Spiegelmoleküle verraten Trockenstress von Wäldern

Veränderungen von Ökosystemen lassen sich über die Emissionen chiraler Verbindungen genauer vorhersagen

09.09.2022 - Deutschland

Weltweit geben Pflanzen etwa 100 Millionen Tonnen an Monoterpenen an die Atmosphäre ab. Zu diesen flüchtigen organischen Molekülen zählen viele Duftstoffe wie beispielsweise das Molekül Pinen, das für seinen frischen Kiefernduft bekannt ist. Da diese Moleküle sehr reaktiv sind und winzige Aerosolpartikel bilden können, die zu Kondensationskernen für Regentropfen anwachsen können, spielen die natürlichen Emissionen eine wichtige Rolle für unser Klima. Für Klimavorhersagen ist es daher wichtig zu wissen, wie sich Monoterpen-Emissionen bei steigenden Temperaturen verändern werden.

© Joseph Byron, Max Planck Institute for Chemistry

Geschlossener, künstlicher Regenwald im Biosphäre 2-Komplex in Arizona: Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Chemie, der Universität Freiburg und der Universität von Arizona setzte den Wald drei Monate lang unter mäßigen und anschließend starken Trockenstress.

Wie bei Pinen kommen viele Monoterpene in zwei spiegelbildlichen Formen vor: (+) alpha-Pinen und (-) alpha-Pinen. Pflanzen können beide Formen dieser volatilen Moleküle direkt nach der Biosynthese oder aus Speichern in den Blättern freisetzen. Da die beiden chiralen bzw. enantiomeren Formen identische physikalische und chemische Eigenschaften haben, werden sie in Atmosphärenmodellen oft nicht separat betrachtet. In einer neuen Studie, die nun in Nature veröffentlicht wurde, konnten Forschende unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Chemie jedoch zeigen, dass die beiden spiegelbildlichen Moleküle über verschiedene Prozesse in der Pflanze freigesetzt werden und dass sie unterschiedlich auf Stress, insbesondere bei Trockenheit, reagieren.

Drei Monate Trockenstress im künstlichen Regenwald

Die Ergebnisse stammen aus Experimenten, die in einem geschlossenen künstlichen tropischen Regenwald in Arizona durchgeführt wurden: dem Biosphäre 2-Komplex. Die Anlage wurde ursprünglich gebaut, um ein sich selbst erhaltendes Ökosystem zu schaffen. Sie ermöglichte es einem Team von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Chemie, der Universität Freiburg und der Universität von Arizona die chemischen und klimatischen Bedingungen des Waldes genau zu kontrollieren und seine Reaktionen zu messen. Drei Monate lang setzte das Forschungsteam den Wald unter mäßigen und anschließend starken Trockenstress.

Mit Hilfe von Gaschromatografen ermittelte Joseph Byron, Doktorand am MPI für Chemie, stündlich die Emissionen von alpha-Pinen, Camphen, Limonen, Terpinen und Isopren. Da er und seine Kolleginnen und Kollegen herausfinden wollten, wann die Pflanzen welche chirale Form verströmen, nutzten sie die Fotosynthese: Sie ließen zu bestimmten Zeiten „schweres“ Kohlendioxid (13CO2) in die Luft der Biosphäre einströmen. Ein Kohlenstoffatom des Kohlendioxids enthielt ein zusätzliches Neutron, war also isotopisch markiert und gab so Aufschluss über den pflanzlichen Stoffwechsel. Mit einem an den Chromatografen gekoppelten Massenspektrometer verfolgte das Team dann, welche Monoterpene schwere Kohlenstoffatome enthielten und welche nicht.

Schweres Kohlendioxid gibt Einblick in den pflanzlichen Stoffwechsel

„Zu unserem Erstaunen verhielten sich viele Spiegel-Moleküle bei Trockenstress unterschiedlich“, kommentiert Erstautor Joseph Byron. „So war (-) alpha-Pinen markiert, (+) alpha-Pinen, was wir gleichzeitig gemessen haben, hingegen nicht.“ Das bedeutet, dass das Ökosystem des tropischen Regenwaldes (-) alpha-Pinen direkt nach der Synthese abgibt, während das Spiegelmolekül aus Speichern der Pflanze stammt.

Mehr Trockenheit führt zu tageszeitlicher Verschiebung der Monoterpen-Emissionen

Außerdem stellten die Forschenden fest, dass mit fortschreitender Trockenheit nicht nur mehr Monoterpene freigesetzt wurden, sondern sich auch das Maximum der Emissionen immer weiter in den Nachmittag verschob und die Pflanzen mehr Monoterpene aus Speicherpools freisetzten. Und das könnte einen Grund haben, vermutet Projektleiter und Atmosphärenforscher Jonathan Williams: „Vermutlich erhöht die spätere Freisetzung der Monoterpene die Wahrscheinlichkeit, dass sich über dem Wald Wolken bilden. Denn je wärmer es im Lauf des Tages wird, um so mehr nimmt die vertikale Durchmischung der Luft zu. Dadurch gelangen die reaktiven flüchtigen Stoffe in höhere Luftschichten und haben dort eine größere Chance, zu Aerosolpartikeln und schließlich zu Wolkenkondensationskernen zu werden.“

Der Max-Planck-Forscher Williams resümiert aus den Biosphäre 2-Untersuchungen: „Um genaue Vorhersagen über die Reaktionen eines Ökosystems auf Stress treffen zu können, sollten wir zukünftig Emissionen von chiralen Molekülen getrennt messen und modellieren. Das ist besonders für den Amazonasregenwald wichtig, für den Klimamodelle mehr Dürren voraussagen.“ Der Gruppenleiter vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz ergänzt: „Ich bin davon fasziniert, dass wir über die Messung der Luftzusammensetzung interne, enzymatisch angetriebene physiologische Prozesse des Waldes entschlüsseln können. Dies wird uns sicher helfen, auch Effekte aufzuklären, die wir im echten Regenwald beobachtet haben.“ Williams‘ Team forscht seit Jahren auch im brasilianischen Regenwald am Amazon Tall Tower Observatory ATTO.

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