden Verbindungen erst einmal zu erschließen und zu studieren.“ Bis zu konkreten Anwendungen seien noch weitere Forschungen notwendig.
„Diese Forschung wäre ohne das Erasmus-Programm der EU nicht möglich gewesen“, ergänzt der Jenaer Chemiker. „Die Idee zu dieser Arbeit kam ursprünglich durch meinen früheren Doktoranden Dr. Tobias Niksch in Jena und durch einen Gastaufenthalt von meinem ehemaligen Masterstudenten Marko Rodewald an der Universität Oulu in Finnland in der Gruppe von Prof. Dr. Risto Laitinen zustande. Seit 15 Jahren haben wir sehr gute Beziehungen dorthin und schon häufig gemeinsam Forschungsergebnisse veröffentlicht. Die theoretischen Berechnungen in dieser Arbeit kamen wiederum durch einen ehemaligen Doktoranden von Risto Laitinen zustande, der nun an der finnischen Universität Jyväskylä forscht. Diese Arbeit zeigt also beispielhaft, wie wichtig Austausch und Vernetzung für den Fortschritt der Wissenschaft ist. Ich freue mich schon darauf, mit den finnischen Kolleginnen und Kollegen diese interessanten Strukturen weiter zu erforschen.“