„Verrückte“ Lichtquellen
Ungewöhnliches Quantenphänomen entdeckt
© Jörg Bandmann/ct.qmat
Lichtquellen in atomar-dünner Materie
Die Quantenmaterialien, die Alexey Chernikov und sein Team untersuchen, sind nur wenige Atome dünn. In diesen Systemen finden sich Elektronen aufgrund extrem starker Wechselwirkungen zu neuen Quasiteilchen zusammen – den sogenannten Exzitonen. Exzitonen verhalten sich wie eigenständige Teilchen und können Licht hocheffizient aufnehmen und abgeben. In atomar-dünnen Schichten sind sie von ca. minus 268° Celsius sogar bis zu Raumtemperatur stabil.
Zu seinem aktuellen Forschungsprojekt, das die Bewegung von Exzitonen in ultradünner Materie in den Fokus nimmt, erklärt der Physiker Chernikov: „Exzitonen sind eine Art bewegliche Lichtquellen, die wie andere quantenmechanische Objekte sowohl Wellen- als auch Teilcheneigenschaften besitzen und sich in atomar-dünnen Schichten ausbreiten. Damit können sie sowohl Energie als auch Informationen speichern und transportieren, diese aber auch als Licht wieder abgeben. Das macht sie für uns besonders interessant.“
Den „verrückten“ Quasiteilchen auf der Spur
Mit hochsensitiver optischer Mikroskopie wurden die ultraschnellen Bewegungen der Exzitonen in atomar-dünnen Halbleitern sichtbar gemacht: „Zunächst haben wir einen sehr kurzen Laserimpuls auf die Materialschicht gegeben und damit die Exzitonen erzeugt. Anschließend beobachteten wir mit einem superschnellen Detektor, wann und wo das Licht wieder ausstrahlt. Als wir aber die Experimente bei sehr tiefen Temperaturen wiederholten, war die Bewegung der Quasiteilchen wirklich verblüffend“, so Chernikov.
Zur gleichen Zeit andersherum bewegen
Bisher kannte die Fachwelt vor allem zwei mögliche Arten der Bewegung für Exzitonen: Entweder „springen“ diese von einem Molekül zum anderen (engl. hopping) – oder sie bewegen sich ganz „klassisch“ wie Billardkugeln, die durch zufällige Stöße ihre Richtung ändern. „In den ultradünnen Halbleitern haben sich die Exzitonen so verhalten, wie wir es noch nie zuvor gesehen haben. Die einzig mögliche Erklärung war, dass sich die Exzitonen in Ringschleifen zur gleichen Zeit in entgegengesetzte Richtungen bewegen. Ein solches Verhalten kannte man zwar von einzelnen Elektronen. Dies allerdings bei leuchtenden Exzitonen experimentell zu beobachten – das war ganz ungewöhnlich“, betont Chernikov.
Nachdem alle Kontrollexperimente das Ergebnis ebenfalls bestätigten, suchten die Wissenschaftler:innen nach der Ursache für ihre ungewöhnliche Beobachtung. Eine noch junge theoretische Arbeit des russischen Forscherkollegen Mikhail M. Glazov vom Ioffe Institut in Sankt Petersburg lieferte den Schlüssel: Glazov beschreibt, wie sich Exzitonen in atomar-dünnen Halbleitern auf abgeschlossenen, ringartigen Bahnen bewegen und für eine Weile einen überlagerten Zustand einnehmen können. Dies bedeutet, dass sich das Exziton in diesem Moment zugleich im und gegen den Uhrzeigersinn zu bewegen scheint. Dieser Effekt ist ein rein quantenmechanisches Phänomen, welches es bei klassischen Teilchen nicht gibt. Gemeinsam mit dem Team von Ermin Malic von der Philipps-Universität Marburg, das weitere Einblicke in die Dynamik von Exzitonen lieferte, konnten die Wissenschaftler:innen dem ungewöhnlichen Verhalten auf die Spur kommen.
Ausblick
Das Team von Alexey Chernikov hat gemeinsam mit internationalen Kolleg:innen einen Weg aufgezeigt, um quantenmechanische Effekte in der Bewegung wechselwirkender Vielteilchenkomplexe experimentell nachzuweisen. Dennoch steht die Erforschung des Quantentransportes exzitonischer Quasiteilchen noch ganz am Anfang. In Zukunft könnten Materialien wie die von Chernikov untersuchten ultradünnen Schichten eine Basis für neuartige Laserquellen, Lichtsensoren, Solarzellen oder auch Bausteine für Quantencomputer sein.